Nox Arcanum. Asenath Mason

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Nox Arcanum - Asenath Mason

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wird bedauerlicherweise nicht ganz unkompliziert, aber wir haben alle Bausteine dafür zusammen und müssen sie nur noch auf die richtige Weise zusammenbasteln. Offenbar brauchen wir eine Art Religion, oder zumindest etwas, was ihr (wie James Stockdales Stoizismus) ähnlich genug ist, um uns die Entschlossenheit zu geben, die offenbar zu so außergewöhnlichen Leistungen fähig macht. Wie diese Religion oder Philosophie aussehen muss, erzählen uns die oft genug genannten vier Merkmale.

      Zuerst einmal – und das ist sicher der interessanteste Punkt – muss diese Religion irrational sein. Das ist nicht so problemlos, wie diejenigen glauben werden, die jede Religion für irrational halten, denn manche Religionen sind irrationaler als andere. Es macht einen Unterschied, ob man relativ vernünftig überprüfbare Meditationserlebnisse zur Grundlage seiner Religion macht, oder ob man entgegen jeder Logik die Legenden eines vorderasiatischen Hirtenvolkes zur absoluten Wahrheit erklärt und versucht, sie gegen die Wirklichkeit durchzusetzen. (Das erste wäre zum Beispiel im Buddhismus der Fall, das zweite bleibt dem Leser zum Selbststudium überlassen.) Außerdem hat Anton Szandor LaVey mit seiner Version des Satanismus eine der rationalsten Religionen/​Weltanschauungen abgeliefert, die die Religionsgeschichte überhaupt kennt – und die ich an dieser Stelle wohl kaum zu erklären brauche. LaVey hilft uns also bei der Verwertung für den Fanatismus nicht weiter, wir brauchen eine möglichst irrationale Religion.

      Wie sich noch herausstellen wird, ist es für diese Zwecke ausreichend irrational, sich für Gott zu halten. Allein die Idee, seine eigenen paar Dutzend Kilo Fleisch und zweieinhalb Pfund Hirnmasse für göttlich zu halten, ist so offensichtlich absurd, dass es um so leichter ist, sie fanatisch zu behaupten. Aber dazu gleich.

      Zweitens muss eine Art unmittelbarer Kontakt mit dem Absoluten/​Göttlichen vorkommen. Ob als direkter Kontakt wie im Gebet der Inquisitoren oder als festes Wissen wie das der shintoistischen Kamikaze-Piloten ist egal, aber jedenfalls nützt uns eine distanzierte, abgehobene Göttlichkeit wie der kabbalistische Ain Soph herzlich wenig. Natürlich kann man jede Religion auf unterschiedliche Weise verstehen und in jeder Religion sich vom Göttlichen direkt berührt fühlen. Aber wieder macht es die eine Religion leichter als die andere: die haitianischen Sklaven in den Befreiungskriegen konnten direkt ihre Petro-Loa invozieren und besessen in den Kampf ziehen, während die deutschen Soldaten, die mit ihren „Gott mit uns“-Gürtelschnallen im Schützengraben verreckt sind, kein solches rituelles Rüstzeug hatten. Für Luziferianer ist der Kontakt natürlich besonders einfach: wer selber Gott ist, ist klar im Vorteil.

      Intoleranz und Entschlossenheit findet sich in so ziemlich jeder Religion, vorausgesetzt sie wird einigermaßen radikal gelebt. Fassen wir diese beiden also zusammen und stellen wir fest: wir brauchen radikale Religiösität. Und da es hier um Luziferianismus geht – wobei sich der ganze Text problemlos auf Wicca oder jedes andere Paradigma ummünzen ließe – soll die zugrundeliegende Religion natürlich die Wertschätzung und Verkörperung des Luziferprinzips sein.

      Jetzt setzen wir Radikalität, Irrationalität, unmittelbaren Kontakt und Luziferianismus nur noch zusammen. „Wie können wir fanatischen Luziferianismus erreichen?“ heißt dann in anderen Worten: „Wie können wir radikalen, irrationalen Luziferianismus mit unmittelbarem Kontakt zum luziferianischen Prinzip erreichen?“ Praktischerweise brauchen wir uns da nicht selbst Gedanken zu machen, denn das hat schon jemand für uns getan. Wir brauchen ihn nur noch umzudeuten, denn er ist … christlicher Theologe.

      Wir treffen hiermit auf den Gegensatz von Rationalismus und tieferer Religion.

      – Rudolf Otto –

      Rudolf Otto ist sicherlich unter den Vertretern der deutschen evangelischen Theologie einer derjenigen, die am meisten der Gotteslästerung beschimpft worden sind. Im Laufe seines kurzes Lebens erreichte er vor allem eins, nämlich eine noch heute (nach über hundert Jahren) in jeder besseren christlichen Buchhandlung vorrätige Veröffentlichung. „Das Heilige“ heißt sie und ist wirklich einen Blick wert. Wer aber keinen Bock hat, für so etwas Geld auszugeben, oder wer befürchtet, beim Betreten eines so zweifelhaften Etablissements wie einem christlichen Buchladen auf der Stelle zu Staub zu zerfallen, findet hier die wichtigsten Punkte in Kurzform, denn sie werden uns in der Formulierung eines fanatismusfähigen Luziferianismus ausgesprochen nützlich sein.

      Otto hat sich für das Erleben des Göttlichen interessiert, das heißt dafür, wie es sich anfühlt, dem Absoluten zu begegnen. Das ist für uns interessant, da wir magischer Logik folgend natürlich wissen, dass nicht unbedingt „Gott“ ein Gefühl erzeugen muss, sondern auch ein Gefühl „Gott“ erzeugen kann. Sich in dieses spezielle Gefühl hineinzusteigern kann – das weiß nicht nur ich aus eigener Erfahrung – den Kontakt mit dem Absoluten, was oder wo es auch sei, enorm verstärken und damit die göttliche Inspiration hervorrufen. Rudolf Ottos entscheidende und für viele Christen ausgesprochen widerwärtige Erkenntnis war die, dass die direkte Begegnung mit dem Göttlichen nicht rational zu erfassen ist. Das gilt (und das war seinen Kollegen noch viel widerwärtiger) nicht speziell für den christlichen Gott, sondern für jede Religion. Den Luziferianismus hat er sicher nicht gemeint, aber auch für den gilt, was er herausgefunden hat.

      Laut Rudolf Otto hat die Begegnung mit dem „Heiligen“ – was bei ihm noch ein abstrakter Begriff ist, mag jeder Leser für sich durch seinen persönlichen Begriff des allerhöchsten göttlichen Prinzips ersetzen – immer zwei Komponenten, zwei Erfahrungen unbeschreiblicher Art. Diese sind bedeutsamerweise irrational, und zwar insofern, dass sie nicht in Worten ausgedrückt und authentisch an andere weitergegeben werden können. Es handelt sich um eine vor-sprachliche, vor-rationale Ebene des menschlichen Erlebens, um rein gefühlsmäßige Eindrücke. Dennoch können diese Erlebnisse, obwohl sie sich ebensowenig wie das der Liebe adäquat ausdrücken lassen, zumindest umschrieben und beschrieben werden. Logisch, sonst hätte sich das mit dem Buch auch irgendwie erübrigt, denn darin versucht der Herr Theologe seitenlang genau das, was er vorher selbst für unmöglich erklärt hat.

      Die eine Komponente nennt er das mysterium tremendum, das schauervolle (oder schaudern machende) Geheimnis. Dummerweise hat die deutsche Sprache ein völlig unzureichendes Vokabular, was die verschiedenen Arten von Angst angeht, aber Tatsache ist, dass tremendum dasjenige am Heiligen meint, das so etwas wie Angst einflößt. Spätestens hier wird der notorisch coole Schwarzmagier von heute die Augenbrauen hochziehen und zu sich meinen: „Angst? Ich hab doch keine Angst vor gar nichts.“ Stimmt, und genau das ist das Problem. Aber bevor wir dazu kommen, will ich versuchen, etwas genauer zu umschreiben, was Rudolf Otto mit dem tremendum meint.

      Die Angst des tremendum ist keine konkrete Angst wie die vor einem bissigen Hund und auch keine vage Angst wie die vor der nächsten Telefonrechnung. Es ist eine metaphysische Angst vor der Wertlosigkeit gegenüber dem Unermesslichen. In Ottos Buch wird es mal als Grauen bezeichnet, mal als Erschauern, dann wieder als Ehrfurcht oder Scheu. Emile Durkheim hat einen besseren Begriff für die (meiner Erfahrung nach) selbe Sache: er spricht von Anomie, dem völligen Fehlen von Werten und Normen. Die Begegnung mit dem absolut Heiligen bringt unvermeidlich dieses Gefühl mit sich, denn für das Heilige, das Göttliche, „ganz andere“ und unbedingte, gelten natürlich keine Regeln, wie wir sie kennen. Eine solche Begegnung verdeutlicht erst, wie unbedeutend absolut alles profane (nicht-heilige) ist und dass das jeden Sinn mit einschließt, denn wir vielleicht zu kennen glauben.

      Durkheim bringt Anomie mit Entfremdung und einem Gefühl der eigenen Wertlosigkeit in Verbindung, was natürlich daran liegt, dass er über Selbstmord geforscht hat und feststellte, dass das Erleben von Anomie ein Faktor ist, der Selbstmorde fördert. Selbstmord hat übrigens wahrscheinlich – ganz wird das wohl nie geklärt – auch Rudolf Ottos Leben beendet.

      Interessanterweise stellt sich die Situation völlig anders dar, wenn man als Luziferianer (anders als die von Durkheim untersuchten Christen) das Heilige, also auch das tremendum, in sich selbst findet statt außerhalb von sich. In diesem Fall ist man nicht Opfer der Entwertung durch einen „Gott“, sondern entwertet

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