Der Scheich. Wolfgang Kemp

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Der Scheich - Wolfgang Kemp

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geschafft haben, sich als Staatsbürger des Emirats registrieren zu lassen, als Kuwait 1961 unabhängig wurde. In die berüchtigten ashwayyat oder Slums eingepfercht lebend, ohne Pass, bürgerliche Rechte, Sozialhilfe und Zugang zu Schulen, bilden sie eine Klasse von Ausgegrenzten, die zudem den Nachteil haben, dass sie in ihrer Mehrheit der Shia, also dem Schiitentum, angehören und damit, kämen sie in den Genuss der Staatsbürgerschaft, das Gleichgewicht der Religionen im Staat verändern würden. Soviel erst einmal zur Hochschätzung des Beduinentums im Nahen Osten. Man könnte sagen, die Beduinen haben in der Geschichte verloren, in der Kulturgeschichte gesiegt.

      So weit reichen die Dynastien, welche an der Spitze der zehn Staaten stehen, auf die wir hier schauen, nicht zurück: Die Familie Saud etablierte sich im 18. Jahrhundert, die Al Thani, das Herrscherhaus von Katar, in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Gleichwohl sind das genealogische Interesse und der Wunsch, die Blutlinie der Familien und Stämme noch sehr viel tiefer, über den namensgebenden Gründungsvater hinaus zu sichern, am Golf geradezu eine Obsession. Die im Auftrag der Herrscherfamilien und der großen Clans tätigen Forscher haben die Freiheiten, die eine im wesentlichen mündliche Tradition ihnen einräumt, genutzt, aber sie sind von ihren Auftraggebern auch angehalten worden, durch Ableitung die richtigen Signale zu senden.5

      Dem westlichen Beobachter sagen weder die Ketten, noch die Namen der Clans, noch die Personennamen etwas. Abdulaziz heißt »Diener des Allmächtigen«, und das war der Vorname des Gründers des Staates Saudi-Arabien: erst Scheich, dann Emir, dann Sultan, dann König Abdulaziz (Diener des Allmächtigen) ibn Abd ar-Rahman (Knecht des Barmherzigen) ibn Faisal (Richter, Schlichter zwischen Gut und Böse) Al Saud. Diese Kette verrät in ihrer Übersetzung sehr schön eine Dualität, die für den Islam typisch ist: die Koexistenz von Dienerstellung gegenüber Gott auf der einen und von irdischer Stellvertretung Gottes auf der anderen Seite – und letzteres nicht durch einen Papst, sondern einen Muslim, wenn auch in diesem Fall durch einen sehr hochgestellten Gläubigen.6 Die Al Saud freilich kennt man, und dies aus dem Grund, weil besagter Abdulaziz wohl als erster in der Geschichte überhaupt das von ihm eroberte Land mit dem Stammesnamen eines lebenden Regenten belegte: Saudi-Arabien, das Arabien des Stammes Saud. Die Al Thani, Al Sabah, Al Said, Al Khalifa, Al Nayan, Al Maktoum sind dagegen im Westen kaum oder gar nicht bekannt. Aus diesen Familien gehen die Scheichs, Sultane und Emire von Katar, Kuwait, Oman, Bahrain, Abu Dhabi und Dubai hervor. In den Ländern des Nahen Ostens sind diese Namen so geläufig wie bei uns von Bismarck oder von Weizsäcker.

      Nun werden die Herrscherhäuser durch Polygamie und unfassbaren Reichtum sehr groß, und so kommt es darauf an, welcher Linie ein Familienmitglied angehört. Das aber ist nur dann abzulesen, wenn der Kettenname die wichtigsten Stationen der Abstammung mitliefert. Alle Söhne Ibn Sauds, wie der Gründer der Dynastie meist kurz genannt wird, hießen hinter ihrem Eigennamen »bin Abdulaziz Al Saud«. In ihren Reihen formte sich ein Clan im Clan, eine Stammeselite heraus, die »Sudairi-Sieben«; das sind die Söhne, die Ibn Saud mit Hasa bint Sudairi hatte. Drei Könige gingen aus ihren Reihen hervor, so auch der amtierende König Salman, und sie sicherten sich und ihren Nachkommen die wichtigsten Ministerien und Gouverneursposten. Am Kettennamen ließ sich ihre privilegierte Abstammung aber nicht ablesen. Da war Wissen gefordert. Auch der zum Nachfolger Salmans zunächst bestimmte Kronprinz Mohammed bin Nayef bin Abdulaziz Al Saud stammt aus dieser Linie, was man jetzt, in der dritten Generation, dem Namen entnehmen kann. Sein Vater Nayef gehörte zu den »Sudairi-Sieben«, war Kronprinz, Erster Stellvertretender Premierminister und ewiger Innenminister, sein Sohn Mohammed vereinte bis vor kurzem die Ämter des Kronprinzen, des Ersten Stellvertretenden Premierministers und des Innenministers in seiner Person. Dem Kettennamen entsprechen in den Kreisen der Machthaber Ämterketten – und es wurden hier nur die höchsten Positionen genannt, es folgen hohe Ehrenämter. Im Moment heißt der Kronprinz aber Mohammed bin Salman und ist als Sohn König Salmans ebenfalls ein Abkömmling der »Sudairi-Sieben«.

      Doch es gibt auch viele Nebenlinien und unabhängige Clans und weiterhin echte Beduinenstämme mit bedeutungsvollen Namen. Kronprinz Abdullah bin Abdulaziz Al Saud, der De-facto-König Saudi-Arabiens im Jahr 2001, näherte sich mental dem Angriff auf die Twin Towers, indem er über die Familiennamen der 15 saudischen Attentäter nachsann, also über die Al Sheri, die Al Ghamdi, die Al Hasmi usw. Man mag an eine Legende aus der Sparte »Der trauernde Landesvater und seine verlorenen Söhne« glauben, doch unter den Bedingungen des späten Tribalismus ist solches Nacharbeiten absolut plausibel. Kronprinz Abdullah war Jahrgang 1924, er hatte die Entwicklung und die Rolle dieser und anderer Clans beim Aufbau des Staates verfolgt und hatte sich als Befehlshaber der Nationalgarde (45 Jahre lang) und als Verteidigungsminister ein Bild von den Stämmen und ihren Söhnen gemacht.

      Über den militärischen Wert der Nationalgarde kann man verschiedener Meinung sein, aber ihre innenpolitische Bedeutung ist außerordentlich und besteht darin, die Stämme und ihre Rangstufen mehr oder minder gerecht abzubilden und in Balance zu halten. Was der Kronprinz und oberste Nationalgardist sagte, als er zum Telefon griff und mit den Oberhäuptern der betroffenen Stämme sprach, ist nicht überliefert, aber die Rolle des obersten Stammesführers dürfte er mit anderen Inhalten ausgelegt haben als sein Innenminister und Halbbruder Nayef, der eigentlich zuständig für die 9/11-Untersuchungen war und sogleich die These von der zionistischen Verschwörung herausposaunte.7 Aber wie schon ausgeführt: Sich bei den Stämmen auszukennen, die eigene Herkunft aus den sesshaften und den nomadischen Geschlechtern und ihren sozialen Rang zu wissen, das ist nicht allein Vorrecht und Pflicht des Königs, das gehört zum sozialen Alltagswissen aller seiner Untertanen. Ihnen ist asula vorgeschrieben, die Pflege einer reinen und stammesgemäßen Genealogie.

      »What’s in a name?« Die Namensforscherin Alexandra Alter hat darauf einmal die kurze und für den Kulturraum des Nahen Ostens in hohem Maße zutreffende Antwort gegeben: Stress. Das kann man unterschreiben, wenn man an Shakespeares Julia denkt, die diese Frage zuerst gestellt hat. »What’s in a name?« fragt Julia Capulet ihren Romeo, den Geliebten aus der feindlichen Familie der Montague, und fordert: »Deny thy father, and refuse thy name!« Das hat damals schon nicht funktioniert und ist in einer Kultur wie der arabischen undenkbar. Man kann weder aus dem Islam noch aus dem Familiennamen »austreten«. Der Syrer Ali Ahmad Said Esber hat das einmal versucht. Er wagte es, mit 17 Jahren den Dichternamen Adonis anzunehmen. Scheich Mohammed Seid Raslan forderte in mehreren Fatwas seinen Tod, weil der Dichter den islamischen Namen Ali abgelegt und sich nach einem Heiden benannt hatte. Der Dichter selbst bekannte sich dazu, denn er fühle sich den »vorislamischen und panmittelmeerischen Musen mehr verpflichtet« als den islamischen. Adonis lebt aus guten Gründen und hoffentlich sicher in Paris.

      Selbstverständlich haben alle arabischen Männer und Frauen Anrecht auf einen Kettennamen, auch wenn er nicht mit einer so klangvollen Endnote abschließt wie bei den Scheichs. Dafür konnten sie zum Sippennamen noch geographische Herkunftsnamen oder Berufsbezeichnungen aufnehmen, was eine Scheich-Familie nicht getan hätte. Aber die sozialen Unterschiede macht nicht nur der edle Familienname deutlich, statt Kettennamen sind heute Namen üblich, die aus Personen- und Familiennamen bestehen und damit der westlichen Nomenklatur, vor allem aber den Anforderungen elektronischer Lesbarkeit entsprechen: Nabil al-Zahlawi, Iqbal Hamza, Azzam Tamini. Abkürzungen von Namensketten sind nicht üblich. Die Scheichs hingegen tragen weiter lange Namen wie eine Schleppe. Das macht ihnen keine Mühe, möglicherweise aber den Inhabern jener vielen Stiftungsprofessuren, welche die Scheichs in England und den USA eingerichtet haben. An der Universität Durham lehrt ein »His Highness Sheikh Nasser bin Muhammad bin Al Sabah Chair in International Relations, Regional Politics and Security«. Der Inhaber heißt nur Prof. Dr. Anoush Etshami, aber er braucht trotzdem eine ausklappbare Visitenkarte.

      In diesem Essay ist pauschal die Rede vom Scheich. Mit diesem Begriff wurde ursprünglich das Oberhaupt eines Stammes bezeichnet. Im Fall großer Macht, auch Oberhoheit über andere Stämme, hieß der Scheich dann Emir oder Sultan. Es gab nur sehr wenige Träger dieses Titels, so wie es im Westen eben auch nur wenige Fürsten oder Könige gab. Das änderte sich, als die Territorien des Nahen Ostens zu eigenständigen Staaten aufstiegen und das Große Öl floss. Zum einen bediente man sich daraufhin westlicher Titel wie König, Kronprinz, Prinz

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