Zügellos. Dominique Manotti

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Zügellos - Dominique  Manotti

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hinten gekippt, ein ruhiges Gesicht, Augen geschlossen, Mund halb offen. Ein sehr schönes indianisches Gesicht, hohe Wangenknochen, sehr dunkle Haut, üppiges schwarzes Haar, das bis auf den Boden hängt. Die Blutlache auf den Fliesen hat sich unter der Tür hindurch ausgebreitet.

      Die Mordkommission ist an der Arbeit. Gerichtsmediziner, Fotograf, Sachverständige. Eine einzige Zeugin, eine Frau hat beim Make-up-Auffrischen das Blut unter der Klotür hervorrinnen sehen und ist schreiend hinausgerannt. Da war es 15 Uhr 40.

      Daquin ist groß, gut eins fünfundachtzig, breitschultrig, massig, wenn nicht gar etwas grobschlächtig, kantiges Gesicht, ebenmäßig, aber nicht ausnehmend schön, braune Augen, ungemein wacher Blick auf alles um ihn herum, starke körperliche Präsenz. Seit der Chef da ist, fühlt Romero, wie der Druck ein wenig nachlässt.

      Daquin dreht sich zu ihm um. »Und?«

      »Eine meiner Informantinnen. Sie rief mich zu Hause an«, zögert kurz, »gegen halb drei, und hat mich herbestellt, zu Schalter 10, um mir jemanden zu zeigen. Sie meinte, es sei wichtig und dringend. Sie wurde umgebracht, bevor ich hier war.«

      »Wo haben Sie sie her?«

      »Aus dem Knast in Fleury-Merogis. Als das ganze Theater um das kolumbianische Kokain losging, habe ich mich dort umgesehen, meine Netze ausgeworfen. Sie saß ein, und ihre Mutter auch, man hatte sie beim Mitführen von je hundert Gramm Kokain erwischt, Drogenkuriere, kleine Fische. Sie sprach Französisch, schien auf Zack zu sein …«

      »Und außerdem sehr hübsch.«

      »Ja, das auch.« Mürrisch. »Ich habe ihre Freilassung organisiert und ihr versprochen, dass sie ihre Mutter wiederkriegt, wenn sie mir Tipps über die Kolumbianer in Paris liefert.« Rückblende: der Körper des Mädchens in der Sonne oben am Quai de la Loire, während die Zeit verstreicht. »Ich bin nicht stolz auf mich.«

      Daquin mustert ihn kurz. »Das sehe ich.«

      Dann wendet er sich wieder der Leiche zu und untersucht sie eingehend. Der rechte Ärmel hat nichts abbekommen. Daquin beugt sich vor, reibt den Stoff zwischen zwei Fingern. Feinste Seide. Lupft vorsichtig den Kragen. Etikett: Sonia Rykiel. Dreht mit der Fußspitze eine Sandale um, die neben der Kloschüssel liegt: zwei Wildlederriemchen mit Charles Jourdan-Schriftzug. »Und sie sprach gut Französisch?«

      »Ja, fließend, gerade mal ein leichter Akzent.«

      »Ihr kleiner Fisch kommt mir sehr seltsam vor, zu gut gekleidet für eine arme Kolumbianerin. Romero, Sie lernen es nie. Beim Betrachten ihrer Kleidung erfährt ein Bulle mehr über eine Frau als beim Bewundern ihres Busens.«

      »Niemand ist vollkommen, Chef.«

      Schweigen.

      »Meiner Meinung nach sollten wir dringend ihre Mutter aufsuchen, bevor andere es tun.«

      Als sie zur Gefängnisverwaltung von Fleury-Mérogis kommen, erfahren Daquin und Romero, dass Madame Jimenez zwei Tage zuvor auf richterliche Anordnung entlassen wurde.

      »Können wir die Akten von Paola Jimenez und ihrer Mutter einsehen?«

      Paola Jimenez hat sofort nach ihrer Inhaftnahme verlangt, Anwalt Larivière zu verständigen.

      »Larivière kenne ich seit zwanzig Jahren. Er hatte schon windige Kontakte zur CIA, als ich noch beim FBI gearbeitet habe. Eine kleine Drogenkurierin, die sich bei Sonia Rykiel einkleidet und die Adresse eines CIA-Verbindungsmanns hat … Aber Larivière hat es offenbar abgelehnt, sich mit dem Fall zu befassen. Das war noch, bevor Sie aufgetaucht sind, Romero. Sehen wir uns die Mutter an.« Daquin überfliegt zwei Blätter. »Auch nicht schlecht. Vor einer Woche hatte sie Besuch von Maître Astagno, der erklärte, er sei ihr Anwalt. Kennen Sie Astagno?«

      »Natürlich.« Romero ist entschieden unwohl.

      »Gerissener Anwalt, Haus- und Hofverteidiger der Dealer, die wir in Frankreich dann und wann zu fassen kriegen. Hat letztes Jahr die Freilassung eines Schatzmeisters des Medellín-Kartells erwirkt, der Riesensummen auf neun Luxemburger Nummernkonten verwaltete. Es ließ sich offenbar nicht beweisen, dass das Geld unmittelbar aus Drogengeschäften stammte. Finden Sie es normal, dass Astagno sich für eine kolumbianische Dealer-Oma interessiert? Und sie binnen drei Tagen freikriegt?«

      »Nein, natürlich nicht. Chef, ich gestehe, was immer Sie wollen. Ich war unvorsichtig, ich habe einem hübschen Mädchen vertraut, schnell war ich auch nicht, und ich bin mit schuld an ihrem Tod. Was machen wir jetzt?«

      »Wir lassen schleunigst die Finger davon. Das Ganze riecht oberfaul. Vermutlich ein fingierter Drogendeal seitens der Amerikaner, eine gute Werbung just vor dem Pariser Weltwirtschaftsgipfel, der für die internationale Drogenbekämpfung einen historischen Wendepunkt markieren soll. Paola befördert eine Kostprobe, um die Abnehmer zu ködern. Aus einem uns nicht bekannten Grund läuft die Operation schief. Paola wird festgenommen, vielleicht haben die Amerikaner sie selber hochgehen lassen, zumal Larivière es ablehnt, sich um den Fall zu kümmern. Als Sie sie zurück ins Spiel bringen, wittern die Abnehmer etwas, erkundigen sich bei der Mutter und exekutieren das Mädchen. Zudem müssen französische Polizisten in der Sache mit drinhängen. Also Vorsicht. Sie legen eine Akte an, Romero, und wir warten ab.«

      Agathe, Jubelin und Nicolas treffen gemeinsam am Eingang des kleinen Hôtel des Maréchaux an der Place de l’Étoile ein. Sie mussten zu Fuß kommen, denn das ganze Viertel befindet sich im Belagerungszustand. In nicht mal einer halben Stunde beginnt die Jubliäumsparade des 14. Juli anlässlich des 200. Jahrestags der Französischen Revolution. Auf der Freitreppe empfängt sie ein strahlender Perrot. In der Eingangshalle der unverändert elegante Domenico Mori in Begleitung von drei Italienern. Perrot macht miteinander bekannt: Enzo Ballestrino, Moris Finanzberater, Michele Galliano und Giuseppe Renta, die in München Tochtergesellschaften des Mori-Konsortiums leiten.

      Dann nimmt er alle mit auf Besichtigungstour durchs Haus. Prachtvolle Räume im ersten Stock: hohe Decken, Versailles-Parkett aus blonder Eiche, große Rundbogenfenster zur Place de l’Étoile, Wände und Decken mit Täfelungen und Stuckverzierungen. Keinerlei Möblierung, nur mehrere mit vielerlei Getränken und Köstlichkeiten beladene blumengeschmückte Buffets gegenüber den großen Fenstern. Zwischen den Buffets Fernseher, die gleich die Parade übertragen werden. Eine Etage höher wiederum leere Räume, Fenster zur Place de l’Étoile, überladene Buffets und Fernseher.

      Perrot wendet sich an die Italiener: »Dank meinem Freund Jubelin und der PAMA konnte ich dieses Haus vor einem Monat kaufen. Es ist bereits weiterverkauft an eine japanische Versicherungsgesellschaft, zum höchsten Quadratmeterpreis im gesamten Goldenen Dreieck. Nach Abzug der Kosten erziele ich damit binnen drei Monaten einen Gewinn von fünfzehn Prozent.«

      »Und indem sie die Transaktion versichert«, übernimmt Jubelin, »bekommt die PAMA in Japan einen Fuß in die Tür, ohne einen Sou auszugeben. Verschaffen Sie mir viele solcher Geschäfte, und wir werden gute Freunde bleiben.« Gelächter.

      Die geladenen Gäste treffen grüppchenweise ein. Als gegen 22 Uhr die Parade beginnt, drängen sich rund hundert Geschäftsleute und Mitglieder von Ministerialkabinetten »mit Gattin« an den Fenstern der beiden Stockwerke. Der Festzug hat sich in der Avenue Foch formiert und umrundet den Arc de Triomphe, wobei er genau unter den Fenstern des Hôtel des Maréchaux vorbeikommt, bevor er auf die Champs-Élysées einbiegt. Man hört das unablässige Dröhnen der Trommeln und ab und zu den grellen Klang der Dudelsäcke.

      An der

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