Schlacht um Sina. Matthias Falke
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»Wir vergeuden kostbare Zeit«, sagte sie schroff. »Seit zweiundsiebzig Stunden sind wir hier, und dieser Umstand wird den Sinesern kaum verborgen geblieben sein.«
Kauffmann reagierte mit einer abschwächenden Geste, die besagte, dass er ihre Hartnäckigkeit nicht nachzuvollziehen vermochte. Ihre oder unsere Fixiertheit auf die Sineser hielt er für eine paranoide Marotte, die er, wenn überhaupt, nur aus Anstand zur Kenntnis nahm. Was ich bisher aus ihm herausgebracht hatte, war, dass sinesische Warpraumsonden und Aufklärungsdrohnen im Sonnensystem patrouillierten. Ich sprach ihn nun darauf an, nicht zuletzt, um Jennifer zu bedeuten, dass wir unser gemeinsames Mittagessen keineswegs ergebnislos vertan hatten.
»Es sind immer mindestens zwei«, nickte er, »maximal fünf, die gleichzeitig im erdnahen Raum anwesend sind. Meist fliegen sie auf Höhe der ehemaligen Jupiterbahn ein und durchkreuzen die Region. Wir überwachen sie genau. Bis jetzt ging keinerlei Bedrohung von ihnen aus.«
Jennifer brach in ein schrilles Gelächter aus. »Die Gefangenen schreiben die Schichtpläne der Gefängniswärter mit und sind stolz darauf, dass sie von ihnen nicht geschlagen werden.« Sie schüttelte den Kopf und dreht ihr Cocktailglas zwischen den Händen. »Im Ernst, Herr Sekretär«, sagte sie in bewusster Betonung des Offiziellen, »wir reden hier nicht über Touristenschiffe. Was wissen Sie über die Routen dieser Sonden, über ihre Muster, über den Rhythmus ihrer Ablösung?«
Kauffmann drückte seine Zigarette aus. Mit leichtem Seufzen ließ er den letzten Rauch durch die Nase strömen. »Sie sind mit Semi-KI-Einheiten ausgestattet, aber sie scheinen auf programmierten Algorithmen zu operieren. Unseren Flugverkehr zu den Marsbasen haben sie nicht beeinträchtigt, obwohl unsere Versorgungsschiffe ihnen manchmal unabsichtlich recht nahe gekommen sind.« Er sah mich genervt an, aber ich hielt seinem Blick stand und erlöste ihn nicht aus Jennifers Verhör. »Sie kommen und gehen unregelmäßig. Bis jetzt ist es uns nicht gelungen, das Muster dahinter aufzuschlüsseln. Im statistischen Mittel vergeht jeweils etwa ein Monat, bis wieder eine von ihnen ankommt oder verschwindet.«
Jennifer biss sich auf die Lippe und dachte angestrengt nach. »Wann war das letzte Ereignis dieser Art?«, fragte sie.
»Vorige Woche«, sagte Kauffmann schlicht. »Ich wiederhole, dass es sich nur um einen Mittelwert handelt und dass uns das Muster, das dem zugrunde liegt, mathematisch nicht aufzulösen gelungen ist.«
Jennifer sah durch ihn hindurch. Ich versuchte mir vorzustellen, wie sich eine Sinesische Warpsonde im Trümmerfeld des einstigen Jupiter-Systems materialisierte, sich auf die inneren Planeten ausrichtete und dann in einem komplizierten Zickzack den Raum zwischen Mars- und Venus-Bahn durchforschte. Ein Monat, wenn das die Zeit war, die zwischen zwei Ablösungen verging, mochte als langer Zeitraum erscheinen in einer Epoche, die in Nano- und Femtosekunden rechnete. Andererseits war es ein vernachlässigbares Intervall verglichen mit den vielen tausend Jahren, die ein Funksignal nach Sina City unterwegs gewesen wäre. Wieder mussten wir uns mit dem Gedanken vertraut machen, dass »Echtzeit« auf galaktischer Ebene ein dehnbarer Begriff war. Und was konnte die unter Kuratel gestellte Menschheit in ein paar Wochen ausrichten? In der scheinbar großzügig bemessenen Beobachtung lag auch etwas von Herablassung. Die Restmenschheit auf der Erde und den wenigen verbliebenen Außenposten glich einem Gefangenen, dessen Kerkertür man offen stehen ließ, um ihn zu demütigen. Nur ab und zu kam einer der Aufseher vorbei, klopfte mit dem Schlagstock an das unverriegelte Gitter und vergewisserte sich, dass alles in Ordnung war.
»Es gibt kein Muster«, warf Jennifer ein. »Sie arbeiten eine Random-Reihe ab. Alles, was sie uns gegenüber tun, tun sie mit Hochnäsigkeit. Die Sonden sollen gar nicht reagieren. Sie scannen automatisch die Region, als ob sie ein unbesiedeltes Gebiet erforschten, und übermitteln die Ergebnisse dann in mehr oder weniger regelmäßigen Routinen nach Sina, wo sie von gelangweilten Beamten der Sicherheitsbehörden ausgewertet werden. Im Grunde leben wir in einem Reservat, in einer Art Tierpark. Man achtet darauf, dass keine Krankheiten ausbrechen, die den Bestand gefährden, und kümmert sich nicht weiter um das Treiben, das dort stattfindet.«
Ihre Stimme gewann an Schärfe. Eine tiefe Furche schlitzte ihre Stirn. Es war schwer zu entscheiden, was sie mehr aufbrachte, die arrogante und selbstsichere Überheblichkeit unserer Bewacher – oder die Gleichgültigkeit der Überlebenden, die uns bis jetzt auf jeder Stelle und bei jedem Gespräch gegenübergestanden hatte.
»Ich bitte Sie«, sagte Kauffmann sichtlich beherrscht. »Wir leben in gutem Einvernehmen mit ihnen. Seit dem Jupiter-Ereignis haben sie sich keinen aggressiven Akt mehr zuschulden kommen lassen.«
Jennifer stieß nur verächtlich die Luft durch die Nase aus; sie sah es als unter ihrer Würde an, darauf zu antworten.
»Wir haben«, fuhr der Persönliche des Kanzlers der Zivilverwaltung fort, »unsere Toten begraben und die Schäden beseitigt. Die Erdbahn ist stabilisiert. Die Landwirtschaft kann die Bevölkerung versorgen. Wir halten den Kontakt zu den Marsbasen aufrecht, und wir konnten sogar neue Werften im Asteroidengürtel gründen. Keiner unserer Schritte wurde in irgendeiner Weise beeinträchtigt oder kommentiert.«
Jennifer schlürfte geräuschvoll an ihrem Drink. Sie schwieg und ließ die Blicke über die vorfrühlingshafte Helle der Hochgebirgslandschaft gleiten. Hoch oben, zwischen den Zinnen der Grand Teton-Gipfel, zog ein Steinadler seine Kreise. Ein Schwarm Dohlen strich unter seiner Annäherung von einer der Spitzen ab und trudelte vor der sonnenbeschienenen Felswand nach unten. Jeder dieser Vögel vollbrachte eine fliegerische Meisterleistung, und doch sah es aus, als riesele welkes Laub vor dem gleichgültigen Felsmassiv herab.
»Landwirtschaft ...«, Jennifer spuckte das Wort aus, als habe sie einen ekelhaften Geschmack im Mund. »Wir sind in Sina City gewesen, und wir haben gesehen, wo diese Art von Landwirtschaft endet.« Sie beugte sich über den Tisch und legte Kauffmann eindringlich die Hand auf den Unterarm. »Sekretär«, sagte sie mit gesenkter, aber fester Stimme. »Sie sind der einzige Gesprächspartner, auf dessen Verständnis wir hoffen können. Machen Sie Ihren Einfluss auf den Kanzler geltend. Die sinesische Bedrohung ist kein Hirngespinst. Sie ist Realität. Dass sie hier nicht wahrgenommen wird, liegt daran, dass man hier überhaupt nichts wahrnimmt, was sich jenseits des Distrikts Wyoming ereignet.«
Kauffmann schluckte. Dass sie ihm unsere persönlichen Erfahrungen ins Gedächtnis rief, verfehlte seine Wirkung nicht. Er war sichtlich beeindruckt.
»Nur, wer sich nicht rührt, spürt seine Ketten nicht«, versuchte ich ihr zu Hilfe zu kommen.
Aber weder sie noch der Sekretär gingen darauf ein. Jennifer ließ seinen Arm los und richtete sich stolz in ihrem gravimetrischen Stuhl auf. »Heute Nachmittag werde ich einen Truppenbesuch vornehmen. Und am Abend werde ich dem Obersten Stab unsere Pläne vorlegen. Veranlassen Sie das Notwendige!«
Selbst mir dämmerte erst nach einer Weile, dass diese Ankündigungen in Wahrheit eine Bitte gewesen war. Aber durch die sprachliche Form hatte sie ihr Gegenüber einem starken rhetorischen Druck ausgesetzt. Es war ein primitives Mittel, aber es verfing.
»Ich will sehen, was sich arrangieren lässt«, sagte Kauffmann kleinlaut.
Aber Jennifer hatte sich schon erhoben. Die Ordonnanz war zur Stelle, um den Tisch abzuräumen.
»Lassen Sie mich in Ruhe«, fauchte Jennifer das Mädchen an, das trotz eiserner Beherrschung zusammenzuckte. Dann war sie verschwunden. Ihre Schritte hallten noch auf dem Marmor der großen Halle wider, die für Empfänge und Staatsbankette genutzt wurde. Kauffmann wechselte einen gequälten Blick