Skandal um Zille. Horst Bosetzky

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Skandal um Zille - Horst Bosetzky

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Mitwirkung des Künstlers selbst.«

      Banofsky fasste sich an den Kopf. »Hans Ostwald – das isses, den kenn ich doch!«

      Hans Ostwald war bekannt im Berlin der zwanziger Jahre – sowohl als Schriftsteller wie auch als Kulturwissenschaftler. Schon sein autobiographischer Landstreicherroman Vagabonden hatte einiges Aufsehen erregt, seine Großstadt-Dokumente aber waren Sternstunden der Stadtforschung. In fünfzig Bänden hatten namhafte Autoren – darunter Magnus Hirschfeld und Felix Salten – das Leben in den beiden Großstädten Berlin und Wien nachgezeichnet.

      »Berlin wurde lange als Metropole ohne nennenswerte Geschichte gesehen, Wien dagegen als Kulturstadt mit Tradition«, erklärte Hans Ostwald Banofsky, als sie sich im Romanischen Café gegenübersaßen. »Die Bohèmekultur haben wir unter die Lupe genommen, ebenso Homosexualität und Prostitution – na ja, und von den Großstadt-Dokumenten zu Heinrich Zille war es nur ein kleiner Schritt. Schon 1908 habe ich das Vorwort zur Erstausgabe seiner Kinder der Straße geschrieben.«

      »Ich erinnere mich an die Aufregung über die Zeichnung vorne auf dem Umschlag«, unterbrach ihn Banofsky. »Sie zeigt, wie zwei fette Polizisten eine Nutte packen und die den rechten Arm hochreckt, die Faust geballt.«

      Ostwald nickte. »Genau. Ich habe Heinrich Zille einen sozialen Künstler genannt, den das Elend, das er bei seinen Wanderungen durch die Straßen Tag für Tag vor Augen hat, tief bewegt. Zille ist keiner, der bloß Gelächter erregen will, er hat anderes im Sinn: Er will uns zum Nachdenken zwingen und zur tätigen Mithilfe auffordern. Durch seinen Zeichenstift teilt er uns mit wenigen Strichen mit, wozu andere jahrelange Untersuchungen brauchen. Zudem geht es in seinen Darstellungen nicht nur um Elendsmenschen, sondern auch um die Kraft des Volkes.«

      »Das alles will ich auch in meinen Film … äh …«, Banofsky musste kurz nach den richtigen Worten suchen, »… hineinpacken.«

       Verhaftung

      »In Ihren Film hineinpacken«, wiederholte Ostwald. »Wenn Sie Zille das erzählen, seien Sie vorsichtig, denn er hat oft zu mir gesagt: Mich haben se alle ausgeplündert.«

      Banofsky lachte. »Das ist das Schicksal aller Menschen, die Geschichte geschrieben haben: Ihr Leben wird in Büchern, Bildern oder Filmen verarbeitet. Das ist der Preis, den sie zahlen müssen. Oder besser gesagt: Sollen sie sich doch darüber freuen!«

      »Nun ja, das ist sicher alles zwiespältig, und noch hat Zille nicht abgewinkt. Aber er ist der Euphorie um ihn herum einfach müde geworden: Zille-Filme, Zille-Kneipen, Zille-Bälle. Außerdem weiß er selbst genau, dass er seit dem Tod seiner Frau nichts wirklich Erwähnenswertes mehr geschaffen hat. Ich will Sie auch nur warnen, lieber Banofsky: Der Umgang mit Zille ist nicht einfach. In mein Zille-Buch redet er mir ständig hinein und ist unzufrieden mit mir. Das liegt daran, dass er eigentlich selbst eine Autobiographie schreiben wollte, dann aber doch nicht die Kraft aufzubringen vermochte, einen solch langen Text zu verfassen. Jetzt wuselt auch noch dieser Rudolf Danke um ihn herum, der ihn ausquetscht wie eine Zitrone. Nein danke!«

      »Aber ein Film ist etwas ganz anderes als ein Buch!«, rief Banofsky. »Im letzten Teil könnte sich Zille sogar selbst spielen.«

      Ostwald sah ihn etwas spöttisch an. »Und der junge Zille – das sind Sie?«

      »Der mittlere vielleicht. Für den jungen Zille, der aus Sachsen nach Berlin kommt, müssten wir noch jemanden suchen.«

      »Na, dann man tau!«, rief Hans Ostwald.

      »Sie würden so liebenswürdig sein, mich Herrn Zille wärmstens zu empfehlen?«

      »Ich werde mein Bestes versuchen. Aber nur, wenn ich als Statist in Ihrem Film mitspielen darf.«

      »Versprochen. Können Sie mir noch verraten, welches Zilles Lieblingskneipen waren?«

      Hans Ostwald musste nicht lange überlegen. »Tübbecke in Stralau, der Lindengarten des alten Päkelmann in der Köpenicker Straße, der Nußbaum in der Fischerstraße, die Parochialritze, Stallmanns Künstlerkeller in der Jägerstraße, die Charlotten-Klause in der Charlottenstraße, der Stramme Hund am Oranienburger Tor, der Bayrische Bierkeller in der Poststraße, das Weiße Meer in der Rosmarinstraße und der Ausschank Zum Goldenen Hahn in der Landsberger Straße.«

      Banofsky saß in der U-Bahn und war auf dem Weg zu Heinrich Zille. Er wäre lieber in die Ringbahn gestiegen, um noch einmal die alten Dampfzüge zu genießen, bevor auch sie Ende des Jahres von elektrisch betriebenen Wagen abgelöst würden, doch vom gemieteten Zimmer in der Köpenicker Straße waren es nur ein paar hundert Meter bis zum Hochbahnhof Schlesisches Tor.

      Eigentlich hatte er über bestimmte Drehbuchszenen nachdenken wollen, doch in seinem Kopf lief noch immer der Film ab, bei dem er gestern selbst die Hauptrolle gespielt hatte: Er mit Cilly im Bett. Er liegt auf dem Rücken, sie reitet auf ihm. Er keucht: »Schneller, Cilly, schneller!« Sie nimmt ihn auf den Arm, weil er in letzter Zeit nur noch Zille im Kopf hat. »Cilly mit C vorne oder mit Z? Und hinten mit e?«

      Banofsky hatte sich das Berliner Boulevard Blatt gekauft, um während der Fahrt etwas zum Lesen zu haben. Der Aufmacher war der Beginn des Prozesses um die Steglitzer Schülertragödie vom Juni des vergangenen Jahres. Der Oberprimaner Paul Krantz wurde beschuldigt, einen Kochlehrling umgebracht und die Ermordung einer Schülerin geplant zu haben. Seine Verteidigung hatte einer der berühmtesten Strafverteidiger Deutschlands übernommen: Dr. Dr. Erich Frey. Das versprach eine Menge Unterhaltung. Die Zeitung hatte mit Konrad Kowollek ihren besten Mann ins Landgericht II geschickt. Das wäre auch ein schöner Stoff für einen Film, dachte Banofsky.

      Am Wittenbergplatz hätte er eigentlich den Zug Richtung Reichskanzlerplatz nehmen müssen, aber er stieg schon eine Station vorher aus, am Sophie-Charlotte-Platz, um über den Horstweg zur Sophie-Charlotten-Straße zu laufen. Im Mietshaus Nr. 88 sollte Heinrich Zille wohnen. Banofsky zog den Zettel hervor, auf dem Hans Ostwald die Adresse notiert hatte. Er mochte nicht recht glauben, dass der große Maler ausgerechnet hier zu Hause war. Als Elendsviertel konnte diese Gegend zwar nicht bezeichnet werden, aber andere Künstler vom selben Rang residierten immerhin in Villen oder hatten große Wohnungen in Berlin W gemietet. Max Liebermann nannte sogar ein eigenes Palais am Pariser Platz sein Eigen. Der Professor Heinrich Zille hingegen logierte im vierten Stock eines mittelmäßigen Mietshauses – natürlich ohne Fahrstuhl, wie Banofsky beim Betreten des Hausflurs feststellte. Selbst ein vergleichsweise junger Mann wie er atmete hörbar schwerer, als er endlich oben angekommen war. Er musste sich erst ein wenig sammeln, bevor er auf den Klingelknopf drückte. Drinnen blieb alles ruhig. Banofsky wagte es, ein zweites Mal zu klingeln, diesmal etwas energischer. Endlich waren schlurfende Schritte zu vernehmen. Dann war Zilles Stimme zu hören.

      »Mensch, mich kratzen se ooch noch aus da Erde raus! Hör’n Se uff zu klingeln, ick bin nich da!«

      »Ich auch nicht!«, rief Banofsky. »Keine Angst. Mein Name ist Johannes Banofsky. Hans Ostwald hat mit Ihnen gesprochen … Dass Sie so nett sein wollen …«

      »Wat is mit’m Sonett? Ick bin doch keen Musiker.«

      Banofsky blieb hartnäckig. »Ich will ein bisschen was über Sie wissen …«

      »Ach wat!« Zille öffnete die Wohnungstür einen Spaltbreit, zögerte aber noch, sie aufzuziehen. Die Kette blieb davor. »Wissen Se, ick werde übalaufen, täglich, seit vielen Wochen. Von Photographen, Rundfunkleuten, Zeitungsschreibern, Abenteurern, Bettlern … Und nu ooch noch ’n Filmfritze! Bin schon jetzt

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