Beutewelt V. Bürgerkrieg 2038. Alexander Merow
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Der japanische Präsident hatte mit dem Angriff auf Sibirien wahrlich einen kühnen Schritt unternommen und die internationale Presse dankte es ihm mit einem Feuerwerk aus Hetze und Verleumdung. Doch das war nichts Neues. Sowohl Haruto Matsumoto als auch Artur Tschistokjow hatten sich längst daran gewöhnt und nun galt es, dem Gegner einen möglichst schweren Schlag zu versetzen und seine Streitkräfte von zwei Seiten aus zu attackieren.
Frank hätte Julias Foto, das er auf seinem DC-Stick gespeichert hatte, gerne noch einmal angesehen, doch den Datenträger hatten ihm seine Häscher schon zu Beginn der Haftzeit weggenommen, um ihn akribisch nach militärischen Informationen zu durchforsten. So blieb ihm nur die Erinnerung an seine große Liebe. Aber auch die Gedanken an Julia konnten den General, der in einer finsteren Betonkammer geschunden vor sich hin vegetierte, weder retten noch auf Dauer aufheitern.
Richtig geschlafen hatte er seit Wochen nicht mehr und die ständige Angst vor den Aufsehern, die ihn, wenn sie genug Wodka getrunken hatten, gerne einmal unsanft aufweckten und verprügelten, ließ ihn auch in der tiefsten Nacht niemals völlig ruhen. Dieser quälende Zustand des Dösens und der Halbwachheit peinigte den Gefangenen fast mehr als die Folterungen bei den Verhören. Sein Verstand hatte sich inzwischen wieder in ein zerfetztes Fragment aus Furcht und Wahnsinn verwandelt und alle seine Alpträume, die er nach der Holozelle nur mühsam losgeworden war, peinigten ihn sofort wieder, wenn er doch einmal kurz einnickte.
Er würde es diesmal nicht überstehen, da war sich Frank sicher. Eine Flucht war unmöglich und die Kollektivisten würden ihn unter keinen Umständen am Leben lassen, egal ob er ihnen militärische Informationen preisgab oder nicht.
Vor einigen Tagen waren seine mit Narben übersäten Oberarme erneut mit einem Skalpell verunstaltet worden. Dann hatten die Aufseher ihm irgendein Zeug über die Wunden geschüttet, das furchtbar brannte und ihn vor Schmerzen hatte jammern lassen.
„Es ist alles zu Ihrem Besten, Herr General! Damit entzünden sich Ihre zahlreichen Wunden nicht, denn wir brauchen Sie noch und sind stets um Ihr leibliches Wohl besorgt“, hatte der sadistische KKG-Offizier gehöhnt.
Frank hatte es sich längst abgewöhnt, ihm noch zu antworten und meistens war er so sehr mit den Qualen, die sie ihm beständig zufügten, beschäftigt, dass er sowieso keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte.
Jetzt hockte er wieder in dieser grauenhaften Kammer und bildete sich ein, dass ihn die Betonwände hasserfüllt anstarrten. Draußen war es dunkel geworden und ein wenig fahles Mondlicht drang durch das kleine Fenster unter der Decke. Ansonsten umgaben ihn lediglich Furcht und Finsternis. Manchmal stellte sich Frank vor, dass Herr Irrsinn gleich seinen bleichen, kahlen Schädel aus der Schwärze herausschieben und ihm zulächeln würde. Doch der wahnsinnige Gefährte kam nicht. Selbst er ließ Frank an diesem gottlosen Ort im Stich.
Die ostasiatischen Verbündeten hatten zuerst die sibirische Insel Sakhalin besetzt und ihren Fuß damit offiziell auf von der Weltregierung beanspruchtes Territorium gesetzt. Matsumoto ließ seinen mündlichen Zusicherungen Taten folgen. Begleitet vom geifernden Wutgeschrei der internationalen Medien, drohte der Weltpräsident Japan daraufhin mit einer weiteren militärischen Intervention, doch das Inselreich ließ sich nicht beirren.
„Japan mischt sich mit einem imperialistischen Angriffsakt in die Angelegenheiten Russlands ein!“, titelten die Blätter in Nordamerika und Europa.
„Matsumoto will Groß-Japan!“, warnten die Washington Daily News am 13. März.
Diese Doppelzüngigkeit war wieder einmal bezeichnend für die Strategie der Weltregierung, denn lange vor Japan hatte sie sich selbst in die innerrussischen Angelegenheiten eingemischt und die Kollektivisten mit riesigen Waffenlieferungen und sogar GCF-Verbänden unterstützt.
„Japan kommt lediglich seiner Bündnispflicht nach!“, hielt das japanische Staatsoberhaupt dem Weltverbund entgegen und forderte diesen noch einmal eindringlich auf, sämtliche GCF-Streitkräfte aus Russland abzuziehen.
Die Reaktionen auf seine Forderungen blieben jedoch erwartungsgemäß aus und so gingen japanische Truppen einige Tage später auch ans sibirische Festland, besetzten Nahodka, um anschließend in Richtung Wladiwostok zu marschieren.
Eine weitere Streitmacht des Inselvolks ging bei Chabarovsk, einem wichtigen Luftstützpunkt der GCF nahe der chinesischen Grenze, an Land und schloss die vor Ort befindlichen Feindstreitkräfte aus GCF und asiatischen Kollektivisten in einer Zangenbewegung ein. Bei Bicevaja wurden die Verteidiger in einem ersten Kampf zurückgeworfen und nach Süden gedrängt. Gleichzeitig schlugen die Japaner eine gegnerische Streitmacht bei Artem und verfolgten ihre Reste nach Norden.
Die nächste Falle schnappte am Fuße des Gebirges von Sihote Alion zu, wo die übrigen Verbände von GCF und Kollektivisten in einer Kesselschlacht vernichtet wurden. Am 17. März hatten die Japaner die karge und felsige Region im sibirischen Süden endgültig unter ihre Kontrolle gebracht und die überraschten Streitkräfte des Gegners weitgehend zerschlagen. Uljanin und seine Verbündeten hatten etwa 80.000 Tote und Verwundete zu beklagen, weitere 30.000 Soldaten gerieten in japanische Gefangenschaft. Matsumotos Entsatzstreitmacht aus knapp 500000 Soldaten hatte um die 40.000 Mann verloren, war jedoch siegreich gewesen und konnte ihren Vormarsch nach Nordwesten fortsetzen.
Bei den erfolgreichen Verstößen der japanischen Armee waren erstmals auch die neuartigen, waffenstarrenden Shosha Panzer zum Einsatz gekommen, die bei den Kämpfen wertvolle Dienste geleistet hatten.
Noch im Siegestaumel stießen die Japaner schließlich Hunderte von Kilometer in das kalte Ödland Sibiriens jenseits der nordchinesischen Grenze vor und standen bald vor riesigen, kaum besiedelten Weiten.
Im Gegenzug reagierte die Weltregierung und ließ GCF-Verbände die Philippinen angreifen. Der japanische Präsident musste nun selbst entsetzt mit ansehen, wie das abtrünnige Land in Südasien, sein Verbündeter, innerhalb weniger Tage von den internationalen Streitkräften über den Schnabel genommen wurde. Die japanischen Hilfsstreitkräfte kamen zu spät. Schon am 23. März war die philippinische Hauptstadt Manila gefallen und die rebellische Regierung abgesetzt worden. Der unabhängige Staat war im Sturm überrannt worden und wurde aufgelöst. Ein der Weltregierung treu ergebener Sub-Gouverneur kam wieder an die Macht und die Philippinen wurden erneut dem Weltverbund angegliedert.
Artur Tschistokjow und sein Kabinett nahmen die Meldungen aus Ostasien mit einem lachenden und weinenden Auge zur Kenntnis. Einerseits hatte sich Japan endlich bereit erklärt ihnen zu helfen, andererseits war einer der wenigen verbündeten Staaten, die sich von der Weltregierung gelöst hatten, innerhalb kürzester Zeit von der Landkarte gefegt worden.
Derweil tobten die Kämpfe im Westen Russlands weiter. Vitali Uljanin verlegte einige Divisionen nach Irkutsk in Sibirien, um einem japanischen Angriff zuvorzukommen, und setzte ansonsten seine Eroberungskampagne im russischen Westen erfolgreich fort.
„Bis zu die japanische Küste es sind fast 14.000 Kilometer!“, stöhnte der weißrussische Präsident. Er sah Außenminister Wilden desillusioniert an. Offenbar hatte sich seine kurzzeitige Euphorie bezüglich des japanischen Eingreifens in den russischen Bürgerkrieg inzwischen wieder gelegt. Sein deutscher Gefährte runzelte die Stirn und wirkte ebenfalls nicht sonderlich zuversichtlich. Er versicherte Artur Tschistokjow, dass er noch einmal mit seinem japanischen Kollegen Akira Mori das weitere Vorgehen durchsprechen wollte.
„Die Japaner müssen tief ins sibirische Hinterland eindringen und eine zweite Front eröffnen. Das ist unsere einzige Chance“,