Planetenschleuder. Matthias Falke
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Читать онлайн книгу Planetenschleuder - Matthias Falke страница 3
Das Schlingern und Krängen, das das Schiff durchzitterte, hielt an. Als langjährigen Mitgliedern der fliegenden Crew konnte es uns physisch nicht viel ausmachen. Dafür erfüllte es uns mit einer umso größeren seelischen Qual. Wir spürten, wie die virtuellen Gyroskope auf Hochtouren liefen. Verzweifelt wie ein Boxer, der einen betäubenden Schlag aufs Ohr erhalten hat, rang unser Schiff darum, seine Bahn zu halten. Oder, wie es mich plötzlich durchzuckte, einer weiteren Bedrohung auszuweichen.
»Sie kämpft«, sagte Lambert. »Aber sie kommt vom Kurs ab.«
Reynolds schüttelte langsam den Kopf. Es sah aus wie eine rätselhafte Pantomime.
»Nein«, sagte er in seiner gedehnten Sprechweise, die immer, wenn er einer Sache auf der Spur war, zu einem langgezogenen Band aneinanderhängender Vokale wurde. »Sie versucht zu reagieren.«
Jennifer nickte aufgeregt. In rascher Folge ließ sie den Impulsgeber in ihrer Hand aufleuchten und wieder verschwinden.
»Sie will nicht beharren, sondern fliehen.«
Ich sah das Bild einer waidwunden Gazelle vor mir, die mit zerrissenen Läufen in der afrikanischen Steppe liegt und ein Rudel Hyänen auf sich zukommen sieht. Entsprach diese Vision unserer gegenwärtigen Situation?
Wir befanden uns in einem der Innendecks, ohne freie Sicht nach draußen. Die Monitore waren erloschen. Und obwohl mit bloßem Auge sowieso nicht zu erkennen gewesen wäre, wenn ein faustgroßer Brocken mit 30 000 Stundenkilometern auf uns zuraste, erfüllte es mich mit einem panischen Gefühl, dass ich über keine Informationen verfügte. Auf der Brücke der Enthymesis war ich mit allen Instrumenten so verwachsen, dass ich mich ihrer wie meiner eigenen Sinne bedienen konnte, und zudem reagierte dort meine Crew so sensibel auf meine Befehle, dass diese ausgeführt waren, ehe ich sie ausgesprochen hatte. Hier fühlte ich mich blind. Mit verbundenen Augen saßen wir auf der Ladefläche eines Lastwagens, der steuerlos in ein Minenfeld hinausfuhr. Ich betätigte den Piepser.
»Es ist noch nicht vorbei«, sagte Jennifer, der ich am liebsten den Holo-Stick aus der Hand geschlagen hätte.
»Das war erst der Anfang«, bestätigte Reynolds.
Lamberts Gesicht, das noch nie hübsch gewesen war, aber manchmal ganz drollig wirkte, verwandelte sich in eine verwüstete Landschaft, auf der der Steppenbrand der Verzweiflung wütete.
Endlich knirschte es im Kommunikator.
»Das ist nicht der geeignete Zeitpunkt«, schnauzte Rogers.
»Was ist los?«, fragte ich, ohne auf sein Gebrüll einzugehen. »Wir haben den Eindruck, das Schiff ist nicht stabil ...«
»Ihr Eindruck ist goldrichtig«, tobte er. »Und Sie können von Glück sagen, wenn es in einer Stunde noch ein Schiff ist, und nicht einige Teratonnen wertlosen Weltraumschrotts!«
Damit kappte er die Leitung. Ein unangenehmes Stöhnen war zu hören. Der riesige Stahlleib der MARQUIS DE LAPLACE wand sich in der verzweifelten Anstrengung. Hilflos sahen wir von einem zum anderen.
»Wir müssen etwas unternehmen«, beschloss Jennifer.
Während die anderen Offiziere, die ihren freien Nachmittag auf Vergnügungsdeck VI C 22 verbracht hatten, mit schicksalsergebenen Mienen an den Spieltischen lehnten oder in ihre Gläser starrten, stürmten wir los.
Die Ordonanzen, die neben der Ausgangstür Stellung bezogen hatten, salutierten und gaben die Verriegelung frei, als wir auf sie zumarschierten. Die kleinen Schotte, die innerhalb der Decks die Durchgänge sicherten, glitten zischend auseinander. Ein Zittern lief durch das Schiff, und irgendwo, kilometerweit entfernt, war ein hohles Aufheulen zu hören, das an einen verwundeten Wal denken ließ, der seine Qual in den dunklen Ozean hinausschrie. Unwillkürlich hatten wir alle einen Ausfallschritt gemacht und das Taumeln des Schiffes, auch wenn es von den Gyroskopen abgefedert wurde, aus dem Oberschenkel aufgefangen. Im Gänsemarsch, wie wir hintereinander herrannten, musste das aussehen wir das Manöver einer modernen Ballett-Truppe.
Innerhalb des Decks konnten wir uns als Mitglieder der fliegenden Crew frei bewegen, und es sollte uns auch möglich sein, die über und unter uns liegenden Decks zu erreichen. Allerdings war unsere Bewegungsfreiheit durch die Alarmstufe auf das Segment beschränkt, in dem wir uns gerade befanden. Die Schotte in den Segment-Kupplungen konnten nur vom Kommandanten oder seinem Stellvertreter geöffnet werden. Und letzterer hatte schon durchblicken lassen, dass er auf unsere Stellungnahmen keinen Wert legte.
Jennifer rannte vorweg. Ich erhaschte immer gerade noch das Bild ihres Pferdeschwanzes, dann war sie um die nächste Ecke verschwunden. Reynolds und Lambert folgten ihr. Ich bildete den Schluss. Ich glaubte inzwischen zu wissen, wo sie hinwollte. Im Grunde gab es nur eine Möglichkeit. Allerdings war mir schleierhaft, was sie dort ausrichten zu können meinte.
Atemlos rannte ich hinter ihr her durch das Labyrinth, das das vordere Drittel des Decks einnahm. Zwischen Serviceschächten und Titanstahlstreben ging es in schmalen verwinkelten Gängen dahin. Durch das wilde Zickzack, das wir zu laufen gezwungen waren, kam es mir vor, als ob das Schiff schwanke. Wie ein Trawler auf hoher See schien es sich von einer Seite auf die andere zu werfen. Ich konzentrierte mich. Es war tatsächlich so. Die MARQUIS DE LAPLACE krängte wie ein leckgelaufener Frachter unter dem Anprall mächtiger Wogen.
In den elastilverkleideten Säulen, die an den Kreuzungspunkten jedes Blocks standen, kreischten die Feldgeneratoren, die die virtuellen Gyroskope steuerten und die künstliche Schwerkraft mit Energie versorgten. Eben sackte das Schiff wieder zur Backbordseite durch wie eine Verkehrsmaschine, die durch eine Abfolge von Luftlöchern taumelt. Wir hatten keine Sicht nach draußen, da wir uns tief in den Eingeweiden des Segments befanden, daher konnte ich die Stärke der Schlingerbewegung nur abschätzen. Die künstliche Schwerkraft verhinderte, dass wir herumgeschleudert würden. Sie lief auf 120%, um uns fester an den Fußboden zu pressen. Ich spürte in den Knien, wie sich mein Gewicht erhöhte und meine Bewegungen teigiger wurden. Dennoch revoltierte mein Gleichgewichtssinn, wie ich es kaum jemals bei Explorer-Einsätzen verspürt habe. Ich taxierte die seitlichen Ausscherbewegungen des Schiffes auf mindestens 20 Grad. Bei der ungeheuren Masse der MARQUIS DE LAPLACE war es ein Wunder, dass sie nicht längst in Stücke gebrochen war. Was für Kräfte mochten das sein, die dieses Schiff so in Bedrängnis brachten?
Wir rannten weiter. Dann erreichten wir die Kommandozentrale, deren es mehrere auf jedem Segment gab. Von hier aus waren alle Funktionen des Hauptcomputers aufrufbar. Für den Fall, dass die Segmentkupplungen gelöst werden müssten, gab es hier die Steuerung des Segmentes VI. Wir befanden uns in einem oktogonalen Raum. In vier der acht Wände waren die vertikalen Serviceschächte eingelassen. Von hier führten generatorgetriebene Aufzüge zu den 120 Decks, die sich unter uns befanden, und zu den mehr als 200 über uns. VI war eines der flacheren Segmente. Es bildete die schlanke Taille der MARQUIS DE LAPLACE, eine Wespentaille, wenn man die bulligen Segmente IV und VII oder die Reaktorblocks zum Vergleich heranzog.
Die übrigen Wände bargen Monitore und Bedienfelder. Es war eine selbstständige Brücke, die im Notfall ein Zwölftel MARQUIS DE LAPLACE befehligte. Jennifer riss die Schutzfolien aus mattschwarzem Elastin von den Konsolen und herrschte die Automatik an, online auf den Hauptrechner des Mutterschiffs zu gehen. Die Apparaturen begannen zu booten. Offensichtlich waren sie sehr lange nicht mehr online gewesen. Die Stickstoffkühlung für die Null-Ohm-Rechner brauchte geraume Zeit, ehe sie die nötige Betriebstemperatur hergestellt hatte. Außerdem war zu spüren, dass die Feldgeneratoren in diesem Block an der Belastungsgrenze waren. Sie schienen jedes einzelne Ampère nur widerwillig herauszurücken.
Ich warf Reynolds einen