Die Schuhleiche. Michael Schlinck

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Die Schuhleiche - Michael Schlinck

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Sie bitte mit. Aber es ist nicht der Rede wert. Nur der Sachschaden, den die Burschen verursacht haben, ist nicht ganz unerheblich.“ Während er spricht, gehen wir in einen Aufenthaltsraum, der einfach mit Spantafeln in ein Lagerregal integriert wurde.

      „Hier steht die Tippkasse unserer Lagerarbeiter und der Fahrer. Daraus fehlen 85 Euro und vom Scanrechner am Warenausgang fehlt der Monitor. Ansonsten wurde reichlich kaputtgemacht. Hier drinnen die Kaffeemaschine und die Mikrowelle und draußen in der Halle wurden sämtliche Netzwerkleitungen aus der Wand gerissen. Zum Glück konnte das unser IT-Spezialist gleich am Freitag wieder in Ordnung bringen, sonst wäre der laufende Betrieb zusammengebrochen.“

      Jetzt wird es Zeit, dass ich mal zur Sache komme. „Sie haben am Freitag noch die Firma Schuhqualität beliefert. Ich würde gerne wissen, wo die Lieferung gelagert wurde.“

      Ohne eine sichtbare Reaktion sagt der nette ältere Herr: „Das kann ich Ihnen aus dem Stegreif nicht sagen. Wir haben zurzeit für circa 1.200 Kunden Ware eingelagert. Die kann ich nicht alle im Kopf haben. Wenn Sie es genau wissen wollen, müssen wir im System nachschauen.“

      Ich bitte darum und folge ihm zum nächsten Rechner beim Warenausgang. Nachdem er kurz ein paar Tasten betätigt hat, meint er: „Ja, da waren zwölf Paletten von letztem Dienstag bis Freitag hier. Sie haben gleich da drüben gestanden.“ Er nimmt den Kopf hoch und deutet mit seinem Kinn in Richtung der äußersten Regalreihe.

      Ich lass es mir nicht nehmen, mir alles aus der Nähe anzusehen. An den Metallstreben und auch an den Fachböden kann man den Regalen deutlich ansehen, dass sie seit Jahren Schwerstarbeit leisten. Als ich nach oben sehe, fällt mir ein altes, schlecht zu lesendes Schild auf, das sicher auch schon sehr lange da oben hängt. Üb … er … are oder so? Ich klettere auf die untere Palette und versuche noch einmal zu lesen.

      „Überseeware“, ruft Bock zu mir hoch, der wohl bemerkt hat, was mich interessiert.

      Nachdem ich wieder auf dem Boden bin, frage ich erst mal, wie die Schuhe für die Firma Schuhqualität ins Überseeregal kamen.

      „So etwas kommt schon mal vor“, bekomme ich als Antwort. „Wenn etwas nur kurz lagert oder gar nur umgeladen wird, versucht unser Personal die Ware nahe bei den Toren zu lagern. Und wenn beim Innlandsverkehr gerade nichts frei ist und bei Übersee kein Wareneingang zu erwarten ist, stellen die auch mal was hier ab. Dank der modernen EDV und Barcodes geht ja heutzutage nichts mehr verloren. Früher hätte uns so etwas noch zur Weißglut gebracht.“ Jetzt muss er lachen.

      „War an den zwölf Paletten irgendetwas auffällig? War die Verpackung beschädigt oder etwas Ähnliches?“ Mir ist es jetzt wichtiger, in meinem Fall weiterzukommen, anstatt von Früher zu plaudern.

      „Im System wurde nichts vermerkt. Können Sie mir sagen, was an zwölf Paletten Schuhe so interessant sein soll? Wir haben sicher viel wertvollere Dinge in unserem Lager.“ Langsam ist er sichtlich genervt.

      „Ganz einfach. In einer der Paletten war eine Leiche versteckt und ich bin mir sicher, dass sie Ihnen bei dem Einbruch untergeschoben wurde“, lasse ich die Bombe platzen.

      „Himmelsakrament und noch einmal! Das kann nicht Ihr Ernst sein!“ Sämtliche Farbe hat nun sein Gesicht verlassen.

      „Leider ist das mein Ernst. Ich möchte Sie bitten, die Sache diskret zu behandeln, da wir noch nichts an die Presse geben wollen. Des Weiteren wollte ich Sie auch noch bitten, bei Ihrem Personal nachzuhören, ob jemandem etwas an den zwölf Paletten aufgefallen ist, und mir sofort Bescheid zu geben, wenn es so wäre.“ Bei meinem letzten Satz hab ich Herrn Bock meine Visitenkarte überreicht, während er bereitwillig nickt.

      Nun ist es höchste Zeit, Lara aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Senior Bock und ich machen uns auf den Weg in Richtung Büro, an dem wir auch eine gefühlte Stunde später ankommen. Ohne anzuklopfen, öffnet Joseph Bock die Tür und ich sehe meine Kollegin mit dem Gigolo an einem Klavier sitzen, das mir vorhin gar nicht aufgefallen ist. Sie spielen vierhändig den Flohwalzer und amüsieren sich anscheinend köstlich dabei.

      „Frau Schmitt“, ich kann auch autoritär sein, „wie weit ist Ihre Recherche vorangeschritten?“

      „Ich habe recherchiert, dass Marcus ein ausgezeichneter Klavierlehrer ist“, sagt sie zu mir, ohne das Spiel zu unterbrechen. Beim Du sind die auch schon. Und er? Richtig – er ignoriert mich! Ich spüre förmlich, wie mein Kopf knallrot wird und zu platzen droht.

      „Lara, ähh, Laura. Wie auch immer. Wir müssen los oder hast du vergessen, dass wir einen Mord aufzuklären haben?“

      Ich hab schon mindestens einhundert anständige Männer um sie werben sehen und dann sitzt sie mit diesem Solariumfuzzi am Klavier. Was ist das nur für ein Tag heute? Mich würde nicht wundern, wenn die Bundesregierung bekannt geben würde, dass wir künftig Weihnachten im Sommer feiern, um den Lichterketten weniger Betriebsstunden zuzumuten.

      Ich verabschiede mich von Herrn Bock senior, nicht ohne mich für seine Kooperation zu bedanken und ihn daran zu erinnern, mir bitte alle Auffälligkeiten zu melden.

      Dann muss ich hören, dass sich Lara mit den Worten „Bis heute Abend dann“ verabschiedet. Na warte, liebe Kollegin, das kannst du vergessen! Ich werde dir schön eine Observation oder einen Nachtdienst reindrücken. Der Schönling hat den falschen Mann einfach ignoriert. Rache ist Blutwurst. Ich steige in den Mini, ohne den McLaren überhaupt eines Blickes zu würdigen.

      Die Fahrt zur Wache verbringen wir schweigend. Nur mit dem Unterschied, dass Lara verträumt vor sich hin grinst und ich schon Schaum vor dem Mund bekomme. Was für ein rabenschwarzer Montag! Ich kann ja nicht wissen, dass es gleich noch schlimmer wird.

      Als wir kurz vor der Wache an der roten Ampel in der Westbahnstraße stehen, kommen von links zwei Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr, deren Sonderzeichen eingeschaltet sind. Das heißt, die Jungs sind tatsächlich im Einsatz. Die sind ja um ihren Job nicht zu beneiden. Sie müssen jede Katze aus dem Baum holen oder auch jedem Heimwerker aus der Klemme helfen, wenn er sich aus Unwissenheit in Gefahr gebracht hat.

      Da die Feuerwehr ausgerechnet bei meiner Grünphase vorbeikommt, muss ich noch einmal eine Ampelschaltzeit auf Grün warten.

      Endlich ist es so weit und kaum fünfzig Meter weiter biege ich in den Hof unserer Wache ab.

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