Der Scheich. Wolfgang Kemp

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Der Scheich - Wolfgang Kemp

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Gebrauch des Wortes, wie er in Titeln wie »Die Scheich-AG«, »After the Sheikhs«, »Wer den Scheich küsst« zum Ausdruck kommt, nicht nur westlich nachlässig und pauschal. Der Titel Scheich ist zum Inbegriff eines orientalischen Würdenträgers also auch durch seine extrem hohe Verbreitung geworden. Woran man allerdings seltener denkt, ist die Tatsache, dass der Ehrentitel auch geistlichen Führern zukommen kann, also Religionsgelehrten oder spirituellen Meistern im Sufismus. In Saudi-Arabien ist die Funktion der Religionsführer effektiv vererbbar. Sie rekrutieren sich aus einer Familie, die den Ehrentitel Scheich in ihrem Namen verewigt hat: Sie heißen die Al Scheich. Von dieser geistlichen Klasse der Scheichs wird hier nur die Rede sein, wenn sie Einfluss auf das Wirken ihrer weltlichen Pendants nimmt.

      Die Staaten am Golf wurden unabhängig, Saudi-Arabien bereits 1932, die anderen erst in den sechziger und siebziger Jahren, und gleichzeitig lieh man sich bei den westlichen Kolonialmächten Anreden, Ränge und die Essentials eines höfischen Protokolls aus. Man imitierte noch sehr viel mehr, aber man imitierte nicht alles. Institutionell blieb man bei der Polygamie, und patrilinear heißt in der Nachfolgeordnung nicht automatisch Primogenitur wie im Westen. Die älteren Söhne haben zwar Vorrechte und Pflichten, aber der Nachfolger des Oberhauptes wird nominiert, also nach dem Ratschluss der Familie (shura) aus den Männern des Stammes ausgewählt. Nominierung ist der Beweis dafür, dass nicht der Fürst, sondern die Sippe die höchste Instanz im zentralarabischen Raum darstellt und dass wir deswegen von der merkwürdigen Regierungsform der konsultativen Erbautokratie sprechen können. Noch schwieriger klingt »religiös-tribal-royalistische Staatsform« (Bassam Tibi).

      Die Wahl zu haben, setzt Reichtum voraus, und das ist vielleicht das stärkste Movens in einer Kultur, die bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts im Mangel gelebt hat. Im Mangel, den man durch sein Gegenteil, den Überfluss, und oft durch den Exzess zu bekämpfen suchte. Als Ibn Saud das riesige Gebiet der arabischen Halbinsel eroberte, ging er Ehen mit Frauen aus vielen ehemals verfeindeten Stämmen ein. Die Zahl seiner Gattinnen und Konkubinen lag bei etwa 22, die Zahl der Kinder bei knapp 100, darunter 45 Söhne. Er erheiratete sich im großen Stil den inneren Frieden seines Territoriums. Und nach dieser gewaltigen Streuung der Erbmasse setzte die klassische Umkehr ein und genetischer und materieller Reichtum wurde innerfamiliär verteilt. Die Heirat unter Cousinen und Cousins war und ist die Regel. Das muss aber nicht mehr über Kreuz geschehen wie in den beduinischen Stammesgesellschaften, denn die Sippe ist groß geworden, sehr groß: Im Fall der Al Thani liest man hier und dort die Zahl 20 000, konservativere Schätzungen sprechen von 5–6 000 Prinzen und Prinzessinnen. Mai Yamani, als Tochter eines Ölministers eine Kennerin der saudischen Verhältnisse, schätzte vor zehn Jahren die gesamte königliche Familie Saudi-Arabiens auf 20 000 Mitglieder, das ergibt ein Verhältnis Royals zu Nicht-Royals von 1:1 000, in Großbritannien liegt es bei 1 : 5 000 000.8

      Was erbbiologisch akzeptabel ist, kommt ökonomisch und politisch zunehmend einer Plage gleich. Vielleicht auch in religiöser Hinsicht, denn es heißt in Sure 8, Vers 28: »Und wisset, dass euer Gut und eure Kinder nur eine Versuchung sind, und dass bei Allah gewaltiger Lohn ist.« Die Familie, die nach Stammesbrauch gehalten und erhalten werden soll, selbst wenn ihre Größenordnung alle Vorstellungen sprengt, ist eine von drei Achsen dieses Buches.

      Stamm, Islam, Öl: die unheilige Dreieinigkeit

      Die beiden anderen Achsen sind der Islam und das Öl. Beide Faktoren tragen generell zum enormen Bevölkerungswachstum am Golf und speziell zur inflationären Vermehrung der Prinzen- bzw. Scheichkaste bei: der Islam, weil sein Expansionsverlangen unter anderem auf der Förderung größtmöglicher Fruchtbarkeitsraten beruht, und das Öl, weil es den Reichtum bringt, der den Unterhalt riesiger Familien ermöglicht und ein langes Leben garantiert. Die einheimische Bevölkerung hatte schon seit den siebziger Jahren das Anrecht, ihre Krankheiten im Ausland behandeln zu lassen. Dieses Privileg besteht in einigen Golfstaaten bis heute, obwohl sich in der Region längst Kliniken mit höchsten Standards etabliert haben. Die Lebenserwartung liegt heute in Bahrain bei 79, in Afghanistan bei 50 Jahren.

      Öl-Staaten sind fast alle Problemstaaten. Das hat nicht nur mit Preisschwankungen und Monokultur zu tun. Außenpolitisch heißt das für den Nahen Osten: Großer Reichtum verlangt nach großen Sicherheitsvorkehrungen, und Emirate von der Größe 11 627 km2 (Katar) lassen sich militärisch nicht verteidigen. Die Abnehmer des Öls steigen zu Schutzmächten auf, und das führt islambedingt dauerhaft zu Spannungen, denn die Beschützer sind die »Ungläubigen«. Und diese können die Ölstaaten nicht nur aus der Luft oder aus dem All verteidigen, sondern sie brauchen Basen – Basen im Heiligen Land.

      Innenpolitisch ist bedenklich, dass das Öl von Anfang an nicht als Gemeineigentum der Nation behandelt wurde. Die Erträge aus der Ölförderung werden nach einem von der Herrscherfamilie bestimmten Schlüssel auf die Staatskasse und auf die Familienkasse verteilt. Die Geschichte der neuen Staatsform, die wir Rentenstaat nennen und zu der wir noch ausführlicher kommen, begann im Iran nach dem Zweiten Weltkrieg. Anders als dort, wo 1951 die Einkommen aus dem Ölexport (die Rente) verstaatlicht und zum Aufbau einer etatistischen Regierungsform, eines Staatssozialismus, verwandt wurden, flossen am Golf die Einnahmen dem regierenden Stamm zu und wurden von ihm der einheimischen Bevölkerung zugewiesen (Allokation der Rente).

      Es gab und gibt freilich verschiedene Stile des Umgangs mit den Petrodollars in höchster Hand: knauserige oder freigiebige, verschwenderische oder auf bauende, aber die Familienfürsorge hat immer die Priorität. Gerne erzählt man am Golf Geschichten von Scheich Shakhbut bin Sultan Al Nahyan, der glaubte, den neuen Ölstaat Abu Dhabi ohne Ausbau der Infrastruktur führen zu können. Er hielt die Schatztruhen einfach verschlossen. Banken, sprich: andere Truhen, ließ er nicht zu. Dass er ihr Wesen nicht verstand, zeigte sich, als er sie schließlich doch in sein Emirat holte. Er nahm Kredite auf und wollte sie nicht zurückzahlen, denn er hielt sie für Geschenke. 1965 wurde er entmachtet. Wie danach sich das Verhältnis von »Truhe« und Staatshaushalt gestaltete, wird uns später ausführlicher beschäftigen. Und dann wird es auch um den Faktor Islam gehen.

      Verschwundene Söhne und Töchter

      Um zu den vier männlichen Namen zurückzukommen, an denen wir eingangs die arabische Nomenklatur erläutert haben: Es sind die Namen von vier saudi-arabischen Prinzen, derer wir hier gedenken wollen. Der erste, Sultan bin Turki, bestieg am 1. Februar 2016 in Paris ein Flugzeug mit dem Ziel Kairo. Es wurde nach Riad umgeleitet. Die Begleiter des Prinzen wurden entlassen, er selbst wird nach heutiger Erkenntnis irgendwo in Saudi-Arabien festgehalten.9 Das Kuriose an seinem Fall ist, dass der Mann bereits 2003 aus seinem Schweizer Wohnort Genf in einem sehr aufwendigen Verfahren und unter Mitnahme seiner Papiere und Akten nach Riad verschleppt wurde, wo er sich später wohl unter Zusage konformen Verhaltens wieder freimachen konnte. Prinz Sultans zweite Entführung war kausal mit seiner ersten verbunden: Er hatte 2015 vor einem Schweizer Gericht Klage gegen seinen Cousin Prinz Abdulaziz bin Fahd erhoben.10 Dieser habe seine erste Verschleppung veranlasst. Noch nie hatte einer aus dem inneren Kreis der Enkel Ibn Sauds ein anderes Familienmitglied in aller Öffentlichkeit belangt, und noch dazu vor einem Gericht im »Lande der Ungläubigen«. Bevor der Prozess beginnen konnte, war der Prinz weg.

      Der zweite der Prinzen, Turki bin Bandar, wurde zum letzten Mal im Juli 2015 gesehen. Sein Reiseziel Marokko war offenbar nicht sicher genug, um seine Auslieferung nach Saudi-Arabien zu verhindern. Prinz Saud bin Saif, der Dritte im Bunde, bestieg nach Angaben seiner Freunde im Herbst 2015 den Privatjet eines russisch-italienischen Konsortiums, um zu einem Treffen angeblich in Italien zu fliegen. Er ist seitdem vermisst. Wenige Tage vorher hatte er den Rücktritt seines Großonkels König Salman verlangt. Er unterhielt einen sehr aktiven Twitter-Account mit stark regimekritischer Tendenz.

      Auch diese beiden Prinzen waren als Kritiker ihrer Familie und des politischen Systems ihres Landes an die Öffentlichkeit getreten. Das wird der Grund ihrer Entführung gewesen sein. Das saudische Königshaus hatte schon einmal den Auf tritt einer Gruppe von sogenannten Freien Prinzen erlebt. Auf eine Wiederholung war man im Diwan nicht erpicht. Hinzu kommt, dass das Klima im Palast zu Riad gerade 2015/2016

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