Wenn alle Stricke reißen. Beate Vera

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Wenn alle Stricke reißen - Beate Vera

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schickte auch die Namen der anderen Jugendlichen an Merve.

      Louise fuhr inzwischen fort: »Also, Tara war richtig betrunken. Alle dachten aber, sie tue nur so. Das glaubt ja keiner, dass man so schnell blau wird. Die Jungs wurden dann unangenehm, und ich hab mir Tara geschnappt und bin mit ihr nach Hause gegangen.«

      »Inwiefern wurden die Jungs unangenehm?«

      »Ach, die waren einfach blöd! Leander hat die ganze Zeit Annalisa angemacht. Als die nicht darauf eingegangen ist, hat er Tara verarscht, die davon gar nichts mehr mitbekam. Max hat den Wodka nur stumm in sich hineingekippt. Tobi und Leander wurden dann richtig anzüglich, sie wollten Strippoker bei Tobi spielen und so was. Das war mir zu doof, und Tara und ich sind gegangen. Tara hatte ganz schön Schlagseite, wir haben für den Nachhauseweg ewig gebraucht. Ich habe mich im Hausflur von ihr verabschiedet und bin zu uns reingegangen.«

      »Wann war das in etwa?«

      »So gegen zehn, denke ich. Vielleicht auch ein wenig später. Genau kann ich es nicht sagen, meine Uhr braucht eine neue Batterie, und ich hab mich noch nicht darum gekümmert.«

      »War sonst noch jemand im Treppenhaus? Oder hat Tara vielleicht eine Nachricht auf ihrem Handy erhalten?«

      »Nein, ich habe nichts mitbekommen. Ich habe angenommen, dass Tara nach oben in die Wohnung geht. Herr Glander, ich mache mir große Vorwürfe. Ich hätte sie hochbringen müssen, sie war doch so betrunken! Aber sie hat mich weggeschubst und gesagt, sie sei kein kleines Kind und ich solle mich ver …, ich solle sie in Ruhe lassen.«

      »Sie trifft keine Schuld, Louise! Sie haben Tara immerhin sicher nach Hause gebracht, das war doch schon ein ordentlicher Freundschaftsdienst.«

      Louises Vater schaltete sich ein. »Was, denken Sie, ist mit Tara passiert?«

      »Ich kann Ihnen im Moment nicht mehr sagen, als dass sie verschwunden ist. Louise, hat Tara Probleme zu Hause oder in der Schule?«

      Louise zögerte. »Na ja, in der Schule läuft alles super, sie hat die besten Noten und muss sich dafür nicht mal übermäßig anstrengen. Mit ihrer Mutter versteht sie sich sehr gut, aber ihr Vater ist ein echter Kotzbrocken.«

      Jürgen Schneider mischte sich ein. »Lula, das kannst du doch nicht sagen! Professor Berthold war immer sehr gut zu uns.«

      Louise sah ihren Vater an. Für einen kurzen Moment flackerte Zorn in ihren Augen auf. »Klar kann ich das sagen! Er ist total gemein zu Tara. Du weißt doch auch, wie der sein kann!« Wieder zu Glander gewandt, fügte sie an: »Aber deswegen haut man ja nicht gleich von zu Hause ab. Außerdem hätte sie mir das gesagt. Ich bin ihre beste Freundin.«

      »Ist Ihnen in der Nähe des Hauses oder auf dem Schulweg irgendjemand aufgefallen? Ist Ihnen mal jemand gefolgt? Oder hat Sie angesprochen?«

      »Nein, ich habe nichts Ungewöhnliches bemerkt.«

      Glander zog seine Visitenkarte hervor. »Bitte sprechen Sie mit niemandem über die Angelegenheit, solange wir nichts Genaueres wissen! Sollte Ihnen etwas auffallen oder sollte sich Tara bei Ihnen melden, rufen Sie mich bitte an, egal, zu welcher Uhrzeit! Hier ist meine Karte.«

      Louise steckte sie in die Känguruhtasche ihres Sweatshirts, das den Aufdruck einer teuren Marke trug.

      Glander verabschiedete sich und ging wieder hinauf zu Maria Berthold.

      Es kostete Tara große Überwindung, den Eimer zu benutzen, der ihr für ihre Notdurft hingestellt worden war. Sie sehnte sich nach einem heißen Bad mit ihrem Lieblingsbadegel. Tara dachte an ihre Mutter, die sich sicherlich große Sorgen machte, und an ihren Vater, der bestimmt wie immer im Krankenhaus war. Dennoch versuchte sie, ruhig zu bleiben und nicht über ihre Situation nachzudenken. Mit diesem Mechanismus war sie schließlich bestens vertraut. Dinge auszublenden und sich aus der Gegenwart wegzudenken gehörte zu ihrer Überlebensstrategie. Sie griff nach der Taschenlampe und dem Buch und las im Palast der Winde weiter. Dabei dachte sie an Adam, mit dem sie seit einigen Wochen chattete, und fragte sich einmal mehr, wie er wohl aussah. Er war so verständnisvoll. Sie hatte das Gefühl, ihm alles sagen zu können. Vielleicht fände sie ihn sogar noch toller als Max. Tara stellte sich vor, wie einer der beiden zu ihrer Rettung kam, sie in seine Arme nahm und an einen sicheren Ort brachte.

      Glander war unzufrieden mit sich. Er spürte, dass er ein entscheidendes Detail übersehen hatte, kam aber nicht darauf, was es sein konnte. Er ging in Taras Zimmer, um sich selbst darin umzusehen. Der Raum wirkte unpersönlich und stillos im Vergleich zum Rest der eleganten Berthold’schen Wohnung. Als Glander die Kissen auf dem Bett anhob, fand er Taras iPhone. Es steckte zwischen der Matratze und dem Bettrahmen, der Akku war leer. Das war es, was ihn unterschwellig beschäftigt hatte! Warum hätte Tara, betrunken wie sie war, grundlos noch einmal das Haus verlassen sollen? Sie hätte doch eine Nachricht erhalten haben müssen, die sie dazu veranlasst hätte. Und wenn es so gewesen wäre, dann hätte sie sicher ihr Handy mitgenommen. Glander fand das Ladekabel in der Schreibtischschublade, verband es mit dem iPhone und schaute sich die eingegangenen Nachrichten an, nachdem das Handy ohne Passwortsicherung wieder angegangen war. Taras Mutter hatte im Laufe der letzten 24 Stunden acht Sprachnachrichten hinterlassen und zehnmal angerufen, ohne etwas auf die Mailbox zu sprechen. Es gab außerdem sechs SMS von Louise, die von Mal zu Mal mehr Ausrufezeichen hinter ihre Aufforderung an Tara setzte, sich bei ihr zu melden.

      Glander ging noch einmal nach unten zu Louise, die sofort an der Tür war. »Louise, hatte Tara ihr Handy gestern bei sich?«

      »Nein, ich glaube nicht. Ich habe sie jedenfalls nicht damit gesehen. Sie vergisst ihr iPhone aber öfter auf dem Bett, wenn sie beim Surfen oder Chatten einschläft.«

      »Danke, Louise.«

      Wenn Tara ihr Handy nicht dabeigehabt hatte, dann hatte sie unmöglich durch eine Nachricht dazu gebracht worden sein können, das Haus wieder zu verlassen. Tara Berthold hatte es offenbar nicht bis in die Wohnung geschafft. Also musste jemand sie im Hausflur abgefangen haben.

      Als Glander gegen sechzehn Uhr wieder in das Wohnzimmer der Bertholds trat, erwartete ihn dort Prof. Dr. Berthold.

      Heinz Berthold, ein drahtiger Mann Anfang sechzig mit graumeliertem kurzgeschnittenem Haar und einer schmalen, spitzen Nase, hatte ein hageres Gesicht und unruhige Augen, die ihm den Anschein verliehen, ständig auf der Hut zu sein. Oder auf der Suche nach einem besseren Investment. Er streckte Glander die Hand entgegen, ohne die Spur eines Lächelns auf seinen schmalen Lippen.

      Glander schüttelte die Hand mit einem gewissen Unwohlsein.

      »Ich bin Professor Doktor Heinz Berthold. Was haben Sie bis jetzt in Erfahrung bringen können?«

      »Es ist gut, dass Sie da sind, Professor Berthold. Ich möchte Sie bitten, Ihrer Frau noch einmal dringend zu raten, den Fall der Polizei zu übergeben.«

      Berthold sah ihn interessiert an. »Möchten Sie etwa kein Geld an uns verdienen, Herr Glander?«

      Glander widerte diese Frage an. Er hatte größte Mühe, die Abneigung, die er unwillkürlich gegen diesen Mann empfand, für den Moment zu verdrängen. Betont sachlich antwortete er: »Die Polizei hat erheblich mehr Personal als unsere Agentur, was den entscheidenden Unterschied ausmachen kann.«

      Bertholds Antwort war deutlich. »Es tut mir leid, aber Maria wünscht keine Polizei, und auch ich werde ihre Meinung nicht ändern können. Mir

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