Kappe und die verkohlte Leiche. Horst Bosetzky
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Читать онлайн книгу Kappe und die verkohlte Leiche - Horst Bosetzky страница 6
«Ja», kam es lakonisch zurück.
«Und heißen?»
«Sie müssten mir doch kennen.»
Kappe wollte seine Autorität nicht in Frage stellen lassen und versuchte es mit einem kleinen Wortspiel. «Wenn Sie mir nicht richtig antworten, werden Sie mich mal kennenlernen.»
«Tilkowski, Paul Tilkowski. Wir hatten schon mal die Ehre. Die Schlägerei vor Kroll. Da haben Sie mir verhaftet.»
«Ah ja, richtig.» Endlich konnte sich Kappe erinnern. «Und jetzt soll hier auf dem Kohlenplatz eingebrochen worden sein?»
«Ja, kommen Se, ick zeige Ihnen allet mal.»
«Sehr schön, ja. ..» Während er dem Kohlenarbeiter folgte, zog Kappe eine kleine Bleistiftzeichnung aus der Tasche, die ein Freund nach seinen Angaben angefertigt hatte. Sie zeigte das Gesicht des Mannes, der in Storkow auf ihn geschossen hatte. «Hier.» Er hielt Tilkowski die Zeichnung hin. «Sie kennen sich doch da aus. ..» Damit meinte er das Verbrechermilieu und die Gefängnisse und Zuchthäuser. «Ist Ihnen dieser Herr schon mal begegnet?»
Tilkowski nahm das Porträt und studierte es sorgfältig. «Ja, könnte sein.»
Kappes Herz machte einen gewaltigen Satz. «Wenn es Ihnen einfallen sollte, dann. ..» Er wusste, dass man mit Ganoven durchaus Geschäfte machen konnte. Halfen sie einem, einen Hai zur Strecke zu bringen, konnte man ihnen auch mal die kleinen Fische lassen.
Gottfried Kockanz kam aus seinem Kontor und blinzelte in die Sonne, deren Licht so weich war, wie es sich für einen Altweibersommer gehörte. In einem Nebenraum hatte er ein Sofa stehen, das er gern für ein Mittagsschläfchen nutzte. Er hinkte etwas und hätte eigentlich einen Stock gebraucht, scheute sich aber, einen zu kaufen, weil er Angst hatte, dadurch großväterlich zu wirken. Die meisten Leute dachten automatisch, er habe im Krieg 1870 / 71 eine Verletzung davongetragen, doch wenn sie dann rechneten, kamen sie schnell dahinter, dass das unmöglich war. «Der kann doch nich als Dreijähriger Soldat jewesen sein.» Da man in Preußen war, konnte man sich schwer vorstellen, dass ein Mann anderswo als auf dem Schlachtfeld zum Invaliden geworden war, und tippte dann auf Kämpfe in den deutschen Kolonien - vielleicht hatte es ihn 1905 beim Herero-Aufstand in Deutsch-Südwestafrika erwischt. Da nickte er dann, denn das war recht ehrenvoll. Diejenigen, die ihn nicht mochten, lästerten, seine Hüfte sei ihm von einem Stapel umstürzender Briketts zerschmettert worden. In Wahrheit war er vor Jahren in der Thurmstraße unter eine Straßenbahn geraten.
Kockanz war in Oberschlesien aufgewachsen und hatte nach Besuch der Handelsschule in der «Berg- und Hüttenmännischen Vereinigung» in Kattowitz als Buchhalter gearbeitet. Insbesondere hatte er sich um die nahe gelegene «Deutschlandgrube» zu kümmern gehabt, deren Flöze neun bis zwölf Meter mächtig waren und viele Besucher anzogen. Zu diesen gehörte auch Emilie, die siebzehnjährige Tochter des Berliner Kohlenhändlers Friedrich Kraatz. Es war Liebe auf den ersten Blick, und nachdem Kockanz eine Weile mit Emilie korrespondiert hatte, ließ er sich von seiner Firma nach Berlin versetzen, um ihr nahe zu sein. Obwohl der alte Kraatz auf einen reichen Schwiegersohn gehofft hatte, stimmte er der Hochzeit schließlich zu. 1892 heirateten Gottfried und Emilie und bezogen eine schöne Wohnung in der Charlottenburger Schloßstraße. Bald war ein Kind unterwegs, und ihr Glück schien vollkommen. Doch Emilie starb bei der Geburt, und auch das Kind war nicht mehr zu retten. Kaum hatte Kockanz den ersten Schicksalsschlag überwunden, traf ihn der nächste: der Unfall mit der Straßenbahn. Danach verlor er seinen Arbeitsplatz in der Firma, hatte aber insofern Glück, als ihm sein Schwiegervater anbot, den Kohlenplatz in der Wiclefstraße zu verwalten. Nach dem Tod des Alten erbte er diesen.
Zwar besaß er die Wohnung in Charlottenburg noch immer, doch er fühlte sich nicht wohl, wenn er zu Hause war. Zu sehr erinnerte ihn alles an seine verstorbene Frau. Seine Freunde drängten ihn, sich doch wieder zu verheiraten, doch die Frauen, die er hätte haben können, wollte er nicht, und die, die er begehrte, wiesen ihn ab. «Ick will doch keenen Krüppel, ooch wenn er noch so ville Jeld hat.» Es gab eine, die hätte er schon gerne genommen, aber. .. Was blieb ihm da, als in die einschlägigen Etablissements zu gehen und nach einer Dame zu suchen, die diesem begehrenswerten Geschöpf möglichst ähnlich sah? Auch so kam er über die Runden.
Paul Tilkowski starrte auf seinen Chef wie ein Tiger im Zirkus auf seinen Dompteur. Jedes Mal, wenn er ihn sah, verspürte er den archaischen Impuls, sich auf ihn zu stürzen und ihn zu zerfleischen, doch aus Angst vor der Peitsche zuckte er immer wieder zurück. Peitsche, das hieß in diesem Fall Entlassung und Gefängnis. Und in einer engen Zelle eingesperrt zu sein, in einem Menschenkäfig, das war für einen Mann wie Tilkowski das Schlimmste. Schon der Besuch des Kriminalwachtmeisters hatte ihn zutiefst beunruhigt.
Kockanz kam dicht zu ihm heran und legte ihm den Arm um die Schultern. «Wenn ich dich nicht hätte, Paule.» Tilkowski war diese Berührung derart zuwider, dass er nun doch um ein Haar zugeschlagen hätte. Er schaffte es aber, unter Kockanz’ Arm hinwegzutauchen und dies als eine Geste der Demut erscheinen zu lassen. «Nich doch, ick. .. ick hasse Streiks und alle, die da in der Sickingenstraße. ..»
«Danke.» Kockanz wandte sich zur Straße, wo gerade der Bollewagen aufgetaucht war und der Milchjunge bimmelte. «Zum nächsten 1. April gibt’s auch mehr Geld bei mir.»
Tilkowski sah, wie Kockanz mit dem Milchmädchen schäkerte. Er kannte sie von der Tanzdiele her. Sie hieß Frieda und war hässlich wie die Nacht. Offenbar wollte Kockanz dennoch etwas von ihr. Tilkowski verstand das nicht, denn sein Chef hatte doch Geld genug, sich was Besseres zu leisten. «So wat von Jeschmacksverirrung», murmelte er und widmete sich wieder seiner Arbeit. Die Briketts, die lose auf einem großen Haufen lagen, waren in rechteckige Hucken zu stecken, Kästen aus einem hölzernen Rahmen und einer Rückwand aus Blech, mit dem der Träger den Kunden die Briketts in die Wohnung bringen konnte. Knapp hundert gingen hinein. Es war Tilkowskis Meisterschaft, seine beiden Gurte in die Löcher hinten einzuhaken, die Hucke zu schultern und die Treppen hochzutragen. Keiner in Deutschland schaffte vier Stockwerke in so kurzer Zeit wie er. Ohne außer Puste zu geraten. Die anderen Kohlesorten, Anthrazit, Steinkohle und Koks, wurden in Säcken transportiert, und auch da war er allen anderen Kohlenträgern überlegen. Allerdings gingen diese Sorten hier recht selten. Nur Geschäftsleute hatten das Geld und die passenden Öfen dazu. Aber die kauften dann wiederum lieber bei Kupfer & Co., weil sie da höhere Rabatte bekamen als bei Kockanz. Braunkohle war am wenigsten wert, aber am billigsten. Anthrazit hatte am meisten Heizkraft, war aber auch am teuersten. Was die Leute noch kauften, waren Eierkohlen, die man in der Fabrik aus Kohlengrus geformt hatte, und Koks, der selber nicht viel Hitze entwickelte, aber gut war, um die Glut im Ofen lange zu halten. Wer klug war, wählte eine Mischung von allen Sorten. Tilkowski konnte die Kunden gut beraten und sich damit manches Trinkgeld verdienen.
Er war so in seine Arbeit vertieft, dass er seine Braut, Sophie Schünow, erst bemerkte, als sie hinter ihm stand.
«Bringen Sie die Kohlen auch zu mir nach oben?», fragte sie. Tilkowski fuhr herum. Er wusste, dass er auf der Hut sein musste, denn immer gab es einen, mit dem er in Händel verwickelt war und der ihm Rache geschworen hatte. Als er sie erkannt hatte, entspannte er sich. «Bei Ihnen geht’s auch hier im Büro. ..» Er küsste sie und wollte sie in die angegebene Richtung drängen.
Sie befreite sich. «Nee, heute nich und morgen ooch nich, erst übermorgen wieda. Ick hab dir nur dein Mittagessen bringen wollen. Kartoffelsalat mit Buletten. Ville Schrippe, wenig Fleisch, aber bessa als nischt.»
Tilkowski bedankte sich. «Wenn ick dich nich hätte. ..» Sophie Schünow brauchte nur hundert Meter weit die Straße entlangschlendern,