Zurück. Fabian Vogt

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Zurück - Fabian Vogt

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Schriftsteller aus dem zweiten Jahrhundert, dessen Karriere mit einem Traum anfing, den er als junger Mann hatte. Er wollte unbedingt Anwalt und Redner werden. Und es gab nur einen ernsthaften Hinderungsgrund: Lukian lebte in Samosata am Euphrat, also in Syrien, die Weltsprache der damaligen Zeit war aber Griechisch. Doch er wusste, dass man, wenn man eine Vision für sein Leben hat, groß denken muss. Also setzte er sich hin und studierte monatelang bei verschiedenen Lehrern Griechisch, bis er die fremde Sprache fließend sprechen und schreiben konnte. Und dann zog er los und fing an, seinen Traum zu leben.“

      Max wirkte genervt: „Ja und?“

      „Du meinst, warum ich dir das erzähle? Weil mich der Typ fasziniert. Weil er einer war, der wusste, was er wollte. Und dafür war ihm kein Weg zu mühsam und kein Hindernis zu groß. Ich glaube, dass ich jetzt in meinem Studium auch endlich an dem Punkt bin, an dem ich weiß, welchen Traum ich habe. Und ich bin jetzt auch bereit, was dafür zu investieren. Ich habe zu lange alles mit halbem Herzen gemacht, jetzt fang ich an.“ Ich machte eine Pause, dann blickte ich ihm direkt in die Augen: „Weißt du, was du willst?“

      Er wich meinem Blick aus. „Keine Ahnung! Meinst du, ich soll Griechisch lernen, oder was? Das hat mir schon an der Schule gereicht.“

      „Na ja, es gibt sicher Schlimmeres. Eines ist jedenfalls sicher: Wenn dich das Unterrichten jetzt schon ankotzt, dann wäre es ja wohl das Sinnloseste, die nächsten 30 Jahre damit zu verbringen.“

      Mein jüngeres Ich schaute mich genervt an. „Und was hat dieser Lukian davon gehabt? Heute kennt ihn keiner mehr!“

      „Na, immer langsam! Ich bin ziemlich sicher, dass er ein sehr zufriedener Mensch war. Und es ist ja nicht übel, nach 1800 Jahren immer noch gedruckt zu werden. Das können nur wenige von sich sagen. Außerdem hat Lukian eine Menge anderer Dichter und Denker inspiriert. Goethe hat sogar die Geschichte vom Zauberlehrling von ihm geklaut. Ich jedenfalls gehe fest davon aus, dass ich als Altphilologe mehr über das Leben lerne als in der Sonderpädagogik.“

      Irgendwie wusste ich nicht weiter. Ich kam mir dumm vor. Ich saß da und versuchte, mich selbst von etwas zu überzeugen, von dem ich als 35-Jähriger gar nicht mehr überzeugt war. Und doch musste ich mich vor einem Beruf retten, der mich ruiniert hätte.

      Ich starrte auf meinen Teller, stocherte lustlos in meinen „Fettucine a la panna“, grübelte vor mich hin und suchte nach Argumenten. Max sah mich nachdenklich an. Als ich mit dem Blick dem Weinglas folgte, das er zum Mund führte, bemerkte ich, wie sich der geblümte Vorhang vor dem Windfang bewegte und eine Gruppe gut gelaunter Studentinnen aus der Kälte hereinkam. Die ersten beiden setzten sofort ihre Brillen ab, die in dem stickigen Raum beschlugen, und blickten mit großen Augen in den Raum. Die dritte strich sich genüsslich die Haare aus dem Gesicht und gab ihrer Freundin eine flapsige Antwort auf etwas, das diese gesagt hatte. Es war Verena.

      Verena, die Wilde, die Verrückte, die einzige Liebe meiner Studentenzeit. Verena, die Frau, die immer in der Angst lebte, etwas zu versäumen. Sie war es, die mir beigebracht hatte, Dinge um ihrer selbst willen zu tun: Tanzen, Singen und Spazierengehen, Weinen oder Streiten. Wir hatten drei wundervolle Jahre miteinander verbracht, in denen ich angefangen hatte, das Leben zu lieben. Als sie dann nach Hamburg gezogen war, um ihr Studium zu beenden, führten wir noch eine Zeit lang eine Wochenendbeziehung.

      Doch es ging uns wie so vielen. Da wir uns nur selten sahen, hatten wir keine gemeinsame Geschichte mehr. Wenn wir jetzt Zeit miteinander verbrachten, drehten wir uns nur noch umeinander und verloren dabei den Alltag völlig aus dem Blick. Nach den Wochenenden kehrte jeder in eine dem anderen unbekannte Welt zurück. Trotzdem hätte unsere Beziehung vielleicht überlebt, wenn ich sie nicht mit meiner Eifersucht kaputt gemacht hätte. Verena hasste es nämlich, kontrolliert zu werden, und ich hasste es, wenn sie immer wieder von Kommilitonen erzählte, mit denen sie ausgegangen war. Einmal hatte ich in meiner Wut und Ohnmacht, als sie mir am Telefon von einer „tollen“ Party mit „echt netten Männern“ erzählte, ein Stück aus dem Glas gebissen, das ich gerade in der Hand hielt.

      Ich glaube nicht, dass sie mich jemals betrogen hat, aber es reizte sie so sehr, mein Vertrauen auf die Probe zu stellen, dass sie in ihrem Übermut immer verfänglichere Situationen herbeiführte. Je eifersüchtiger ich wurde, desto herausfordernder lebte sie: Sie ging ständig mit Studienkollegen in die Sauna, ließ nach langen Lernabenden Freunde bei sich übernachten, berichtete stolz, welche Männer an ihr interessiert seien und betonte bei all dem, dass sie doch wohl nicht mein Eigentum sei.

      Für sie war das alles ein amüsantes, reizvolles Spiel, aber sie beendete es nicht, solange sie die Spielregeln noch kontrollieren konnte. Und ich Idiot war so eifersüchtig, dass ich anfing, ihr Verbote zu erteilen; was sie natürlich nur noch mehr reizte und anstachelte. In meiner Hilflosigkeit und Verzweiflung verlor ich wohl all die Eigenschaften, die Verena jemals an mir geliebt hatte. Und als wir uns trennten – das dachte ich damals jedenfalls –, wollte keiner von uns beiden, dass es passierte. Aber wir hatten uns zu sehr herausgefordert.

      Später heiratete sie einen Mediziner, der vor ihrer Scheidung mehrfach fremd ging. Ich schäme mich noch heute dafür, dass mir diese Entwicklung eine innere Genugtuung bereitete. Aber das sollte ja alles erst sehr viel später kommen.

      Jetzt war die 20-jährige Verena im Raum, und mir fiel wieder ein, dass ich ihr an diesem Abend das erste Mal begegnet war, am 14. Januar 1986. Ich konnte mir das Datum damals gut merken, weil es einen Monat vor dem Valentinstag lag.

      Spontan rief ich: „Hallo, Verena!“

      Sie sah mich irritiert an, und erst da wurde mir bewusst, dass ich für sie ein völlig Unbekannter war. Einer, der plötzlich die Anonymität aufbrach. Sie winkte unsicher zurück, und man konnte ihr ansehen, dass sie verzweifelt versuchte, mich einzuordnen, diesen 35-jährigen Kerl, der so vertraut tat. Es war für sie offensichtlich einer dieser grauenhaften Momente, in denen man sich nicht blamieren will, obwohl man mit dem fröhlich grüßenden Gegenüber nichts, aber auch überhaupt nichts anfangen kann. Sie zögerte.

      Ich aber wusste plötzlich, dass ich jetzt etwas tun musste, weil sonst mein 21-jähriges Ich niemals die Bekanntschaft dieser Prachtfrau machen würde. Jetzt hatte ich die Gelegenheit, mir etwas Gutes zu tun. Nein, ich musste sogar die Initiative ergreifen, wenn mein Leben nicht völlig anders verlaufen sollte, als ich es kannte.

      Weil Verena immer noch unschlüssig zwischen unserem Tisch und ihrer Clique hin- und herblickte, winkte ich sie herüber. Sie flüsterte ihren Freundinnen etwas zu und kam dann an unseren Tisch.

      „Sei nicht böse, aber ich kann mich im Augenblick gar nicht erinnern, woher ich dich kenne!“

      Ich lachte: „Du kennst mich auch nicht, aber jedes Mal, wenn eine schöne Frau den Raum betritt, rufe ich ‚Hallo, Verena‘, und nach 144 Versuchen hat es endlich geklappt. Du ahnst gar nicht, wie selten der Name Verena ist.“

      Sie strich irritiert ihre Haare aus der Stirn: „Erzähl keinen Mist. Also, woher kennen wir uns?“

      „Ich sage es dir, wenn du dich zu uns setzt.“

      Die Neugier siegte. „Aber nur einen kurzen Moment, ich bin ja nicht allein hier.“

      Sie nickte in Richtung ihrer Freundinnen, hängte ihre Handtasche über die Stuhllehne, und dann saß sie bei uns, Verena, die Kantige, die Frau mit den lachenden Augen und dem wissbegierigen Blick. Die Schöne mit den geschwungenen Augenbrauen, in deren Zügen sich noch Spuren ihrer tschechischen Vorfahren fanden. Ich war verzaubert. Meine Nase erkannte ihr Parfum wieder und verliebte sich sofort.

      „Ich bin Christoph, das ist Maximilian.“

      Sie stutzte:

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