Skandal um Zille. Horst Bosetzky

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Skandal um Zille - Horst Bosetzky

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»Das könnte nur Heinrich Zille selber sein.«

      »Mit dem hast du so viel Ähnlichkeit wie … wie …« So schnell wollte ihr kein passender Vergleich einfallen.

      »… die Harfenjule mit Königin Luise«, half Banofsky ihr.

      »Bei Männern fällt dir aber nichts ein!«

      Banofsky überlegte. »So viel Ähnlichkeit wie … wie Siegfried mit Napoleon oder Bismarck mit Toulouse-Lautrec.«

      »Wer is’n das?«

      »Ein französischer Maler.«

      »Womit wir wieder bei Zille wären.«

      Wie auf Stichwort erschien ebender in diesem Augenblick im Sportpalast. Ein Begeisterungssturm brach los. Banofsky war beeindruckt. Claire Waldoff lief auf Zille zu und umarmte ihn.

      Banofsky, der auch mit Bertolt Brecht befreundet war, kannte schon einige Songs aus dessen Dreigroschenoper, die bald Premiere haben sollte, und sang leise:

      Denn die einen sind im Dunkeln und die andern sind im Licht und man siehet die im Lichte die im Dunkeln sieht man nicht.

      Er wollte darüber nachdenken, wie sich Brechts Erkenntnis auf Heinrich Zille übertragen ließ: War der Maler ins Licht gekommen war, indem er die im Dunkeln gezeichnet hatte? Doch da setzte die Musik ein. Arthur Guttmanns Jazz-Symphonikern oblag die Eröffnung, weitere zehn Kapellen waren angerückt.

      Banofsky und Cilly warteten noch ein Weilchen, dann wagten sie sich in den Innenraum. Die Stimmung stieg langsam, und eine der Kapellen heizte sie mit Berliner Liedern noch an. Sie spielte Durch Berlin fließt immer noch die Spree und Im Grunewald, im Grunewald is Holzauktion sowie den Rixdorfer. Cilly sang kräftig mit, obwohl sie den Text nicht richtig kannte:

       Uff den Sonntag freu ick mir, ja, dann jeht et raus zu ihr, feste mit verjnüchtem Sinn, Pferdebus nach Rixdorf hin.

      Banofsky konzentrierte sich derweil auf die Rutschbahn, die mitten in der Arena aufgebaut war. Die Mädchen zeigten hier juchzend, was sie gewöhnlich in der Öffentlichkeit schamhaft versteckten. Und auch sonst war man nicht prüde. Wer als Draufgänger auf den Treppen zwischen den Sitzreihen einem hübschen Mädchen begegnete, zögerte nicht, seine Hand klatschend dort landen zu lassen, wo der Rücken endete. Der Begleiter des Mädchens rächte sich sofort, indem er seinerseits die Partnerin des anderen beklatschte oder auch nur gutmütig drohend ausrief: »Det mach mal jefälligst bei deina Ollen, sonst fühlt se sich zurückjesetzt!« Damen aus den höheren Ständen, denen man ansah, dass sie einen solch handgreiflichen Spaß nicht verstanden, wurden verschont. Banofsky bekam unterdes eine Menge filmreifer Dialoge zu hören.

      »Na, Kleene, suchste mir oder mich?« – »Nee, meinen Bruder suche ich!« – »Soll ich suchen helfen – oder biste schon vajeben?« Die Musik brach ab, Paukenschläge dröhnten durch die Arena, dann ein Tusch – und alles rief: »Hoch Zille! Hoch Vater Zille!« Der hatte in seiner Eckloge beim Signieren gesessen, erhob sich nun und winkte in die Menge. An der Bande, gegen die sonst die Eishockeyspieler krachten, hatten sich Hunderte aufgebaut, um sich Bücher und Zeichnungen von Zille signieren zu lassen oder ihm auch nur ein Programmheft, den Pappteller für ihre Bockwurst oder eine Papierserviette hinzuhalten.

      »Da kannst du bis Mitternacht anstehen, bevor du dran bist«, musste Banofsky feststellen.

      Cilly versuchte, es mit Humor zu nehmen. »Ruf doch ganz laut, dass du in Die Verrufenen mitgespielt hast, dann lassen dir die anderen bestimmt gern den Vortritt.«

      »Die treten mir eher in den Hintern.«

      »Dann tanzen wir und sehen nachher weiter.«

      Es wurde fast Mitternacht, ehe sich Banofsky noch einmal vor Zilles Eckloge anstellte. Die Schlange vor ihm war nun überschaubar, seine Hoffnung wuchs. Doch als er in Hörweite war, hörte er Zille rufen: »Nu jeht’s nich mehr!« Daraufhin gaben einige auf, dafür aber drängten andere heran.

      Banofsky stieß sie beiseite. »Herr Zille, ich will kein Autogramm, ich will nur ein Treffen mit Ihnen ausmachen!«

      Zille hob abwehrend die Hände. »Nee, nu is endjültig Schluss! Wenn ick für jedet Autogramm ’ne Mark kriegen würde, hätte ick vielleicht mehr, als wie ick dafür kriege, dass se mit meim Namen krebsen gehen.«

      Banofsky flehte ihn geradezu an: »Herr Professor Zille, ich will doch nur …«

      »Lassen Se ma in Ruhe! Ick kann nich mehr, ick falle jleich tot um.«

      Johannes Banofsky war nicht der Typ von Mensch, der Selbstmord beging, wenn er nicht mehr aus noch ein wusste, aber er hätte nichts dagegen gehabt, wenn ihn der Tod in diesen Tagen geholt hätte. Doch der zierte sich. Keine Straßenbahn, mit der Banofsky unterwegs war, kippte in einer Kurve um, noch überrollte ihn eine, wenn er gedankenverloren die Gleise überquerte. Kein Mieter in seinem Haus drehte den Gashahn auf und ließ das ganze Gebäude in sich zusammenstürzen. Kein tödlicher Bazillus wollte sich in Banofskys Körper einnisten, und auch der Schlaganfall suchte sich andere Opfer.

      Banofsky blieb nichts anderes übrig als zu begreifen, dass er weiterhin zum Leben verurteilt war. Was seine Kontaktaufnahme mit Heinrich Zille betraf, war er sich mit Cilly einig, dass er nicht mit der Tür ins Haus fallen durfte, sondern einen Türöffner brauchte. Aber wer kam dafür in Frage? Die Wahl musste gut bedacht werden. Also stürzte sich Banofsky erst einmal auf das Thema Tonfilm, denn das war der Dernier Cri. Wenn er einen Produzenten von einem biographischen Zille-Film überzeugen wollte, musste er über dieses neue Verfahren bestens Bescheid wissen.

      Mit Erich Pommer, dem Produktionschef der U FA, hatte er schon einige Male zu tun gehabt, und so gelang es ihm, schnell einen Termin für ein Gespräch zu bekommen. Er fuhr hinaus zu den Studios an der Oberlandstraße in Tempelhof.

      Pommer war nicht sonderlich gut gelaunt. »Metropolis hat uns allen viel Ruhm und Ehre eingebracht und wird als bester deutscher Stummfilm aller Zeiten in die Geschichte eingehen, aber er hat fünf Millionen Reichsmark gekostet, und die Einführung des Tonfilms traut man mir offenbar nicht zu – meine Ablösung steht schon bereit.«

      »Schade …« Banofsky hatte voll auf Erich Pommer gesetzt.

      »Aber der Tonfilm als solcher wird kommen?«

      »Sicher, sein Siegeszug wird unaufhaltsam sein, vorerst aber geht es nur langsam voran, weil mehrere Firmen erbittert darum kämpfen, ihr System weltweit durchzusetzen und damit Riesengewinne zu machen: Die deutsch-niederländische Gruppe Küchenmeister-Tobis-Klangfilm, Warner Brothers aus den USA und die Tri-Ergon-Musik-AG aus der Schweiz. Noch blockiert man sich gegenseitig, aber irgendwann wird man sich einigen – und dann wird es steil bergauf gehen mit dem Tonfilm. Schluss mit den Untertiteln, Schluss mit dem Gefühl, dass wir nur taubstumme Schauspieler haben!«

      »Sind Sie sich da so sicher?« Banofsky zweifelte. »Ich kann mich erinnern, schon im September 1922 im Alhambra-Kino am Kurfürstendamm gesessen zu haben, als der erste deutsche Tonfilm gezeigt wurde. Das ist immerhin bereits sechs Jahre her.«

      Erich Pommer nickte. »Der lief damals mit Lichttonspur.« Er sah auf die Uhr. »Nun zu Ihrer Idee …«

      Banofsky berichtete, wie er geradezu besessen davon war, Zilles Leben auf die Leinwand zu bringen. »Ganz Berlin liegt ihm zu Füßen, ein solcher

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