Luthers Kreuzfahrt. Felix Leibrock

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Luthers Kreuzfahrt - Felix Leibrock

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doch nicht die Leute anpflaumen. Wir müssen die unterhalten, verstehst du? Sonst verlieren wir hier alle unseren Job!“ Jenny nickte heftig. Die beiden taten Wolle leid. Er hatte sie in richtig große Schwierigkeiten gebracht, weil er die Gepflogenheiten auf dem Schiff und die strengen Anweisungen für das Personal nicht kannte. Kleinlaut fragte er die beiden, was er tun solle, um die Scharte wieder auszuwetzen. „Keine Ahnung, lass dir was einfallen! Wir machen jetzt erst mal weiter.“

      Jenny und Kai sprangen wieder aufs Freideck, zeigten beste Laune und begannen ein Quiz, bei dem Cocktails und andere leckere Preise winkten. Wolle dagegen saß geknickt in der Küche der Pool-Bar. Schon mit seinem ersten Auftritt hatte er sich viele Sympathien verscherzt! Wie sollte er da seine Vision umsetzen, Luthers kreatives Denken und sein Vertrauen in die höhere Macht unters Volk zu bringen, wenn er selbst so ein Spielverderber war? Der Mann aus Nazareth, erinnerte er sich, hat auf der Hochzeit zu Kana nicht die Party mit irgendwelchen Befindlichkeiten verdorben. Im Gegenteil, als der Wein alle war, hat er noch besseren besorgt, damit die Party weitergeht.

      Auf Deck war sie schnell wieder da, die unverwechselbare, einzigartige NOFRETETE-Laune. Schepperndes, brüllendes, wieherndes Lachen auch beim dünnsten Witz, gierige Blicke beim Verteilen der Strohhalme auf richtige Fragen, die den erfolgreichsten Sammlern reiche Cocktail-Ausbeute in Aussicht stellten. Jenny und Kai hatten es binnen kurzer Zeit geschafft, den von Wolle angerichteten Flurschaden nicht nur einzudämmen, sondern vergessen zu machen. Das Quiz war abgeschlossen, viele zufriedene Gesichter. Die beiden Animateure setzten an, mit Waka-Waka, This Time for Africa von Shakira auf den nächsten Hafen, La Goulette in Tunesien, einzustimmen, da ertönte Wolles ein wenig pastoral wirkende Stimme unverkennbar aus dem Poollautsprecher. „Achtung, Achtung, eine Durchsage. Hier spricht ein reuiger Sünder. Wolle Luther hat sich noch nicht akklimatisiert auf dem Schiff. Er kennt den NOFRETETE-Code noch nicht. Doch gelobt er jetzt Besserung. Hinter dem Vorhang zur Pool-Bar steht eine kleine Versöhnungsgabe. Bitte bedient euch. Ende der Durchsage. Euer Wolle.“

      Zwei Philippiner zogen den Vorhang, der vor der Pool-Bar aufgebaut war, auseinander und legten den Blick frei auf einen länglichen Tisch mit Hunderten Plastebechern voller frisch gezapften deutschen Pilsbieres. Eigentlich war das der Begrüßungstrunk des Kapitäns. Wolle aber hatte das erfahren, sich vergewissert, dass dieser nicht persönlich vorbeikam, sodann das Zweitmikrophon ergattert und sich die Runde Freibier auf die eigenen Fahnen geschrieben. Jenny, Kai und der philippinische Barchef der Pool-Bar durchschauten das Manöver. Allerdings sprangen die Seelöwen jetzt erstaunlich behände von ihren Liegen hoch und sicherten sich jeder einen, manche auch zwei der Halbliterbecher. Sie stießen auf Wolle an und ließen ihn hochleben. Dieser strahlte mit den kleinen Augen hinter seinem wallenden Bart hervor, stieß mit jedem fröhlich an und hatte am Schluss selbst einige Becher bei mittlerweile starker Sonnenhitze gekippt. Jenny und Kai waren froh, den Stimmungsfauxpas auf diese Weise ausgebügelt zu wissen. Waka Waka ertönte, und Wolle schritt stark hin und her wackelnd übers Deck und lud andere ein, ihm zu folgen, eine Polonaise zu bilden. Schon bald schlängelte sich ein langer Zug, darunter alle Jüngerinnen des Gesundheitsapostels Sebastian Kneipp aus Stuttgart-Bad Cannstatt und die sächsischen Imker mit Panamahüten, über Liegen, steuerbord an den Tischtennisplatten vorbei zur Afrika-Bar und backbord zurück. Die Stimmung war prächtig. Jenny und Kai strahlten um die Wette. Wolle fühlte sich ermutigt, die Polonaise nun auch die Freitreppe hinauf an den Whirlpools vorbei zum Sonnendeck zu führen. Der Zug geriet ein wenig ins Stocken, als Wolle mit seinen kurzen Beinen Stufe für Stufe der Freitreppe erklomm. Von hinten gab es einen leichten Druck der Polonaisemasse. Plötzlich spürte Wolle ein Kitzeln an seinem Oberschenkel, verursacht durch die Yucca-Palme, die zwischen den beiden oberen Whirlpools zur Staffage stand und afrikanische Assoziationen wecken sollte. Kitzeln hatte Wolle noch nie ertragen! Hinzu kam der Druck der nachrückenden Polonaiseschar und die Wirkung der Pilsbecher. Wolle strauchelte und stürzte mit einem riesigen Platsch in einen der Whirlpools. Zuerst der Kopf und dann der ganze Körper hinterher. Gierig schlürften die Düsen des Pools nach Wasser, das aber nur noch in Restmengen im Pool selbst vorhanden war, dafür in umso größerem Maße jetzt die Freitreppe hinunterströmte. Auf ähnliche Weise musste das Nördlinger Ries entstanden sein, als ein gewaltiger Meteorit einschlug. Wer die Entstehung von Impaktkratern nachvollziehen wollte, war hier Zeuge einer beeindruckenden geologischen Demonstration geworden.

      „Wat is denn da vorne los?“, krähte Jupp Schmitz vom Ende des Zuges. Vor ihm auf dem gesamten Pooldeck und oben an der Innenreling des Sonnendecks krümmten sich die NOFRETETE-Gäste vor Lachen. Wolle selbst war äußerst unglücklich mit der Nase auf einer lechzenden Sprudeldüse gelandet, die den Eindruck erweckte, sie wolle ihn in die Eingeweide des Whirlpools hineinziehen. Nur mühsam befreite er sich, richtete sich auf und sah, wieder in der King-Kong-Position auf dem Empire State, die wiehernde Masse. Dieses Mal wusste er, wie er sich zu verhalten hatte, auch wenn er zunächst nicht erkannte, warum das Lachen kein Ende nehmen wollte: Das Whirlpool-Wasser hatte die bei seiner Leibesfülle ohnehin nur rudimentären Stoffelemente der Dienstkleidung so eng an seinen Körper geklebt, dass er problemlos an jedem Wet-T-Shirt-Wettbewerb hätte teilnehmen können. Mit seinen ausgebildeten Brüsten überbot er Gesine Harms um ein Vielfaches. Auch bei einem Wet-Boxer-Short-Contest standen seine Chancen nicht schlecht, wie ein Blick auf den Bereich unterhalb des Bauchansatzes verriet. Wolle Luther, ein moderner Hermaphrodit, zwei in eins. Er blickte an sich herunter, erkannte sein Zwitterwesen und stimmte dann in das Gelächter mit ein. Als ob es die ganze nordafrikanische Festlandsbevölkerung hören sollte, brüllte er vergnügt:

      „Ist es ein lebendig Wesen,

      Das sich in sich selbst getrennt?

      Sind es zwei, die sich erlesen,

      Dass man sie als eines kennt?

      Solche Fragen zu erwidern

      Fand ich wohl den rechten Sinn.

      Fühlst du nicht an meinen Liedern,

      Dass ich eins und doppelt bin?“

      Lieder, das war das Stichwort für Jenny, ein paar heiße Sommerrhythmen aufzulegen. Die Stimmung war auf dem Siedepunkt. Wolle avancierte binnen kurzer Zeit vom Buhmann zum Liebling. Anerkennend klopfte ihm Kai auf die Schulter. „Gut gemacht! Echt professionell, wie du noch mal die Kurve gekriegt hast, ha, ha!“

      Wolles Augen aber wanderten über das Pooldeck. Er sah, wie der Mann, der gefragt hatte, ob er wie der Reformator heiße, von einer Liege im Schatten aufstand. Mit einem Wink forderte er andere, die ebenfalls im Schatten lagen, zum Mitkommen auf. Alles Personen, die bei der Polonaise nicht mitgemacht hatten und auch nicht in Bikini oder Badehose, sondern in unauffälliger Sommerkleidung auf den Liegen unter dem Sonnendeck ausgeharrt hatten. Der Leiter der Gruppe war Cornelius Schwacke, Pfarrer und Luther-Beauftragter mehrerer Kirchenkreise der Evangelischen Kirche in Westostdeutschland, der eine Tagung auf der NOFRETETE über die Perspektiven des Lutherjahres 2017 mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Tourismus und Kirche durchführte. Leute, die sich bisher nur von Begegnungen in miefigen Sitzungsräumen her kannten. Kein Wunder, dass die sich nicht gleich voreinander entblößten. Perspektiven zum Lutherjahr 2017, da nehme ich teil, sagte sich Wolle. Doch wie sollte er das anstellen?

      Erst einmal hatte er einen Termin beim Kapitän, wie ihm Nadja vom Key Account Management mit bedeutungsschwangerer Miene mitteilte. War es eine Einladung? Oder eher eine Vorladung? Mit vielem rechnete Wolle. Nie aber damit! Seine Vergangenheit sollte ihn auf der NOFRETETE einholen. Der Hammer!

      V

      Ulrike Braunholz war, objektiv gesehen, keine makellose Schönheit. Das Gesicht etwas länglich und pausbäckig, die Nase schmal, die Wangenknochen slawisch ausgeprägt, die Figur unauffällig. Sie war nicht der Typ Mädchen, dem alle Jungs mit offenem Mund hinterherstarrten. Aber Didi war seit der ersten Begegnung an der Bushaltestelle vollkommen besessen von ihr. Unerfahren im Umgang mit dem anderen Geschlecht grübelte

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