Schlacht um Sina. Matthias Falke
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Und die Ereignisse schienen ihm recht zu geben. Plötzlich ging etwas vor. Er spürte, dass sich etwas ergab. Dazu war es nicht nötig, dass Alarm gegeben wurde oder dass sein privater Kommunikator, dessen Code nur eine Handvoll Menschen an Bord des Schiffes kannten, aktiviert wurde. Er war mit dem ganzen Leib der MARQUIS DE LAPLACE – trotzdem große Segmente herausgelöst worden waren, immer noch mehr als zehn Kilometer Titanstahl – so verwachsen, dass er mit dem sechsten Sinn registrierte, wie etwas passierte. Es bedurfte keiner Sirenen und keiner aufgeregten Adjutanten. Er hatte es selber in die Wege geleitet, und er hatte es herbeigewartet. Außer Svetlana und den Mitarbeitern seines engsten Beraterstabes wusste niemand, was unternommen worden war. Umso größer würde die Überraschung nun für die vieltausendköpfige Besatzung werden.
Und während er noch spürte, wie das Schiff unter ihm erwachte, wie Instrumente ansprachen, Blinklichter rotierten, Mannschaften auf Posten kommandiert wurden und tausenderlei automatische Routinen anliefen, sah er es schon. Der Anblick trieb ihm das Wasser in die Augen. Sie kamen von der Backbordseite, um eine Ausbuchtung der Dunkelwolke herum, die eine frühere Entdeckung verhindert hatte. Die Bewegung war erst schemenhaft, dann wuchs sie rasch zu einer kompakten Machtdemonstration heran. Aus einer flächigen Ansammlung weißer und blauer Lichtflecken stachen einzelne hervor. Ihr Strahlen schwoll an, gleichzeitig bekam es einen schwarzen Corpus. Die Flotte war sehr weitläufig auseinandergezogen. Nur die größten und nächsten Schiffe waren als solche zu erkennen. Sie schwebten in einem Hof von Positionslichtern wie Klumpen von Neutronen in der flimmernden Elektronenwolke. Ein schweres Schlachtschiff führte den Verband. Obwohl er noch nicht offiziell alarmiert worden war, wusste Wiszewsky, dass es auf allen Frequenzen den Friedenscode der Union funkte. Es musste ein neugebautes Schiff sein. Als die MARQUIS DE LAPLACE vor etlichen Jahren den erdnahen Raum verlassen und die leidgeprüfte Menschheit sich selbst überlassen hatte, hatte die Union über kein Schiff mehr verfügt, das größer als ein ziviler Frachter war. Aber das hier war eindeutig ein Zerstörer. Er wurde eskortiert von einer gewaltigen Armada sekundärer Unterstützungsschiffe, deren Funktionen im einzelnen nicht auszumachen war. Eines davon setzte gerade eine Drohne aus. Wiszewsky konnte den gleißenden blauen Lichtpunkt erkennen, der sich von der klobigen schwarzen Schiffsmasse löste. Er rechnete damit, dass eine Delegation in einem kleinen Shuttle herüberkommen würde, als der Lichtpunkt so hell aufglühte, dass die Kuppelautomatik selbsttätig die Polarisierung der Elastalscheiben verstärkte. Die blendende, weißblaue Kugel schoss mit irrwitziger Geschwindigkeit nach rechts davon – und verschwand in einem letzten Lichtblitz. Offenbar hatte sie einen Warpkorridor geöffnet. Während der Commodore sich noch fragte, was das zu bedeuten habe, britzelte und prickelte es quer durch die noch unkörperliche Wolke, in der er nur das Geschwader kleinerer Hilfsschiffe vermuten konnte. Das ganze Feld loderte auf, als sei es von einem Ionensturm getroffen. Und Dutzende der einzelnen Lichtpunkte folgten dem Beispiel des ersten, der sich in den Hyperraum katapultiert hatte. Wiszewsky kratzte sich am Kopf. Dann aktivierte er den Kommunikator, dessen Meldung er schon seit geraumer Zeit unterdrückt hatte, und begab sich hinunter in seine Suite, um die Galauniform anzulegen.
Ein untersetzter Mann im Feldgrau der Neuen Union kam mit kurzen, aber energischen Schritten auf die Brücke gestiefelt. Einige Offiziere und Adjutanten begleiteten ihn. Er hatte einen kreisrunden Schädel, graues Stoppelhaar und einen weißen, ebenso kurz gehaltenen Bart. Seine Augen leuchteten im Blau des Nordatlantiks, sein Gesicht war von Wind und Wetter zu braunem Leder gegerbt. Er sah eher aus wie ein alter Seemann als wie ein General – als den ihn die Epauletten auswiesen –, der einen intergalaktischen Kreuzer befehligte. Wiszewsky wusste, dass die Union ihre Kommandanten noch immer gerne aus Fregatten- und Corvettenkapitänen rekrutierte. Dieser Mann konnte jedenfalls nicht verbergen, dass er in seiner Jugend noch leibhaftig zur See gefahren war; auch wenn dies mehrere Jahrzehnte zurücklag.
Er nahm Wiszewsky gegenüber Haltung an, salutierte und machte Meldung in einer Art, die nachlässig war, aber nachlässig, wie nur ein von der Zeit verschliffener eiserner Drill sein konnte. Diese Form von Laxheit war durch Welten vom Schlendrian jüngerer Offiziere geschieden.
»General Andresen«, bellte er. »Kommandant des Schweren Kreuzers EREBUS, Führer der Teilstreitkräfte, die ...«
Wiszewsky winkte ab. »Ersparen Sie uns das«, sagte er. »Ich bin Commodore Wiszewsky, Kommandant der MARQUIS DE LAPLACE. Seien Sie herzlich willkommen!«
Er drehte sich zu Svetlana um, die in diesem Moment auf die Brücke gelaufen kam. Der Alarm, der das Schiff durchtoste und die Ankunft der Flotte ankündigte, hatte sie geweckt, als sie über einem ihrer geliebten HoloFilme eingeschlafen war. Im gleichen Augenblick war schon Wiszewsky die feldgestützte Wendeltreppe von seinem einsamen Auslug heruntergekommen und hatte sie angeschnauzt, sich zurecht zu machen. Eine Minute nach ihm war sie fertig und folgte ihm auf die Brücke, wo die fremde Delegation, wohl eine Abordnung der Erdregierung, begrüßt wurde. Sie trug die Uniform der Fliegenden Crew und hatte ein weißes Barett auf ihre Mähne gezwickt, deren lodernde Strähnen in der Eile nur mit ein paar GraviSticks zusammenzuhalten gewesen waren. Jetzt spielte sie sich an Wiszewskys Seite, aber er ließ es nicht zu, dass sie sich bei ihm unterhängte, sondern hielt sie mehrere Schritte auf Abstand. Sie blinzelte den Männern, die eben aus Richtung der Schleusenkammer gekommen sein mussten, mit langen schwarzen Wimpern zu und vergewisserte sich, dass ihr Kragen und der samtene Kopfschmuck richtig saßen.
»Es freut mich, dass Sie so rasch erschienen sind.« Wiszewsky musste den Impuls unterdrücken, den General in die Arme zu schließen. Er wollte nicht sentimental erscheinen. Aber dann gab er sich doch einen Ruck, überwand die fünf Schritte, die ihn von Andresen trennten, und reichte dem Schlachtschiffkommandanten die Hand. Der Skandinavier erwiderte seinen Händedruck mit knochenbrecherischer Kraft. »Vor allem freut mich das unerwartet zahlreiche Erscheinen.« Er sah zur großen Panoramafront hinaus, wo hunderte von Positionslichtern und Korrekturdüsen leuchteten und blitzten. »Mit einer solchen Armada hätten wir nicht zu rechnen gewagt.« Er ließ den Blick versonnen auf dem überwältigenden Anblick ruhen, der ihm noch immer unwirklich und traumhaft vorkam.
General Andresen zog seine Hand zurück, eine rote Faust mit gelben Stoppeln auf dem Handrücken. Commodore Wiszewsky setzte dazu an, Svetlana Komarowa und den Mitarbeiterstab vorzustellen, der sich nach und nach auf der Brücke einfand.
»In Anbetracht des Ernstes der Situation«, schnitt Andresen ihm das Wort ab, »schlage ich vor,