Schlacht um Sina. Matthias Falke

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Schlacht um Sina - Matthias Falke

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auf die Kapazität der Werften, über die er sich aber nur ausweichend äußerte.

      *

      Der Chronist

      Dies ist die Geschichte der Diaspora. Die Geschichte einer Diaspora ist zwangsläufig die Geschichte eines Krieges, denn die Diaspora ist selbst nur ein Zwischenblatt und eine Episode in einem Zeitalter des Krieges. Keiner der großen Kriege bestand aus unablässigem Schlachten. Weder im Peloponnesischen, noch im Punischen Krieg, weder im Dreißigjährigen, noch in jenem anderen dreißigjährigen Krieg, der aus den beiden sogenannten Weltkriegen bestand, wurde ununterbrochen gekämpft. Es gab Sommer und halbe Jahr, vielleicht sogar ein eingestreutes Dezennium, in dem die Waffen schwiegen, so wie es auch in der Eiszeit einen Sommer gibt. Und dennoch sprechen wir von diesen Jahreszeiten nur im Hinblick auf den ganzen Jahreskreis, der im Zeichen des Mars begonnen und geschlossen wurde. Im Nachhinein, auf dem Schreibpult des Chronisten, der die Ereignisse im sonnigen Post festum aufzeichnet, ist auch die Diaspora nur ein solcher Einschub und Schalttag im großen feurigen Rad des Sinesischen Krieges. Dieser Krieg hatte seinen ersten Abschluss, sein Zama, in der Schlacht von Persephone, und sein Versailles im Vertragswerk von Lombok. Es wurde gefeiert als Beginn eines Jahrtausends des Friedens, wie die meisten derartigen Abmachungen im Laufe der Geschichte, die auserkoren waren, den Frieden dauerhaft auf Erden zu verankern, und die doch nur ein vergängliches Intermezzo eröffneten und den Vorwand, ihn zu brechen, in der Regel gleich mitlieferten. Im blutigen Nachhinein ist der Frieden oft nur ein Atemholen; oft genug dient er nichts anderem als neuen Anstrengungen der Rüstung. Der Frieden von Lombok wurde durch die Aggression gebrochen, die zum Thronsturz des Jupiters und um ein Haar zur Auslöschung der Menschheit führte. Die Überlebenden zerstreuten sich in die Diaspora. Die Diaspora, sagten wir, mündet bisweilen in einen neuen Krieg – der für den Historiker nichts anderes als das Wiederaufflammen von Bränden ist, die im Unsichtbaren schwelten, aber nie gelöscht waren –, so wie ein Winter bisweilen in einen Frühling und wie auch die dunkelste Nacht bisweilen in einen neuen Morgen mündet. Kein Volk kann dauerhaft in der Diaspora leben, denn wie ein Mensch sich nicht ein Leben lang dem Aufruf, der vom Schicksal an ihn ergeht, entziehen kann, so kann auch kein Volk auf Dauer außerhalb dessen leben, was seine Aufgabe und sein Wesen im Geschichtsprozess zu sein hat; denn nichts und niemand kann außerhalb seiner selbst sein. Das heißt nicht, dass, diese Aufgabe anzunehmen, gleichbedeutend damit wäre, ihr gewachsen zu sein. Nicht jeder, der sein Kreuz auf sich nimmt, vermag es auch zu tragen; aber keiner kommt umhin, es aufzunehmen. Und nur darum geht es. In keiner Schlacht gibt es eine Garantie dafür, dass sie siegreich entschieden wird. So gesehen gibt es immer zwei Parteien, und nur eine kann als Sieger aus dem Treffen gehen. Aber dennoch muss die Schlacht geschlagen werden. Der Sinn einer solchen Handlung liegt nicht in ihrem vordergründigen Zweck. Darin verbirgt sich das Mysterium des Opfers. Leonidas wusste ganz genau, wofür er und tausend Spartiaten bei den Thermopylen fielen. Es war nur vordergründig der Zeitgewinn, der den restlichen Truppen den Rückzug und die Räumung Athens ermöglichte. Es wäre ein sehr oberflächliches Verständnis des geschichtlichen Vorgangs, wollte man den Ruhm einer solchen Tat und Selbstaufopferung in einer bloß taktischen Überlegung sehen. Leonidas und die Seinen kämpften nicht, um zu fallen, auch wenn eine utilitaristische Betrachtungsweise nicht umhin könnte, den aussichtslosen Kampf in solchen Kategorien zu erfassen; sie fielen, weil sie kämpften, und das ist ein Unterschied. Kein Soldat, der wissentlich und mit innerer Bejahung in den Tod geht, fällt »für« irgendetwas. Wer gäbe schon sein Leben für einen taktischen Vorteil, einen Geländegewinn, ein Kreuz auf einem Messtischblatt, einen Zeitvorteil von ein paar Stunden, einen Acker, »nicht groß genug, die Erschlagenen drauf zu begraben«, oder für so etwas Abstraktes wie einen strategischen Punkt? In Pompeji fand man die Überreste eines römischen Soldaten, den die pyroklastischen Ströme des Vesuvs auf seinem Posten überrascht hatten. Die Hohlform seines Körpers, von der Asche, die ihn tötete, umschlossen und konserviert, stand aufrecht, in voller Rüstung und tadelloser Haltung. Er hatte, im Angesicht des sich heranwälzenden Stroms aus glühendem Gesteinsmehl, seinen Posten nicht aufgegeben. Man hatte wohl im Durcheinander vergessen, ihn vorschriftsmäßig abzulösen, und so blieb er auf dem Flecken stehen, auf den der morgendliche Wachantritt und das Schicksal ihn gestellt hatten. Ein solches Verhalten mag unsinnig sein, aber ist es deshalb auch schon sinnlos? Keiner von uns hat unterschrieben, ehe er ins Dasein geworfen wurde; keiner von uns hat entschieden, ob er groß oder klein, dick oder dünn, blond oder braun sein wolle. Und doch muss jeder den Weg gehen, den die Moira für ihn vorgesehen hat. Keiner hat einen Einfluss darauf, an welcher Stelle des großen Maelstroms, den der Geschichtsprozess darstellt, er ins Wasser fällt, an welcher Schwelle er über das Große Katarakt schießt. Unsterblich ist keiner, und den wenigsten wird es vergönnt sein, »für« etwas zu sterben, für die gerechte Sache, das Vaterland, den Durchbruch, der die Schlacht entscheidet, oder das kleine Wunder, das gerettete Kind. Aber wir sollten dem Beispiel des römischen Soldaten von Pompeji folgen und aufrecht sterben, in Haltung, und dem Geschick in voller Rüstung entgegentreten. Das hat am Ende etwas mit dem Verhältnis des Menschen zu Freiheit und Knechtschaft zu tun. Der Unterschied liegt in der Beziehung, die der Mensch zum Tode hat. Der Herr ist bereit, für seine Sache zu sterben, während der Knecht das Leben vorzieht. Der Herr will lieber auf Leben und Tod für seine Freiheit kämpfen; der Knecht gibt sich mit dem Leben in Unfreiheit zufrieden. Es leuchtet ein, dass es hier nicht mehr darum geht, worum man kämpft und wofür einer stirbt. Auch das äußerlich ganz sinnlose Opfer kann einen sinnvollen Tod begründen. Denn es gibt hier Zonen, die jenseits des Widerspruches von Sinn und Sinnlosigkeit stehen: dort ist die metaphysische Freiheit des Einzelnen, der seinen Tod auf sich nimmt. Nicht darum geht es, die Schlacht zu gewinnen oder zu verlieren, sondern darum, sie zu schlagen. Denn die Schlacht ist nichts anderes als eine krude Metapher für das Leben.

      *

      Ich fand Jennifer in der kleinen Suite, die man uns zugewiesen hatte. Sie war kaum größer als unsere Kabine auf der MARQUIS DE LAPLACE. Ein Zimmer mit gravimetrischem Doppelbett, eine winzige Nasszelle und einer Kommunikationseinheit. Durch ein schmales, schießschartengroßes Fenster konnte man auf das wilde Hochtal hinaussehen. Und, immerhin, es gab einen kleinen Balkon, den man durch eine Tür betrat, die tiefer als breit war und so schon eher einem kurzen Stollen glich. Sie ließ die Dicke der durch Quarzbeton verstärkten Felswände ahnen, in die die gesamte Anlage hineingebaut war, eine Bunkerstadt für mehrere zehntausend Menschen. Draußen fand man sich auf einer Plattform wieder, kaum zwei mal drei Schritte groß, weit oberhalb des Talgrundes, in dem das grüne Flüsschen schäumte. Ein Geländer verhinderte, dass man in die Tiefe stürzte; ein Kraftfeld hielt den scharfen Wind ab, der von den Gipfeln und den Eisfeldern herunterkam.

      Hier stöberte ich Jennifer auf, die, die Arme vor der Brust verschränkt, auf der winzigen Fläche hin und her stiefelte. Natürlich hatte sie recht: die Zeit lief uns davon. Etliche Wochen waren vergangen, seit wir aus Sina City hatten fliehen können. Wir hatten Taylor und Lambert dort unter ungewissen Umständen zurücklassen müssen. Gegenwärtig wussten wir nicht einmal, ob sie noch lebten. Taylor war schwer verletzt gewesen. Der abermalige Verlust des linken Arms hatte ihn sehr geschwächt, und zumindest während unseres Aufenthaltes hatten die Tloxi keine Anstalten gemacht, für Ersatz zu sorgen. Wir konnten nur hoffen, dass es sich dabei um eine, wenn auch grausame, Taktik zu ihrer eigenen Sicherheit gehandelt hatte. Eigentlich dürfte die Beschaffung einer Prothese sie nicht vor unüberwindliche Hindernisse stellen; deshalb mussten wir davon ausgehen, dass der Verweigerung ein Kalkül zugrunde lag – und dass Taylor geholfen werden konnte, nachdem wir in dem gekaperten Shuttle davongeflogen waren. Andererseits war davon auszugehen, dass die sinesischen Nachstellungen nach unserer Flucht an Brutalität zunahmen. Was Jills und Taylors gegenwärtiges Schicksal betraf, konnten wir uns nur in Schweigen hüllen und alle diesbezüglichen Spekulationen zu unterdrücken versuchen.

      Und mehrere Monate waren vergangen, seit wir die MARQUIS DE LAPLACE verlassen hatten und dem rätselhaften Museumsschiff, über dessen Herkunft wir immer noch nichts Endgültiges wussten, in die Falle gegangen waren. Zum damaligen Zeitpunkt war die Situation unseres Mutterschiffes ebenfalls traurig gewesen. Zu den neugegründeten Kolonien in der Eschata-Region fehlte jeder Kontakt. Die Bemühungen der Planetarischen Abteilung, mit der sinesischen

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