Schlacht um Sina. Matthias Falke
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Und dennoch schmiedeten wir Pläne. Alle unsere Hoffnungen ruhten auf den irdischen Stellen, die wir in einem niedagewesenen kosmischen Salto mortale erreicht hatten. Aber hier stellte man sich taub. Wir wurden hingehalten und abgewiesen. Die zivilen Stellen ließen offen durchblicken, dass sie sich den Status quo nicht vermiesen lassen würden. Sie hatten sich in dem Stillhaltefrieden häuslich eingerichtet. Dass es ein entwürdigender und noch dazu höchst fragiler Zustand war, der jeden Augenblick dadurch beendet werden konnte, dass eine graue Eminenz in Sina City eine Taste betätigte und einen Befehl grunzte, schien sie dabei nicht im geringsten zu stören. Es war ein Lombok mit umgekehrten Vorzeichen. Aber während die Union nach der siegreich verlaufenen Schlacht von Persephone ihre Bedingungen diktiert und schriftlich festgehalten hatte, fehlte bis heute jede Erklärung von Seiten der Sineser, die die Verantwortung für den Warpsonden-Angriff auf Jupiter übernahm oder sich der Mühe unterzog, den seither herrschenden völkerrechtlichen Schwebezustand in Worte zu fassen.
Das alles beunruhigte niemanden. So herzlich man uns aufgenommen hatte, so ausweichend verhielt man sich nun – und umso ungehaltener, je mehr wir darauf beharrten, dass weitreichende Schritte in die Wege geleitet werden mussten.
»Am Ende müssen wir sie vor vollendete Tatsachen stellen«, brummte Jennifer düster und sah brütend in den Abgrund hinunter, der sich vor ihr öffnete. Sie ließ offen, was das im einzelnen heißen könnte, aber ich konnte mir in etwa vorstellen, was sie ausheckte. Ihr waren das Temperament, die Verzweiflung und die kreative Aggression zuzutrauen, um in einer wohldurchdachten Kurzschlusshandlung eine sinesische Reaktion zu provozieren. Dann würden die irdischen Stellen gezwungen sein, zu handeln. Ich hoffte, verhindern zu können, dass es soweit kam. Wir wären unweigerlich zwischen die Fronten geraten. Gegenwärtig hatten wir nicht einmal mehr Zugang zu unserem Shuttle, das uns unermüdlich einmal um die Welt getragen hatte. Nach unserer Landung auf einer der Außenplattformen hatte man es zu einem der inneren Decks geschafft, wo es seither von gelangweilten Technikern untersucht wurde. Jennifer hatte sich angeboten, ihnen dabei zu assistieren und ihnen die Funktionen des Gefährts wie auch die Modifikationen, die sie daran vorgenommen hatte, zu erklären, war aber abgewiesen worden. Wovor fürchtete man sich eigentlich? Hielt man uns für Doppelspione? Es war nicht einzusehen, was hier vor sich ging. Man musste wohl die typische Psychologie der Situation heranziehen. Die Hiergebliebenen verharrten in dem Trotz all derjenigen, die den Krieg zuhause mitgemacht oder die Diktatur in der »inneren Emigration« überdauert hatten. Sie wollten sich von denen, die von außen kamen, nichts sagen lassen. Was kosmische Katastrophen waren, das wussten sie nun nachgerade, und sie waren nicht auf Wiederholungen begierig. Wie die Überlebenden, die nach dem Bombenangriff aus dem Keller kamen, leckten sie lieber ihre Wunden, hätschelten ihre Traumata und freuten sich an jedem Schneeglöckchen, das wieder zwischen den Trümmern blühte. Wir wissen bescheid, schienen sie mit jedem Blick zu sagen. Ihr braucht uns nicht belehren.
Es war zum Verzweifeln.
»Du musst deinen Einfluss geltend machen«, sagte Jennifer.
Sie hatte recht. Ich war General. Ranggleich mit Dr. Rogers, als dessen designierten Nachfolger ich mich ausgeben konnte, ohne zu übertreiben, und »Persönlicher« – im hiesigen Jargon zu sprechen – von Commodore Wiszewsky, ranghöchster und dienstältester Offizier der Fliegenden Crew, kommissarischer Chef beider Stäbe. Wir waren in Sina City gewesen, was nur wenige Sterbliche von sich behaupten konnten, und wir hatten einmal die Reise um die Welt gemacht, wozu noch nicht einmal die Idee in eines Dritten Hirn Gestalt angenommen hatte. Aber an wen sollte ich mich mit dieser Vita wenden? Der Kanzler, Seine Eminenz Cole Johnson, hatte sich von unserem Bericht höflich beeindruckt gezeigt und war dann zur Tagesordnung übergegangen. Seine Adjutanten vertrösteten jede unserer Anfragen auf später, »wenn wir wieder zu Kräften gekommen waren“. Ich redete den ganzen Nachmittag auf Jennifer ein und flehte sie an, sich in Geduld zu üben. Da ich seit meiner Ernennung zum ENTHYMESIS-Kommandanten mehr administrative als wissenschaftliche Aufgaben gehabt hatte, kannte ich besser als sie die ganz eigene Luft dieser Stellen. Zuletzt hatte ich mich während des Jupiter-Ereignisses mit den Behörden auf Luna herumschlagen müssen, die bis unmittelbar vor ihrer Evakuierung auf ihren absonderlichen Ritualen bestanden hatten.
»Hier haben wir es mit Politikern zu tun«, sagte ich ein ums andere Mal. »Da zählt der Ton mehr als die Worte. Da muss man zwischen den Zeilen lesen, den Herrschaften Honig in den Bart schmieren und sich in den protokollarischen Nuancen von Unterwürfigkeitsgesten und Ergebenheitsadressen ergehen. Ein schroffer Auftritt wie deiner heute Mittag kann die behutsamen Vorstöße von Wochen zunichte machen.«
Sie verdrehte die Augen, packte das Geländer, dass das Holofeld zitterte, und beugte sich darüber, als wolle sie sich übergeben.
»Wir müssen intelligent und mit Zähigkeit vorgehen«, dozierte ich. »Vertrauen schaffen, für gute Atmosphäre sorgen, freundschaftliche Kontakte aufbauen.«
»Ich kotze gleich«, knurrte sie.
Ihr Kopf war außerhalb des knisternden Kraftfeldes, das sie auf Höhe der Schultern umschloss. Der frische Bergwind zauste ihr offenes Haar; die kalte Luft rötete ihre Wangen. Schließlich richtete sie sich auf und ging ins Zimmer. Ich folgte ihr. Die schmale Balkontür schloss sich schmatzend hinter uns.
Wir mussten auf Zeit spielen. Gleichzeitig rann uns die Zeit durch die Finger. Dieses Dilemma raubte Jennifer beinahe den Verstand. Hinzu kam die schreckliche Ungewissheit. Möglicherweise waren unsere Freunde und Kameraden in Sina City, auf der MARQUIS DE LAPLACE und in Eschata längst tot. Aber diesen Gedanken durften wir erst gar nicht in uns aufkommen lassen.
Wir hatten die Hoffnung darauf, dass unserer Bitte entsprochen werde, schon beinahe aufgegeben, als die Automatik der Lokalen Kommunikation Sekretär Kauffmann meldete. Er empfing uns in der kleinen Vorhalle unserer Suite und geleitete uns nach der Begrüßung zu den Elevatorschächten, die in abgerundeten sechseckigen Durchgängen auf jeder Etage angebracht waren. Er war allein, aber jedes seiner Worte machte deutlich, dass sein Hiersein im Wissen und mit Billigung der allerhöchsten Stellen stattfand. Die Überwachungsmöglichkeiten, die die unzählbaren Augen und Ohren der Lokalen Kommunikation boten, waren gar nicht nötig, damit wir uns beobachtet fühlten. Ohnehin konnte es keinen Zweifel darüber geben, dass selbst unsere Privaträume abgehört wurden.
Kauffmann plauderte unverfänglich. Erst als wir die Fahrstuhlkabine betraten, wurde er vertraulicher. Die Türen glitten sanft ineinander. Der Feldgenerator heulte gedämpft auf. Dann stürzten wir, wie wir den Anzeigen entnahmen, mehr als tausend Stockwerke in die Tiefe. Der Sekretär spähte unsere Gesichter aus. Für ihn als Zivilisten war das wohl eine tolle Sache. Aber er hatte nicht mit der Abgebrühtheit der Fliegenden Crew gerechnet, insbesondere mit zwei so alten Hasen wie uns, die jenseits der Großen Mauer gewesen waren. Jennifer erwiderte seine Neugier mit frechem Feixen. Ich beeilte mich, ihn wieder ins Gespräch zu bringen, während das HoloBoard über unseren Köpfen die Decks in Zwanzigerschritten herunterzählte.
»Ich habe über unsere letzte Unterhaltung nachgedacht«, sagte Kauffmann, »und mich auch mit dem Kanzler besprochen.«
Mehr gab er nicht preis. Er vermied es auch geflissentlich, es so aussehen zu lassen, als gebe er Jennifer unverschämter Forderung nach. Umgekehrt machte ich ihr ein Zeichen, alle Rückstände des Triumphs aus ihrer Miene zu verbannen.
»Mir scheint«, fuhr Kauffmann in der typischen verklausulierten Weise fort, »dass Sie einen falschen Eindruck