Der Ruhrbaron aus Oberhausen Paul Reusch. Peter Langer

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Der Ruhrbaron aus Oberhausen Paul Reusch - Peter Langer

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in der Welt vor allem auch wirtschaftlich würde stärken können. Deshalb hätten die Industriellen die annexionistischen Kriegsziele der kaiserlichen Regierung unterstützt, ja diese in ihrem Programm vom 15. Dezember 1914 noch übertroffen. Sie handelten dabei gemeinsam mit ihren innenpolitischen Bündnispartnern, den ostdeutschen Agrar-Junkern und dem Alldeutschen Verband. Reusch allerdings habe sich zumindest teilweise von diesen Maximalzielen distanziert: „So begeistert Reusch über das Bündnis zwischen Industrie und Landwirtschaft und über den Siegfrieden mit umfangreichen Annexionen war, so widersprach er doch seinen Kollegen bezüglich der Annexionen im Osten: ,Wenn wir Weltpolitik treiben wollen, müssen wir England die Faust auf die Nase setzen und unser Gebiet nach dem Westen erweitern. Auf der anderen Seite aber können wir nicht die ganze Welt dauernd zu Feinden haben, und deshalb müssen wir uns mit Russland vertragen.’“

      Aufgrund dieses Zitats billigt Feldman Reusch, im Vergleich zu seinen Kollegen, „relativ nüchterne Ansichten“ darüber zu, „was Deutschland im Fall eines totalen Sieges sich nehmen sollte“; er habe damit aber „auf seine Kollegen wenig Eindruck gemacht …, betrachteten sie ihn doch wohlwollend als Gleichgesinnten in allen anderen Dingen“.1 Ist diese wohlwollende, allenfalls leicht ironische Darstellung und Wertung haltbar? Die Kriegsmentalität der Mächtigen im Kaiserreich wird bei keinem anderen Thema so offenkundig wie bei der Diskussion um die Kriegsziele.2 Welche Rolle Reusch dabei spielte, muss deshalb an erster Stelle genau untersucht werden.

      Vorab eine Bemerkung zu den erstaunlich wohlwollenden Formulierungen von Feldman: Was die Rolle der Schwerindustrie im Allgemeinen und Reuschs im Besonderen in den Jahren vor 1914 angeht, so irritiert etwas, wie mit verharmlosenden Begriffen Ursachen und Verantwortlichkeiten für den Krieg vernebelt werden: Der Begriff „patriotisch“ ist für den fanatischen und aggressiven Nationalismus der Vorkriegsjahre unangebracht. Das Schlagwort vom „Platz an der Sonne“ verharmlost den kaiserlichen Imperialismus und damit eine der wesentlichen Ursachen für die Katastrophe von 1914. Auch reicht es nicht, den Begriff „Einkreisung“ in Anführungszeichen zu setzen, um die darin zum Ausdruck gebrachten Wahnvorstellungen zu entlarven. Es war nicht nur die hoch riskante Außen- und Rüstungspolitik der kaiserlichen Regierung, sondern auch der aggressive Expansionskurs der Ruhr-Konzerne, gerade auch der GHH unter ihrem neuen Generaldirektor, der die Gegenmaßnahmen der Nachbarn erst provozierte. Die forcierte Expansion, z. B. durch den Erwerb von Erzgruben in Nord-Frankreich und die Zollpolitik der kaiserlichen Regierung, wirkte ohne Zweifel spannungsverschärfend. In den Quellen finden sich nirgendwo Hinweise, dass Reusch vor dem Krieg zur Mäßigung oder Verständigung mit den Nachbarn geraten hätte.

      Kam der Krieg für ihn dann tatsächlich „ungelegen“, d. h. überraschend? Äußerte er sich kritisch über die Belastungen, die seinen Betrieben aufgebürdet wurden? Trug er nur generell die Kriegsziel-Programme mit oder wurde er persönlich aktiv? Und hob sich seine Haltung tatsächlich als pragmatisch und nüchtern vom Fanatismus seiner Kollegen ab? Das von Feldman präsentierte Zitat stammt vom August 1916, sagt also nichts aus über Reuschs Haltung am Anfang des Krieges. Darauf, auf die Sommermonate des Jahres 1914 muss daher zunächst die Aufmerksamkeit gelenkt werden.

      Reuschs Enthusiasmus in den ersten Kriegswochen war grenzenlos; noch Jahrzehnte später erinnerte er sich wehmütig an den „Geist von 1914“. Sein Stellvertreter Woltmann hatte ihm von der Reise an die Front im Westen eine Karte geschrieben: „Die Fahrt am Montag zeigte ein Land voller Begeisterung. Ich habe so etwas in Deutschland nicht für möglich gehalten. Hier Arbeit, kaum Schlaf, wenig Essen, aber guten Mut. Das gesättigte Dasein … in Friedenszeiten hat sein Ende.“3 Reusch kümmerte sich sofort um die Lebensversicherung seines engsten Mitarbeiters. Er empörte sich, dass dessen Versicherung Schwierigkeiten machte – seine eigene Lebensversicherung trage „das Kriegsrisiko ohne jeden Zuschlag“. Im Übrigen fand Reusch die wirtschaftliche Lage bei Kriegsausbruch höchst „interessant“ – ohne zu präzisieren, woran er diese Faszination festmachte – und er vertraute der kaiserlichen Regierung. Diese habe „zweifellos gut vorgesorgt“.4 Woltmanns Siegeszuversicht war eineinhalb Jahre später noch nicht ins Wanken geraten. Nach dem zweiten Kriegswinter schickte er Reusch ein langes begeistertes Stimmungsbild von der Front in Litauen: „Unser drittes Bataillon hat in den Schützengräben, die vom Tauwetter und -Wasser zusammenstürzten, sehr schwere Tage erlebt. Es sind dann bei Infanterieangriffen aber entsprechend Russen umgelegt worden. Schließlich schleppte man noch ein kaukasisches Korps heran. Die sind aber nicht mehr aus ihren Gräben herausgekommen. Seit einigen Tagen herrscht nun völlige Ruhe: Der Bär, der gegen die Gitterstangen seines Kerkers gesprungen, leckt sich die wunden Tatzen. … Wenn der Bär wieder zu neuen Kräften gekommen ist, findet er eine neue, nicht mehr vom Tauwetter geschwächte Stellung. … Es war ein sehr schönes Kommando, und die 4 Monate am See und auf dem Gut … werde ich nicht vergessen. Ich habe Eis, Schnee, Wasser und Sand in allen Tages- und Nachtstunden kennen lernen können, so wie es eigentlich nur einem ostdeutschen Landjunker beschieden ist: Leider ohne Leute. … Unser Panjezimmer mit der langen russischen Entenflinte, einem doppelläufigen Vorderlader, einem Pulverhorn, einem deutschen Militärkarabiner, einigen Heiligenbildern an der Wand verstärkte noch diesen Schein des Pelzjägerdaseins.“5 Der Krieg als Pelzjägerabenteuer – mit dieser Vorstellung glaubte Woltmann seinen Chef beeindrucken zu können. Wenige Wochen später wurde Woltmann vom Kriegsdienst freigestellt und kehrte an seinen Schreibtisch in Oberhausen zurück.

      Wenn Reusch sich wirklich im Geheimen zu Beginn des Krieges Sorgen gemacht haben sollte, so wurden diese durch die Hoffnung auf den Erwerb französischer Erzgruben verdrängt. Auch der Verlust von Absatzmärkten schien ihn nicht sonderlich zu bedrücken, rechnete er doch nach dem baldigen Sieg mit der Ausschaltung zumindest der französischen und der belgischen Konkurrenz. Inhalt und Stil seiner Schreiben in den ersten Wochen des Krieges vermitteln das Bild eines Mannes, der im Siegesrausch die Annexions- und Beutepläne der kaiserlichen Regierung weit übertraf und der des „Trost[es] in diesem ganzen Durcheinander der normalen geschäftlichen Aktivitäten“ nicht bedurfte. Das interessante Material dazu aus seinem Nachlass soll ausführlich präsentiert werden, um dadurch zu überprüfen, ob dieser Konzernherr anders als seine Kollegen „relativ nüchterne Ansichten“6 zum Ausdruck brachte.

      In den Jahren vor dem Krieg hatte sich Reusch persönlich sehr stark um den Erwerb von Erzgruben in der Normandie bemüht. Die Verhandlungen mit den französischen Geschäftspartnern und mit den französischen Zoll- und Finanzbehörden waren aber nur sehr langsam vorangekommen. 1914 waren die Verträge mit der französischen Bahngesellschaft über den Gleisanschluss im Hafen von Caen in der Normandie noch immer nicht unter Dach und Fach.7 Was Wunder, dass Reusch in der grenzenlosen Euphorie des siegreichen Vormarsches der deutschen Truppen ganz neue Chancen für die Sicherung und Ausweitung des Grubenbesitzes der GHH entdeckte!

      Als die Reichsregierung zu Beginn des Krieges von einer Flut von Denkschriften über die Kriegsziele überrollt wurde,8 war Reusch als einer der ersten Industriellen zur Stelle und fand auch Gehör. Am 31. August 1914 erhielt er die Gelegenheit, bei dem für Wirtschaft zuständigen Innenminister Delbrück Vortrag zu halten. Delbrück galt neben Reichskanzler Bethmann-Hollweg als zweiter Mann in der kaiserlichen Regierung. Wenn er dem GHH-Chef in der Hektik der ersten Kriegswochen eine Audienz gewährte, so zeigt dies, welche Stellung dieser sich inzwischen erkämpft hatte. Von dem Gespräch existiert keine Niederschrift. Aus den eine Woche später von Reusch nachgereichten Denkschriften geht jedoch eindeutig hervor, dass es bei Reuschs Vortrag um die Erzgruben und die Fabriken der Schwerindustrie in Nordfrankreich ging. Nachträglich war es Reusch vor allem wichtig, „auf die große Bedeutung der belgischen Industrie-Bezirke von Lüttich und Charleroi aufmerksam“ zu machen. Er fuhr fort: „Dass ferner der Hafen von Antwerpen in erster Linie deutscher Tatkraft seine großartige Entwicklung verdankt, ist eine Tatsache, auf die besonders hinzuweisen sich erübrigen dürfte. Nach den weltgeschichtlich einzig dastehenden Leistungen unserer Armee wird, soweit ich über

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