Erfahrungen in einem sozialen Netzwerk. Edith Zeile
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Die Gouvernante
Ja, die gibt es auch noch! Sie durchsucht die Fotowand auf anstößige Objekte und drückt ihre Abscheu dann in einer kurzen Notiz am SCHWARZEN BRETT aus:
Wenn das Foto von Soundso nicht augenblicklich verschwinde, müsse sie sich hier ABMELDEN. Welcher Sittenverfall, welcher Mangel an Ästhetik!
Und dann wird in 200 bis 300 Kommentaren dieser unsägliche Affront kommentiert, zurückgewiesen, heftig unterstützt. Gedanken kreisen um das armselige Fotomodell und die liebreizende Gouvernante, die sich nun 200 bis 300 mal dem applaudierenden Publikum präsentiert.
Aufsehen erregen – warum denn nicht! Gesehen werden, erkannt werden, als Menschenfreund, als Misanthrop, als Gouvernante – das ist fast egal.
Der Guru
Es gibt ihn auch. Er meint, anderen die Welt erklären zu können. Er unterschätzt gelegentlich die anderen, die anderen unterschätzen ihn. Mitunter erscheint er als weiser, alter Lehrer, dem nichts mehr fremd ist, der seinen Weg unbeirrt geht und dem es egal ist, ob andere sich ihm anschließen oder nicht.
Das ist allerdings selten der Fall, denn er ist so gar nicht mehr von dieser Welt – und die andere Welt – gibt es sie überhaupt?
Ob er einen Bart hat? Welch lächerliche Frage!
Das Weibchen
Sie legt es darauf an, mit allen Männern Katz und Maus zu spielen. Sie lockt mit Blicken und Worten, wird verfolgt, verschlungen, angebetet – leider alles nur virtuell. Sie mag im wirklichen Leben eine kluge, treue, tüchtige Ehefrau sein, die hier – hinter Glas – ihre frühere Rolle belebt. Das ewige Spiel – neu inszeniert – und alle fallen drauf rein.
Die Angeberin
Eigentlich fällt sie nur auf, wenn sie sich in einer Notiz weitschweifig über das schlechte Niveau bei SB beklagt. Kein Mensch weiß, auf welchem Niveau sie sich selber befindet, denn meist ist sie erst kurze Zeit da, hat noch nie einen längeren Text geschrieben, und ihre Klagenotiz verzichtet großzügig auf alle Kommas.
Aber sie empfindet sich irgendwie an einem „unwürdigen Platz“, den das Schicksal ihr quasi zugemutet hat, und sie kann dieses Versehen nicht klaglos hinnehmen.
So werden an diesem Tag Hunderte ihre hohen Ansprüche loben, inbrünstig in ihr Klagelied einstimmen – oder seltener – sie um ein Körnchen Selbstkritik bitten.
Vielleicht gefällt es ihr am Abend schon besser, und sie mutiert dann zu einem Schmetterling (s. unten!).
Die Dirne
Da jeder diesen Typ kennt, genügt ein kurzer Hinweis auf die Notiz am SCHWARZEN BRETT: „Wer möchte heute Sex?“ Man braucht sich weiterhin keine Sorgen zu machen, dass diese Frage unbeantwortet bleibt.
Der Philosoph
Er schreibt alle anderen an die Wand, ellenlange Beiträge über Heidegger und Gadamer, schüttelt Sokrates-, Seneca- und Cicero-Zitate aus dem Ärmel und wird von jedem hundertsten Leser annähernd verstanden. Wer sich auf eine Diskussion einlässt, zieht immer den Kürzeren, denn er ist nebenberuflich Sophist, dreht dir das Wort im Munde um, und du stehst in kürzester Zeit als tumber Tor da. Deshalb wagen sich nur wenige aufs rhetorische Glatteis.
Leider sind Philosophen oft sehr sensibel und verletzlich, und unverstanden wollen sie auf Dauer auch nicht bleiben, so bleibt nur der Ausweg, sich ein spezielles Philosophie-Forum zu suchen.
Das ist schade, ein Verlust für die andächtige Gemeinde, die ergriffen um den Star kreist, auch wenn sie ihn nicht versteht.
Mutter Teresa
Mutter Teresa ist für alle irgendwie in Not geratene Sbler ein Geschenk des Himmels. Sie bietet ihre Hilfe in liebevollen Worten am SCHWARZEN BRETT an, und schon stürzen sich vom Leben Geschädigte, von Krankheiten Geplagte, von Männern verlassene Frauen in ihre ausgebreiteten Arme. Sie kennt sich aus, wenn es um Kräutertees für Schlafprobleme geht oder Rezepte aus Großmutters Zeiten, die durchaus aphrodisische Wirkung haben dürfen. Sie nimmt Hunde und Katzen in Pflege, wenn sie am selben Ort wohnt.
Sie ist meist älter, hat keine Partnerwünsche mehr und deshalb viel Zeit und Energie für die Zu-Kurz-Gekommenen, Kranken, Sterbenden und Einsamen beiderlei Geschlechts.
Sie ist immer da, immer bereit, eine Ur-Mutter!
Der/die SchmetterlingIn
Er/sie fliegt von einem zum Anderen. Er/sie sammelt Kontakte, pflegt sie nicht, hat seine schönen Flügel gezeigt, Sehnsucht erzeugt – und weg ist er/sie.
Man darf nicht vergessen, dass sie fliegen MÜSSEN. Sie können nicht anders. Man darf ihn/sie bewundern, ihnen kurzzeitig verfallen, aber nicht mitfliegen!
Der Moralist
Er hat etwas mit der Gouvernante gemeinsam, denn er meint, er müsse sich überall für Ordnung, Zucht und höhere Werte einsetzen. Während es ihr eher um das Einhalten von Vorschriften geht, betont er, dass Menschen sich Tugenden verpflichten sollten.
Wenn also jemand „offene Ehen“ am SCHWARZEN BRETT propagiert, wird er mit Sicherheit an die 10 Gebote erinnern, wird selber seit 40 Jahren ungeheuer glücklich mit einer einzigen Frau verheiratet sein, was in unserer freien Gesellschaft mittlerweile Seltenheitswert hat.
Man braucht Moralisten, auch wenn sie manchmal nerven, aber sie setzen Grenzen und sorgen dafür, dass die Menschheit nicht in totaler Anarchie versinkt.
Der Verseschmied
Die Zahl der Verseschmiede im Land der Dichter und Denker ist erstaunlich groß. Manche Sbler reagieren nur noch in gebundener Rede, d.h. sie reden in Versen, ob mit oder ohne Reim.
Am SCHWARZEN BRETT lässt sich eine Gedichte-Wand selektieren, die jedem kritischen Leser – womöglich einem Philologen – Lust und Schmerz bereitet.
Manchmal steht ein © unter Zeilen, die sich nur reimen und inhaltlich nichts bieten, und dann erscheint