Wenn alle Stricke reißen. Beate Vera
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Читать онлайн книгу Wenn alle Stricke reißen - Beate Vera страница 8
»Sie sehen sehr glücklich zusammen aus.«
»Das waren wir auch. Bis zum Ende.«
»Es muss für Sie schlimm gewesen sein, Ihren Mann zu verlieren.«
Leas trauriges Lächeln sprach Bände, und Merve verabschiedete sich. »Ich muss leider wieder los, Glander und ich haben eine Menge zu tun. Es hat mich sehr gefreut, Lea.«
»Mich auch. Hoffentlich geht es Tara gut! Und hoffentlich finden Sie das Mädchen schnell!«
Merve nickte ihr zu und verabschiedete sich.
Lea sah ihr nach und schloss die Haustür mit einem flauen Gefühl in der Magengegend.
4
Tara war eingeschlafen. So reagierte sie stets auf Stress. Wenn ihre Eltern sich mal wieder stritten, übermannte sie einfach der Schlaf.
Die Luke in der Decke des Kellerverlieses wurde geöffnet, und eine schlanke Gestalt brachte einige Sachen herunter: eine Isomatte, ein Kissen und eine Fleecedecke, danach einen Korb mit Butterbroten, Salami und Käse, einer Tafel Schokolade und zwei Flaschen Mineralwasser, ferner einer kabellosen Universalleuchte mit Druckschalter, einem Satz Batterien für die Taschenlampe und drei abgegriffenen Taschenbüchern – Markus Zusaks Die Bücherdiebin, Der Junge mit dem Herz aus Holz von John Boyne sowie Mary M. Kayes Palast der Winde. Als Letztes folgte ein Eimer mit Deckel, in dem eine Rolle Toilettenpapier, eine Zahnbürste und eine Tube Zahnpasta lagen.
Die Gestalt betrachtete das schlafende Mädchen einen Moment lang im Schein der Taschenlampe und deckte es zu. Dann stieg sie die Leiter hinauf und zog diese hinter sich hoch. So leise, wie sie sich geöffnet hatte, schloss sich die Luke wieder, und Tara lag erneut in völliger Dunkelheit.
In der Lüdersstraße 23 öffnete Glander Merve die Tür und begrüßte sie knapp. Nachdem er sie Maria Berthold vorgestellt hatte, holte Merve aus ihren zwei Aluminiumkoffern die Ausrüstung zur Telefonüberwachung. Sie verband sie mit der ISDN-Anlage der Bertholds und aktivierte kurz vor halb drei Uhr nachmittags die entsprechende Software auf dem dafür konfigurierten Laptop.
Als die Überwachung stand, wandte sich Merve an Maria Berthold. »Frau Berthold, ich habe die Abhöranlage installiert. Sollten die Entführer telefonisch Kontakt aufnehmen, wird das Gespräch aufgezeichnet, und wenn der Anruf lange genug dauert, können wir ihn vielleicht sogar zurückverfolgen. Ich würde zusätzlich gerne Kameras vor Ihrer Wohnungstür und an den beiden Hauseingängen anbringen. Aus rechtlichen Gründen bräuchten wir für diese Maßnahme eigentlich das Einverständnis Ihrer Mieter. Zeit haben wir dafür jedoch nicht, zumal wir möglichst diskret vorgehen müssen, wenn Sie den Fall nicht der Polizei übergeben wollen – wozu ich Ihnen noch einmal ganz dringend rate. Wir haben zwar gute Geräte, aber die Polizei hat das ganze Highend-Spektrum am Start. Herr Glander und ich sind nur zu zweit, die Kollegen können auf viel mehr Personal zurückgreifen. Die Aufklärungsrate bei erpresserischem Menschenraub liegt bei 85 bis 90 Prozent. Bitte denken Sie noch einmal darüber nach! Wir können den Fall jederzeit übergeben.«
Maria Berthold schüttelte vehement den Kopf, Panik in ihren Augen. »Nein, das kommt doch heraus, und dann bringen sie meine Tara um! Sie müssen mir versprechen, dass Sie die Polizei nicht eigenmächtig informieren, bitte!«
Merve nickte und sah Glander an. Der wandte sich seinerseits beschwichtigend zu Maria Berthold. »Beruhigen Sie sich! Wir werden fürs Erste lediglich Nachforschungen anstellen. Bitte besprechen Sie das Vorgehen aber unbedingt mit Ihrem Mann! Vielleicht kann er Sie ja davon überzeugen, die Polizei einzuschalten. Wir können momentan nur warten, bis die Täter erneut Kontakt aufnehmen. Frau Celik und ich werden hier bei Ihnen bleiben.«
»Ich danke Ihnen, Herr Glander. Wenn Sie mich kurz entschuldigen würden, ich bin gleich wieder da.« Maria Berthold erhob sich und verließ das Wohnzimmer.
Merve sah Glander an und sagte leise: »Rufst du die Kollegen an, oder soll ich das übernehmen?«
»Keiner von uns macht das, erst einmal. Ich hoffe, Frau Berthold besinnt sich noch. Sonst rede ich mit dem Ehemann, sobald der hier auftaucht. Ich möchte, dass du in den Krankenhäusern anrufst, für alle Fälle. Taras Foto hast du ja, um sie zu beschreiben. Ich lasse Frau Berthold eine Aufstellung von Taras Wochenablauf machen. Wir müssen die Orte aufsuchen, an denen sie sich regelmäßig aufgehalten hat. Vielleicht ist dort jemandem etwas Ungewöhnliches aufgefallen.«
Merve blickte Glander ernst an. »Ich finde es sehr merkwürdig, dass der Ehemann nicht hier ist. Das Kind wird entführt, und er überlässt seine Frau sich selbst. Das ist nicht normal. Nicht mal für euch Deutsche.«
Glander nickte grimmig. »Da hast du wohl recht. Tara ist nicht seine Tochter, das weiß aber niemand. Mein Gefühl sagt mir, dass noch mehr dahintersteckt, und ich hoffe, wir finden möglichst schnell heraus, was es ist.«
Merve zog sich in das benachbarte Esszimmer der Familie Berhold zurück, klappte ihren Laptop auf und begann, die familiäre und finanzielle Situation der Bertholds und der Mieter des Hauses zu durchleuchten, sowohl auf rechtlich unbedenklichem Weg als auch auf einigen Pfaden, die etwas abseits der Legalität lagen. Während sie auf die Ergebnisse ihrer Suchanfragen wartete, telefonierte sie die umliegenden Krankenhäuser ab, doch wie erwartet war in keines ein Mädchen eingeliefert worden, auf das Taras Beschreibung passte. Danach ging sie in Taras Zimmer. In dem Raum befanden sich ein schmales, ordentlich gemachtes Bett und ein funktionaler Kleiderschrank aus Kiefer, der eine Menge Tennisbekleidung enthielt. Vor dem Fenster stand ein aufgeräumter Schreibtisch, davor ein teurer Stuhl aus dem Orthopädiefachhandel. Die Wände waren in einem Beigeton gestrichen, der Teppich war blaugrau mit eingestreuten Rauten in Orange. Merve stand in einem Zimmer, das nicht typisch für ein Mädchen in Taras Alter war. Keine Spur von Romantik. Es fehlte auch der übliche Kitsch, den Siebzehnjährige oft um sich herum verbreiteten. Nicht mal ein Lipgloss lag herum. Merve ließ das Ambiente auf sich wirken und nahm sich dann Taras Laptop vor, der geschlossen auf dem Schreibtisch lag. Sie war zuversichtlich, dass ihr das Passwort keine allzu großen Schwierigkeiten bereiten würde.
5
Tara hatte alles aufgegessen, so hungrig war sie gewesen. Jetzt las sie den Kaye im Licht der Taschenlampe. Sie war ganz ruhig. Über die Jahre hatte sie gelernt, Dinge auszublenden, und ein Buch war das perfekte Mittel dafür. Wenn Tara las, vergaß sie alles um sich herum.
Die Deckenluke öffnete sich einen Spaltbreit, und gleißendes Licht blendete sie, so dass sie nur eine Silhouette erkennen konnte. Eine Stimme, die klang, als hielte sich jemand etwas vor den Mund, sprach sie an.
»Ich werde dir nicht weh tun, wenn du tust, was ich dir sage. Ich gebe dir zu essen und zu trinken. Hab keine Angst! Ich werde mich um dich kümmern.«
Tara starrte in das helle Licht und wollte etwas erwidern, doch die Luke wurde wieder zugezogen. Sie schloss die Augen und wartete darauf, dass das rechteckige Flimmern vor ihren Augenlidern verschwand. Sie sollte keine Angst haben? Tara hatte immer Angst, nur wusste das niemand.
Maria Berthold war ins Wohnzimmer zurückgekehrt und saß Glander gegenüber. Ihr rechtes Augenlid zuckte, und sie öffnete und schloss ständig ihre Hände, ohne es zu merken.
»Frau Berthold, Sie erwähnten, dass Ihr Mann lediglich Taras Stiefvater ist. Kann es sein, dass Ihre Tochter bei ihrem leiblichen Vater ist? Haben Sie noch Kontakt zu ihm?«
Maria Bertholds Gesicht zeigte einen Ausdruck