Mutter werden – Mutter sein. Alisa Kersch
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Jeden Tag bin ich vor dem Spiegel gestanden und habe meine Brustwarzenvorhöfe inspiziert. Laut Literatur sind vergrößerte Brustwarzenvorhöfe ein mögliches Schwangerschaftssignal. Weiters können die Brüste gespannt sein und voller wirken. In meinem Spiegelbild erblickte ich einen „normalen“ und einen „möglicherweise größeren“ Brustwarzenvorhof. Dies wusste ich natürlich nicht zu deuten. Daher habe ich Thomas nach seiner Meinung gefragt. Ich glaube, er war noch überfragter als ich und hat ausweichende Kommentare geschoben. Diese machten mich nur grantig und schmollend.
Ein weiteres Signal, welches ich an einem Tag verspürt habe, war ein extremes Ziehen in der Leistengegend. Ich konnte nicht einmal die Stufen in den ersten Stock gehen – musste also schmerzverzerrt in den Lift steigen. Es hätte aber genauso gut ein extremer Eisprung nach langer Pilleneinnahme sein können und war daher für mich kein Schwangerschaftsanzeichen.
Als ich dann noch in der Arbeit, nach einem sehr aufwühlendem Gespräch mit meiner Chefin, aufs WC ging, habe ich mir an den Bauch gegriffen und dem (nicht)vorhandenen befruchteten Ei zugesprochen: „Es ist alles in Ordnung. Reg dich nicht auf, Mama regt sich genug auf!“, ich musste Gewissheit über mein Stadium haben. So konnte es einfach nicht mehr weitergehen. Ich war keine „eingebildete Kranke“, sondern eine (möglicherweise) „eingebildete Schwangere“.
Am Weg nach Hause habe ich mir einen Früherkennungsschwangerschaftstest gekauft, damit ich mich endlich wieder normalisiere. Ich bin davon ausgegangen, dass ich mir diese ganzen Schwangerschaftssignale nur einbilde, weil man sie einfach in jeder Broschüre über Schwangerschaft und Babys liest. Auch im Internet findet man in jedem Forum, dass werdende Mütter einfach „wissen“, dass sie schwanger sind beziehungsweise die ganzen Anzeichen „früh“ erkennen und oft gar keinen Schwangerschaftstest benötigen, um sicher zu sein.
Aus heutiger Sicht bin ich davon überzeugt, dass es sicherlich vereinzelt Frauen gibt, die ihren Körper tatsächlich so gut kennen. In Ratgebern und auf Internetplattformen wird gerne alles so dargestellt, als müsste man als „perfekte“ Frau jedes Anzeichen richtig deuten können. Man fühlt sich dann schnell eigenartig und anders, wenn dem nicht so ist. Schon hier wird meiner Meinung nach für die weitere Schwangerschaft, Geburt und Kindererziehung die Weiche einer vorgegebenen Norm gestellt. Man darf es sich schon bei der Früherkennung nicht leisten, gegen den Strom zu schwimmen. Da ich gerne gegen die Norm aufbegehre, habe ich mich bereits in diesem Stadium entschieden, anders zu sein und mich auf „Fehler“ einzulassen. Aber ist das nicht etwas, was uns menschlich macht und von Computern und Robotern unterscheidet?
Der „Schwangerschaftsspuk“ wurde schlagartig abgedreht, als dieser Früherkennungsschwangerschaftstest negativ ausgefallen ist. Die anfängliche Euphorie und Suche nach Signalen wurde eingestellt. Eine depressive und gereizte Stimmung hat sich bei mir selbst und zwischen Thomas und mir breit gemacht. Sex habe ich sofort eingestellt. Warum auch? Es waren keine fruchtbaren Tage in Sicht. Der Höhepunkt der negativen Stimmung war erreicht, als ich am nächsten Morgen aufstand und ein paar Tage zu früh sogar noch Blutungen hatte. An diesem Tiefpunkt habe ich mich mit Freundinnen getroffen, mein Leid geklagt und ein paar Cocktails getrunken. Und in meinem Elend habe ich mir oft immer wieder die Frage gestellt, wie Partnerschaften diesen „Befruchtungshorror“ über längere Zeit überstehen können. Wahrscheinlich nur deshalb, weil der Sex, wenn man vermeintlich ein Kind bewusst zeugt, besonders intensiv und wunderschön ist!
Es ist vollbracht
Aus meiner lethargischen Stimmung wurde ich gerissen, als sich die anfängliche zu frühe Blutung als Schmierblutung herausstellte und die vielleicht tatsächliche Periode ausfiel. Ich hatte die Hoffnung auf eine Schwangerschaft schon aufgegeben. Ein kleiner Funke blieb doch noch übrig und so überredete ich Thomas zum Kauf eines weiteren, ganz normalen Schwangerschaftstests. Am nächsten Morgen ging ich wie im Kino aufs WC, um den Test zu machen. Ich konnte es kaum glauben. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann war ein zweiter roter Strich ersichtlich – das Zeichen für „schwanger“. Voll Freude bin ich in der Wohnung herumgesprungen und habe Thomas den positiven Schwangerschaftstest unter die Nase gehalten. Der konnte sein Vaterglück offensichtlich noch gar nicht richtig fassen und zog die Decke über das Gesicht. Keine Reaktion, die ich mir in diesem Moment gewünscht oder erwartet habe.
An diesem Tag bin ich so glücklich wie noch nie in die Arbeit gegangen und es war mir wirklich alles egal, was da in den Besprechungen gefallen ist. Ich konnte mir die ganze Zeit nur denken, dass es mich eh nicht mehr betrifft. Meiner Zimmerkollegin hatte ich von meinem „Babybasteln“ erzählt und sie wusste einfach durch meine Körpersprache, dass ich schwanger war. Bei meinem letzten Gynäkologen-Termin – genau 25 Tage vor dem positiven Schwangerschaftstest – fragte ich, wann die erste Untersuchung notwendig sei. Mein Arzt meinte: „Wenn sie wissen, dass sie schwanger sind, so früh wie möglich.“ Also habe ich in der Mittagspause seine Sprechstundenhilfe angerufen und prompt einen Notfalltermin bekommen. Gemeinsam mit meiner Arbeitskollegin bin ich zum Gynäkologen gefahren. Ich war in meinem Leben noch nie so nervös wie vor diesem Ultraschall, weder bei meiner Diplomprüfung noch bei der Hochzeit. Das Warten bis zum Aufrufen war eine Ewigkeit. Meiner Kollegin war und bin ich sehr dankbar, dass ich dieses Erlebnis nicht ganz alleine bewältigen musste. Die Untersuchung war enttäuschend, da eine Schwangerschaft noch nicht festgestellt werden konnte. Es fehlte hierfür der Dottersack. Zu sehen war lediglich eine leichte Wölbung der Gebärmutter, die eine Befruchtung als auslösenden Grund haben könnte. Sehr traurig und verunsichert habe ich dann am Ende dieser Sitzung meinen Arzt gefragt, wie es nun weitergehe und wann ich wieder kommen sollte. Seine Antwort war meiner Meinung nach etwas hart und ich bin mir dabei lächerlich vorgekommen: „In 14 Tagen, dann bekommen Sie auch den Mutter-Kind-Pass ausgehändigt. Falls der Embryo in dieser Zeit abgehen sollte, kann ich nichts tun, dann tut es mir leid.“ Nach meinem ersten Schock wollte ich natürlich wissen, wie wahrscheinlich ein Abort in diesen ersten 14 Tagen wohl sei. Seine Schätzung lag bei zirka 30 Prozent. Kein frohlockender und beruhigender Gedanke, noch dazu, da ich in dieser Zeit einen London-Trip vor mir hatte. Kaum waren wir aus der Tür draußen, habe ich Thomas informiert. Der wirkte leicht säuerlich, als ich ihm von meinem Spontanbesuch beim Gynäkologen erzählte und hatte überhaupt kein Verständnis für mein Verhalten. Mit dieser Reaktion konfrontiert und den Abortfakten des Arztes im Hinterkopf, habe ich meinen Arbeitsdienst wieder aufgenommen und war schon viel weniger euphorisch, als noch Stunden zuvor.
Drei Jahre nach dieser Aktion kann ich mein damaliges Handeln selbst nicht nachvollziehen. Man härtet während der Schwangerschaft ab und gewinnt viel an Lebenserfahrung. Wenn ich nochmals schwanger wäre, dann glaube ich nicht, dass ich so früh einen Arzt aufsuchen würde. Ich habe damals den Ratschlag meines Frauenarztes befolgt (in den Schwangerschaftsratgebern steht dieselbe Vorgehensweise beschrieben) und bin sofort zu ihm gegangen. Im Nachhinein habe ich mich dann eher blamiert gefühlt. Oft habe ich mich gefragt, ob dieser Arztbesuch tatsächlich zum „richtigen“ Zeitpunkt stattgefunden hat. Ist es nicht sinnvoller, überhaupt einmal 14 Tage verstreichen zu lassen, um einen möglichen frühen Abort „erledigt“ zu haben, wenn die Wahrscheinlichkeit mit 30 Prozent doch so hoch anberaumt ist?
Aborte haben mich zu dieser Zeit sehr interessiert. Meine Recherche damals hat ergeben, dass es eine hohe Dunkelziffer in diesen frühen Schwangerschaftstagen gibt. Lediglich 15 bis 20 Prozent aller Fälle werden klinisch aufgezeichnet. Der Rest der Abgänge wird als starke Regel wahrgenommen. Schätzungen zufolge könnte es sogar sein, dass bis zu 50 Prozent aller befruchteten Eier – in diesem frühen Stadium – zu Grunde gehen.
Hier ist wichtig anzumerken, dass in der Frühschwangerschaft noch Alkohol konsumiert werden kann. Frauen müssen sich keine Vorwürfe machen. Auch ich habe nach meinem ersten negativen Schwangerschaftstest alkoholische Cocktails getrunken und bin deswegen noch lange keine schlechte Mutter. Es ist wissenschaftlich bestätigt, dass der Embryo in diesen ersten