Wenn alle Stricke reißen. Beate Vera

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Wenn alle Stricke reißen - Beate Vera

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nach Hause kommt. Als sie um Mitternacht immer noch nicht da war, begann ich, mir ernsthaft Sorgen zu machen. Mein Mann leitete eine Notoperation und war nicht erreichbar, und ich wusste, dass er nicht gewollt hätte, dass ich die Polizei kontaktiere und damit Taras Rumtreiberei, wie er es genannt hätte, offiziell mache. Um diese Zeit konnte ich auch keine Klassenkameraden von Tara mehr anrufen, auch das wäre Heinz nicht recht gewesen. Ich bin die ganze Nacht durch die Wohnung gelaufen und habe sie immer wieder auf dem Handy angerufen, aber sie hat nicht abgenommen. Um acht Uhr heute Morgen wollte ich hinunter zu Louise gehen, um sie zu fragen, ob sie etwas wisse. Dann fand ich das hier vor unserer Wohnungstür.« Sie reichte Glander ein Blatt Papier, das mit der Rückseite nach oben auf dem Couchtisch gelegen hatte. Auf einem DIN-A4-Bogen stand ein mit Computer verfasster Text:

       Wir haben Tara.

       Wir wollen 500 000 Euro.

       Übergabedetails folgen.

       Keine Polizei, sonst stirbt sie!

      Glander seufzte innerlich. Erpresser setzten auf die Angst der Familien ihrer Entführungsopfer, und es war jedes Mal mühevoll, diese zu durchbrechen. Hier musste die Polizei ermitteln, es führte kein Weg daran vorbei. »Frau Berthold, ich helfe Ihnen gerne, aber Sie müssen die Kriminalpolizei einschalten.«

      Maria Berthold zuckte zusammen. »Nein! Auf keinen Fall! Sie sehen doch, was da steht! Meine Tara wird umgebracht, wenn ich die Polizei verständige. Deshalb habe ich Sie ja um Hilfe gebeten. Ich habe neulich einen Bericht im Tagesspiegel über Ihre Agentur gelesen, das fiel mir wieder ein. Auf Ihrer Website habe ich Ihre Nummer gesucht und gelesen, dass Sie rund um die Uhr erreichbar sind. Sie sind doch ein erfahrener Kripobeamter. Bitte, Herr Glander, Sie müssen Tara finden!«

      Die Tageszeitung hatte im Wirtschaftsteil, in der Rubrik BERLIN, aber oho, über seine neugegründete Agentur berichtet. Die Website war noch nicht ganz fertig, aber ihr waren immerhin seine Telefonnummer und Kurzbiographien von Merve und ihm selbst zu entnehmen. »Ich war Hauptkommissar, das ist richtig, und genau deshalb rate ich Ihnen: Schalten Sie die Polizei ein!«

      Doch auch weitere zehn Minuten Überzeugungsarbeit nutzten nichts. Frau Berthold weigerte sich, die Polizei zu kontaktieren.

      Resigniert entschuldigte Glander sich für einen Moment und ging in den Flur, um seine Partnerin auf dem Handy anzurufen.

      Während Glanders Wochenende durch die Entführung von Tara Berthold beendet wurde, bevor es richtig begonnen hatte, saß Lea in ihrer Küche und blätterte durch die Steglitz-Süd-Ausgabe der Berliner Woche, eines Anzeigenblatts, das über Ereignisse und Neuigkeiten in den Berliner Stadtteilen berichtete. Mark hatte sie stets damit aufgezogen, dass sie noch nicht alt genug für diese Lektüre sei, doch Lea wusste, wie leicht man bei der Informationsflut aus aller Welt das unmittelbare Umfeld aus dem Blick verlor. Außerdem las sie für ihr Leben gerne die Kontaktanzeigen. Heute fiel ihr auf Seite drei des Blattes ein Name ins Auge: Arne Sabersky. Ihr Nachbar war zum neuen kommissarischen Schulleiter des Albrecht-Berblinger-Gymnasiums am Hindenburgdamm ernannt worden und wurde in einem Porträt vorgestellt. Arne hatte seit langem mit dem Gedanken gespielt, die Brennpunktschule, an der er tätig war, zu verlassen und dem Schuldienst adieu zu sagen. Es überraschte Lea, dass er nun einen Direktorenposten antrat, aber sie freute sich für ihn und seine Familie. Sicherlich bot diese Stelle mehr finanzielle Sicherheit, ein Aspekt, der Arnes Frau Carola am Herzen lag. Der Arbeitsweg war überdies um eine gute Stunde kürzer, und die Schule hatte einen sehr guten Ruf. Duncan hatte dort sein Abitur gemacht.

      Arne und Carola hatten vier Kinder, alle sehr aufgeweckt und sportlich. Wie Carola den Haushalt stemmte, konnte Lea nur bewundern. Zusätzlich zu den sechs Personen, die es mit Mahlzeiten und sauberer Wäsche zu versorgen galt, waren da noch Horst, der Bassett, die Wellensittiche Holmes, Marple, Derrick und Brisgau sowie Cindy, Claudia, Heidi und Linda, die Zwergkaninchen, die im hinteren Teil des Gartens ein großes Gehege bewohnten. Die Namen der dicklichen Hasen waren Carolas Rache an allen Frauen mit einer Kleidergröße unter 38, die sie selbst vor Jahren hinter sich gelassen hatte. Lea mochte Carola sehr. Sie war unerschütterlich, und es schien kein Problem zu geben, das die Nachbarin nicht in den Griff bekam. Nie beschwerte sie sich, dass sie zu kurz komme. Vielmehr genoss sie ihr lebhaftes Familienleben in vollen Zügen.

      Ganz im Gegensatz zu ihrer beider Freundin Svenja Ritter, die wie Lea und die Saberskys im Dürener Weg wohnte. Leas Laune sank rapide, als sie an den Streit dachte, den sie in der letzten Woche mit Svenja gehabt hatte. Der saß ihr noch immer in den Knochen. Im Juli, kurz nach den dramatischen Ereignissen in der Siedlung, hatte Svenjas Mann René seiner Frau gestanden, dass er seit Jahren eine Beziehung zu einem Mann in München unterhielt, den er auch finanziell unterstützte. Lea hatte ein gespanntes Verhältnis zu René gehabt und sich oft gefragt, was hinter dessen sprödem Verhalten Frauen gegenüber, ganz speziell seiner eigenen, steckte und warum Svenja sich das bieten ließ. Dass René eine heimliche homosexuelle Beziehung führte, und das bereits seit Jahren, damit hätte Lea allerdings im Leben nicht gerechnet. Es hatte Svenja besonders hart getroffen, dass es ein Mann war, der ihr den Ehemann ausspannte, und sie stand seitdem völlig neben sich. Lea verstand nicht, warum ein Mann als Trennungsgrund so viel ärger sein sollte als eine Frau. Es war immer traurig, wenn eine Beziehung in die Brüche ging. Doch Svenja war nicht traurig, sie war maßlos wütend und ließ ihren Zorn ungeniert an ihrem Umfeld aus. Bei ihrem letzten Treffen hatte Lea einiges abbekommen und sich ein paar sehr hässliche Dinge anhören müssen. Bei allem Verständnis für Svenjas Situation – die vermeintliche Freundin war entschieden zu weit gegangen, und Lea war immer noch über die so offen zur Schau gestellte Homophobie und Boshaftigkeit schockiert. Sie hatte Svenja sehr deutlich gesagt, was sie von deren Einstellung hielt, und sie gebeten zu gehen. Diese hatte mit lautem Gezeter und Türenschlagen reagiert. Seither herrschte eisiges Schweigen, und Svenja ignorierte Lea, wenn sie sich auf der Straße über den Weg liefen. Lea war nicht froh über diese Situation, aber Chauvinismus jedweder Couleur war ihr zutiefst zuwider. Svenja schien überdies schon länger einen gewissen Groll gegen sie gehegt zu haben, was Lea zu denken gab.

      Leas Gedanken wanderten weiter zu Margot Wieland, einer anderen Nachbarin aus dem Dürener Weg. Sie hatte die ältere Dame, die ihr im Sommer zur Seite gestanden hatte, ins Herz geschlossen. In den letzten Wochen hatten sie sich regelmäßig zum Essen verabredet. Margot Wieland war seit ihrem ersten gemeinsamen Ausflug mit Lea ins »Thai by Thai« ein großer Fan der asiatischen Küche und Stammgast des Restaurants in der Goerzallee geworden. Am kommenden Montag würde sie eine vierwöchige Kur antreten, und Lea hatte für Sonntagabend ein Abschiedsessen mit der liebgewonnenen Nachbarin geplant. Deshalb schrieb sie nun eine Einkaufsliste mit Zutaten, die sie für ein indisches Hühnchencurry und ein Spinat-Bhaji nach Rezepten eines alten Freundes aus Enfield brauchte. Steve machte das beste Curry außerhalb des Punjabs, wie seine Gäste in Anlehnung an das alte Britisch-Indien zu sagen pflegten. Lea notierte außerdem, was sie für ein Baileys-Tiramisu benötigte, und machte sich dann auf den Weg zum nahe gelegenen Supermarkt in Teltow.

      Glander war alles andere als begeistert von seinem ersten Auftrag. Der würde zwar sehr lukrativ werden, aber ein gutes Gefühl hatte er bei der Sache nicht. Er nahm sein Handy, um Lea anzurufen. Er würde ihr die Lage in der Lüdersstraße erklären und sie auf Merves Besuch vorbereiten, denn er hatte seine Partnerin gebeten, auf ihrem Weg zu den Bertholds seinen Laptop mitzubringen, den er bei Lea gelassen hatte. Sowohl auf dem Festnetz als auch auf ihrem Handy meldete sich nur der Anrufbeantworter, und so verschob er das Telefonat auf später. Auch wenn er sich das Wochenende ganz anders ausgemalt hatte, stellte sich bereits das warme Kribbeln im Nacken ein, das er zu Beginn jeder Ermittlung verspürte. Er schaute sich in dem großen Flurspiegel der Bertholds an. Seine stahlblauen Augen waren umrahmt von kleinen Fältchen, viele davon hatten die unzähligen Stunden auf dem Wasser hinterlassen. Glander hatte seine frühe Kindheit an der Kieler Förde verbracht, später war die Familie nach Wannsee gezogen, und Glander war ein erfahrener Schwimmer und Wassersportler. Er war in sehr

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