Der Ruhrbaron aus Oberhausen Paul Reusch. Peter Langer
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Reuschs Textentwurf endet mit einem pathetischen Appell an die Reichsregierung: „Der ganze Erdball wird von deutschen Industriellen abgesucht, ohne dass der vorhandene Erzhunger halbwegs befriedigt wird. Ich halte die Einverleibung des Erzbeckens von Französisch-Lothringen in das Deutsche Reich geradezu für eine Lebensfrage der deutschen Eisenindustrie.“27
Welchen Einfluss Eingaben dieser Art auf die Reichsregierung hatten, ist schwer einzuschätzen, da der spätere Kriegsverlauf ihnen die Grundlage entzog. Auch wenn es zutreffen sollte, dass Reichskanzler Bethmann-Hollweg sich beim Entwurf seines berühmten September-Programms nicht direkt von Interessengruppen der Industrie beeinflussen ließ28, so ist doch zu vermuten, dass die Agitation der Schwerindustrie und der nationalistischen Verbände bei der gedanklichen Konzeption des Programms eine Rolle spielte. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass der für Wirtschaft zuständige Staatssekretär Delbrück, der als zweiter Mann im Kabinett keineswegs immer mit dem Kanzler einer Meinung war29, offenbar in diesen Tagen engen Kontakt zu den Industriellen, u. a. zu Reusch, hielt.
Reuschs Beiträge zur Kriegszieldebatte im weiteren Verlauf des Krieges
Die Abtretung der Erzgruben in der Normandie war natürlich nur – in Reuschs Diktion – für den äußersten Fall vorgesehen, also für den Fall, dass Deutschland die Friedensbedingungen nicht vollständig diktieren konnte. Auch während des Krieges ließ der Generaldirektor der GHH sich deshalb über den Erzvorrat in der Normandie auf dem Laufenden halten. Sein Rohstoff-Fachmann Kipper legte ihm im November 1914 eine detaillierte Berechnung vor, wonach in den drei Minen Barbery, Urville und Estrées mehr als 305 Millionen Tonnen abbaufähigen Eisenerzes lagerten.30 Ein Jahr später ergänzte er diese Informationen durch genaue Zeichnungen.31 Kippers Gutachten dienten Reusch im folgenden Jahr als Grundlage für seine nächste Eingabe an die Reichsregierung.
Die nationalistischen Verbände und die führenden Vertreter der Schwerindustrie ließen sich von den militärischen Rückschlägen im Spätsommer und Herbst 1914 nicht beirren. Sie kämpften hartnäckig gegen einen „voreiligen“ oder „faulen“ Frieden. Im Mai 1915 flossen ihre Maximalforderungen in eine gemeinsame Denkschrift der Unternehmerverbände und der Verbände der Landwirtschaft ein. Federführend waren wie eh und je Stinnes, Kirdorf, August Thyssen und Hugenberg.32 Es gibt keine Hinweise für eine aktive Beteiligung von Reusch, allerdings auch keinerlei Hinweis, dass er sich distanziert hätte. Im Gegenteil: Er war weiterhin bereit, gemeinsam mit anderen Schwerindustriellen die auf Annexionen ausgerichtete Kriegszielagitation der politischen Rechten mit erheblichen Geldmitteln zu unterstützen.33 Gleichzeitig stand Reusch über einen Mittelsmann in der Schweiz weiterhin im Kontakt mit französischen Behörden in Paris, wo sein Beauftragter sich um die Eintragung von 98 Erzkonzessionen ins Grundbuch bemühte.34
Reusch muss sich in den folgenden Monaten sehr über den unlauteren Wettbewerb, den einzelne seiner Kollegen angeblich praktizierten, geärgert haben. Denn er nahm dies zum Anlass für eine weitere Eingabe an die Reichsregierung, nun an den neuen Staatssekretär Helfferich, erst kurz zuvor ernannt und im Ressort Inneres mit der Zuständigkeit für Wirtschaft beauftragt. Gegen wen sich sein Ärger ganz konkret richtete, sagte er nicht. „Wir haben entgegen der Gepflogenheit anderer Industriellen davon abgesehen, die Öffentlichkeit durch Vermittlung der Presse über unseren bedeutenden Besitz – wohl den größten, über den überhaupt ein deutsches Werk in Frankreich verfügt – zu unterrichten.“ Die GHH sei bewusst zurückhaltend gewesen, weil man annahm, „dass erst bei Friedensschluss sich das Reich um private Interessen würde kümmern können“. Die Vorstöße der Konkurrenz veranlassten ihn jedoch, zu diesem Zeitpunkt die Zurückhaltung aufzugeben. Die Reserven an Eisenerz in den von der GHH seit 1907 erworbenen Gruben in der Normandie listete Reusch im Einzelnen auf. Von den insgesamt 305 Millionen Tonnen befänden sich anteilig 224 Millionen Tonnen im Besitz der GHH: „Daraus geht hervor, dass es sich um einen ganz gewaltigen Erzbesitz handelt, der für die deutsche Volkswirtschaft von hervorragender Bedeutung ist.“ Den Wert veranschlagt er nach Abzug der Aufwendungen der GHH auf ca. 50 Millionen Mark und leitet daraus die Forderung ab, „die bedeutenden Interessen unseres Unternehmens in Frankreich bei Friedensschluss geneigtest im Auge behalten zu wollen, nachdem unser Besitz, ebenso wie der Besitz der übrigen deutschen Werke von der französischen Regierung mit Beschlag belegt worden ist.“35
Wie wichtig ihm die Sache war, geht aus der Tatsache hervor, dass Reusch den Entwurf des Schreibens an die Reichsregierung persönlich korrigierte und Bergassessor Kipper ausdrücklich anwies, diese Korrekturen in die endgültige Fassung der Eingabe aufzunehmen. Dieses Schreiben knapp zwei Jahre nach Kriegsbeginn macht deutlich, wie Reuschs Wunschlösung aussah. Es war nicht mehr die Rede von einer Hinnahme der Enteignung der Gruben in der Normandie im Tausch gegen entsprechenden Besitz in Lothringen. Für die GHH strebte er nach dem Sieg über Frankreich den Zugriff auf das Eisenerz in Lothringen und in der Normandie an.
Intern äußerte sich Reusch schon im Frühjahr 1916 sehr abfällig über Bethmann-Hollwegs Zögern, den uneingeschränkten U-Boot-Krieg wieder zu eröffnen. Der Reichskanzler hatte eine Denkschrift des Admiralstabs, in der diese brutale Form der Seekriegsführung gefordert wurde, wegen der katastrophalen Folgen für die Friedenssondierungen wieder einsammeln lassen. Reusch kommentierte diesen Vorgang in einem Schreiben an den Vorsitzenden der „Deutschen Vereinigung“ Graf Hönsbröch so: „Dem Herrn Reichskanzler war es naturgemäß sehr unangenehm, dass einige Exemplare dieser Denkschrift auch gewöhnlichen Sterblichen zugänglich gemacht wurden.“ Damit sollte nach Reuschs Meinung erreicht werden, dass „den Herrn … in der Wilhelmstraße die Stimmung des Volkes über den U-Boot-Krieg nicht noch mehr zu schaffen macht.“ Von den „Leitsätzen“ des Admiralstabs würden jetzt Abschriften angefertigt, die einem kleinen Kreis von Personen, zu denen Reusch offenbar auch zählte, zugesandt würden. Damit sei der Beweis erbracht, „dass der Admiralstab, mit Ausnahme des Chefs, der wieder umgefallen ist, etwas anderer Ansicht war und wahrscheinlich heute noch ist, als der Herr Reichskanzler.“36 Was den uneingeschränkten U-Boot-Krieg anging, so hatte Reusch anscheinend einen größeren Kreis von Unternehmern angesprochen. Begeisterten Beifall erhielt er von seinem Kollegen Wieland aus Württemberg: „Es ist erfreulich, feststellen zu können, mit welcher Einmütigkeit sämtliche gefragte Herren sich für eine rücksichtslose Führung des U-Boot-Krieges ausgesprochen haben. Wann wird wohl der Zeitpunkt kommen, dass unsere Regierung von dieser Waffe energisch Gebrauch macht?“37
Immerhin zögerte Reusch im Sommer 1916 noch, ob er dem „Unabhängigen Ausschuss für einen Deutschen Frieden“, der ganz auf der extremen Linie des Alldeutschen Verbandes lag, beitreten sollte. Wilhelm Hirsch, der Syndikus der Essener Handelskammer, einer der führenden Interessenvertreter der Industrie im Reichstag und enger Vertrauter von Paul Reusch, hatte dies angeregt. Reusch wollte aber erst die Richtlinien dieses Ausschusses klar festgelegt haben. Er drängte darauf, „beim Friedensschluss Russland möglichst zu schonen und unser Hauptaugenmerk auf die Hinausschiebung der westlichen Grenze zu richten“. Im Osten wollte Reusch vor allem einen von Russland unabhängigen polnischen Staat verhindern. „Wer – wie ich – mehr als ein Jahrzehnt in Österreich-Ungarn gelebt hat, weiß, dass die Polen in Österreich-Ungarn dem Deutschen Reiche niemals freundlich gesinnt sein werden. Auch unsere ganze Politik, die wir in Russisch-Polen treiben, schafft uns dort keine Freunde. Unsere Nachgiebigkeit wird als Schwäche ausgelegt! Die Polen werden