Die Schuhleiche. Michael Schlinck

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Die Schuhleiche - Michael Schlinck

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Wir sind hier in ein paar Minuten fertig, dann kannst du auch nach Hause fahren. Allerdings muss ich dich leider bitten, für uns erreichbar zu bleiben für den Fall, dass wir noch einmal in das Gebäude müssen.“

      „Komm, Dieter, ich find eh keine Ruhe, ich lade dich zum Essen ein.“

      Eigentlich eine gute Idee von ihm, denn erst jetzt fällt mir auf, dass ich seit dem Frühstück nichts mehr in meinen Magen bekommen habe. Normalerweise verschlägt mir der Anblick einer Leiche für mehrere Tage den Appetit, aber heute blieb mir der Anblick durch mein spätes Eintreffen ja erspart. Der bebilderte Obduktionsbericht würde mir frühestens am Montagnachmittag meinen Hunger rauben. Allerdings hat Natalie sicher auch was vorbereitet und ich würde mich freuen, den Samstagabend mit meiner Familie zu verbringen.

      Andererseits weiß Gusti auch immer sehr gute Adressen und scheut keine Kosten, seine Gäste kulinarisch zu verwöhnen.

      „Natalie wartet, aber komm doch einfach mit zu uns“, versuche ich meinen Konflikt zu lösen.

      „Damit deine Kinder Alpträume bekommen, weil wir beim Essen über ein Mordopfer reden? Nee, Dieter, lass mal. Ich will ja nicht bei deiner Familie in Ungnade fallen.“

      Da ist auch was Wahres dran. Also gebe ich mich geschlagen. „Okay, aber wir bleiben in der Nähe, damit ich nicht noch später nach Hause komm.“

      „Dann gehen wir doch zum Mario nach Waldrohrbach“, sagt Gusti spontan.

      Diese Idee sitzt. Mario mit seiner Familie hat durch sein La Rusticana Waldrohrbach deutlich bekannter gemacht, als es für eine 375-Seelengemeinde üblich ist. Im XXL-Wahn hat Mario der Welt gezeigt, was italienischer Gigantismus ist. Eine normale Pizza wird auf zwei Tellern serviert und ein Beilagensalat reicht als Mahlzeit für meine ganze Familie. Mit einem deutlich vernehmbaren Knurren nimmt mein Magen Gustavs Einladung dankend an.

      Beim Verlassen des Gebäudes sehe ich Lara noch telefonierend auf dem Gehweg stehen. Ich gehe auf sie zu, um letzte Informationen mit auf den Weg zu nehmen, kann aber nur noch mithören, wie sich Lara verabschiedet.

      Unaufgefordert sprudeln die Informationen aus ihr heraus: „Die Geschäftsleitung der Spedition Bock konnte ich nicht erreichen. Allerdings sprach ich mit der Seniorchefin, die mir sagte, dass spätestens ab Montagfrüh um 7 : 30 Uhr das Büro in Godramstein besetzt ist.“

      Auch nicht schlecht. So kann ich vielleicht wenigstens einen freien Sonntag mit meiner Familie verbringen.

      „Schau bitte noch, ob der Einbruch, von dem der Fahrer sprach, polizeilich aufgenommen wurde und aktenkundig ist. Wenn ja, dann wäre es schön, wenn du es mir nach Hause an meine private E-Mail-Adresse schicken könntest.“ Lara nickt zustimmend und ich verabschiede meine Kollegen ins Wochenende.

      Was nun kommt, hat absoluten Seltenheitswert. Gusti, mit dem ich in unserer Freizeit als Rallyeteam unterwegs bin, fährt in seinem Porsche vor mir her über die ländliche Route nach Waldrohrbach, ganz ohne Geschwindigkeitsübertretungen, ohne Überholmanöver, eben wie ein ganz gewöhnlicher Verkehrsteilnehmer, was mir zeigt, wie ihn die ganze Geschichte mitgenommen hat. Gut, dass ich mir nun doch etwas Zeit für ihn nehme.

      Nach einem ereignisarmen Sonntag im Schoße meiner Familie bin ich auf dem Weg ins Büro nach Landau. Es ist Montagfrüh kurz vor sieben. Die einzige Neuigkeit im aktuellen Fall ist die E-Mail von Lara mit der Akte zum Einbruch bei der Godramsteiner Spedition. Nichts Spektakuläres. Diebstahl der Mannschaftskasse und allerhand Sachbeschädigung. Wohl eher jugendliche Rabauken als professionelle Einbrecher. Umso wichtiger ist es, dass ich schnell dort hinkomme, um mir selbst ein Bild zu machen.

      Schön ist, dass Laras Auto schon auf dem Hof des Präsidiums parkt. Nicht so schön ist, dass es mal wieder wie so oft mindestens zwei Parkplätze belegt. Zur Entschuldigung muss aber auch erwähnt sein, dass sie oft auch für zwei arbeitet.

      Auf dem Weg nach oben ins Büro überhole ich sie dann auch schon im ersten Stock, was an ihrem äußerst attraktiven Erscheinen liegt. Der Weg in unser Büro ist für Lara so beschwerlich, weil sämtliche männlichen Kollegen der Schutz- und Verkehrspolizei sie dermaßen mit verbalen Blumensträußen überhäufen, dass es mich regelmäßig wundert, dass sie überhaupt oben ankommt. Zum Glück sind Timo und ich in festen Händen. Somit können wir uns wenigstens auf unsere Arbeit konzentrieren.

      Oben angekommen, trifft mich fast der Schlag. In unserem kleinen Großraumbüro sieht es aus wie auf einer Baustelle. Auf den Möbeln sind Plastikplanen ausgelegt und am Boden entlang ist in schön gleichmäßigen Abständen ein Dreckhäufchen. Am Ende der Spur hinter dem Schreibtisch, an dem in der Regel Timo sitzt, kniet ein Arbeiter in einer Latzhose, die den Namen nicht mehr verdient. Zwischen den weit aufklaffenden Löchern ist so viel Gips und Schmutz, dass die Hose sicher auch ohne Inhalt aufrecht stehen bleiben würde.

      „Was machen Sie denn hier?“, ist das Einzige, was ich zur Begrüßung meines Gastes über die Lippen bekomme.

      „Jesses, bin ich awwer jetzard verschrogge (Gütiger Gott, welch ein Schreck)“, kommt mir in tiefster Eingeborenensprache entgegen. Da ich ja auch im Pfälzerwald aufgewachsen bin, macht mir der Dialekt keine Mühe.

      „Ja, was esch dann do los? Ich misst dohin was schaffe (Was ist denn hier im Gange? In diesem Raum müsste ich mein Tagwerk verrichten).“ Damit hoffe ich, ihn zu vertreiben.

      „Do sieht’s awwer schlechd aus. Ich muss noch ä Dos setze, schunnschd häb ich Ärcher mit meim Scheff. Kannschd nid noch ä bissel wu annerschd hie geh (Auf die Gefahr hin, dich zu enttäuschen, muss ich sagen, dass mein Anliegen ist, hier noch eine Anschlussdose anzubringen, denn ich scheue die Auseinandersetzung mit meinem Arbeitgeber. Würde es dir denn etwas ausmachen, noch in einer anderen Räumlichkeit die Wartezeit zu überbrücken)?“

      Aha, beim Du sind wir inzwischen auch schon?! Das kann ich auch! „Wann du nid drunne in de Zell lande willschd, dann mach, dass du Land gewinnschd! Awwer plödzlich (Wenn du nicht im Arrest zu verweilen wünschst, dann breche deine Tätigkeit ab und dabei würde ich dir Eile empfehlen).“ Das sollte doch jetzt mal Wirkung zeigen.

      „Dann schberr mich hald ei. Ich geh nid zu meim Scheff un sach ehm, dass mei Ärwid nid ferdich esch. Un ehr brauchen eich ach nimmi zu beschwere, dass des Internet nid richdich geht (Ich bevorzuge den Arrest anstatt der Möglichkeit, meinen Arbeitgeber darüber ins Bild zu setzen, dass ich meinen Auftrag nicht beendet habe. Zudem werde ich unsere Beschwerdestelle informieren, dass Reklamationen über eine unzureichend funktionierende Internetverbindung aus Ihrem Hause künftig zu ignorieren sind)!“

      Deshalb ist der da! Endlich schnelles Internet. Der WLAN-Empfang hier unterm Dach ist mehr als dürftig und deshalb hab ich vor Wochen schon einen Direktanschluss beantragt. Unter diesen Umständen will ich den Dreckspatz natürlich gewähren lassen. „Wann beschd dann verdich (Wann darf ich den Abschluss der Arbeiten erwarten)?“, will ich noch wissen.

      „Och, so ä gudes Schdinnel wärds noch dauere (Meiner Erfahrung nach zu urteilen, wäre ein Zeitrahmen von circa sechzig Minuten angemessen).“

      Ohne Verabschiedung verlasse ich den Raum. Im Flur vor dem Büro begegnet mir Lara, die es inzwischen geschafft hat, sämtlichen männlichen Personen im Haus, die nicht der gleichgeschlechtlichen Liebe verfallen sind, einen Korb zu erteilen.

      „Hallo, Laura, lass uns nach unten gehen. Hier oben haben wir Handwerker.“

      „Du wirst, nachdem ich mich an dem ganzen

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