Ein Leben in zwei Welten. Gottlinde Tiedtke

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Ein Leben in zwei Welten - Gottlinde Tiedtke

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style="font-size:15px;">      Spukschule mit Glockenturm

      Neben all den merkwürdigen Vorgängen, die sich auf dem Dachboden der alten Schule ereigneten, sorgte auch eine alte Glocke für Gesprächsstoff.

      Der alte Wirt im Ort hatte all sein Hab und Gut verloren und war auf unerklärliche Weise zu viel Geld gekommen. Man munkelte, er würde es mit dem Teufel halten. Eines Tages erklärte dieser Gastwirt, dass er mit einem Pferdefuß begraben werden wolle, man sollte ihm diesen auf die Brust legen. Der ansässige Pfarrer gewährte ihm diesen Wunsch natürlich nicht, worauf der Alte wutschnaubend kundtat, dass zur Strafe in jedem Jahr an dem Tag, an dem sich sein Todestag jährte, die alte Glocke auf dem Schulboden ertönen würde.

      Als der Gastwirt eines Nachts zur Mitternachtsstunde verstarb, verspottete jeder im Dorf den alten Kauz. Doch prompt ein Jahr später, als bereits niemand mehr an die Drohung dachte, begann die Glocke genau an seinem Todestag zu schlagen.

      Erst sprach man von einem Zufall, doch dann wiederholte sich das Ereignis im nächsten und auch im kommenden Jahr.

      Nun nahmen die Dorfbewohner den Glockenschlag nicht mehr so heiter hin, sie bekamen es mit der Angst zu tun.

      In einem Jahr, in dem die Glocke gar nicht mehr aufhörte zu schlagen, entschied man sich, auf den Dachboden zu klettern, um diese zu stoppen, doch dies war ganz und gar unmöglich, die Glocke schlug und schlug.

      Schließlich musste man sie demontieren, nur so konnte man dem Spuk ein Ende setzen.

      Auch mein Großvater Bruno, der ein sehr belesener Mann mit scharfem Intellekt war, wusste gespenstische Geschichten zu erzählen. So war er in seiner Jugend mit einem Bauern auf einem Floß einen Fluss entlanggefahren. Es hatte ihn sehr verwundert, dass der Mann mehrere große leere Milchkannen mit sich führte. An den Henkel jeder Kanne war ein Seil gebunden, das in die Kanne ragte. Bald kamen sie an einem anderen Bauern vorbei, der am grasigen Ufer seine Kuh melkte. Prompt begann der Mann auf dem Floss fest an dem Seil zu ziehen, fast so, als würde er das Seil melken. Mein Vater staunte nicht schlecht, als sich die Kanne zusehends mit Milch füllte.

      Der melkende Bauer am Ufer brachte in der Zwischenzeit keinen Milliliter Milch aus dem Euter seiner Kuh heraus.

      Er schrie hinüber zum Floß, kam ans Ufer gelaufen, fluchte und hantierte wild mit seinen Händen in Drohgebärden. Doch der Bauer auf dem Floß lachte nur. Dieses wundersame Ereignis soll sich die ganze Fahrt über bei jedem Bauern, den sie passierten, so oft wiederholt haben, bis all die mitgeführten Milchkannen gefüllt waren. Für meinen Großvater war es pure Hexerei, nichts von all dem war mit logischem Menschenverstand erklärbar, und doch, wenn er die Geschichte erzählte, zweifelte sie niemand an.

      Kommen wir zurück auf meine Großmutter. Sie wurde nicht nur für medizinischen Beistand, sondern bei nahezu jedem Problem gerufen. Ich kann mich noch genau entsinnen, wie einmal ein Bauer auf sie zukam, dessen Kühe dick aufgeblähte Euter hatten und keine Milch geben konnten. Meine Großmutter nahm Salz, streute es in jede Ecke des Stalls und betete dazu jedes Mal ein Vaterunser.

      Nach einiger Zeit gaben die Kühe wieder Milch.

      Doch als sie das Anwesen des Bauern verlassen wollte, um nach Hause zu gehen, kam ein anderer Bauer drohend auf sie zu: „Wenn du dich noch einmal in meine Angelegenheiten mischst, dann kannst du aber etwas erleben“, schrie er.

      Da wusste sie, dass der eine Bauer den anderen verflucht hatte. In diesem Fall erwies sich die Angelegenheit auch für meine Mutter als äußerst unangenehm, denn bei dem wutentbrannten Bauern handelte es sich um den Vater ihrer Freundin Hildchen, durch die sie so manche Annehmlichkeit genoss.

      Dazu muss ich vorausschicken, dass meine Großeltern sehr entlegen und einsam wohnten. Das einzige Vergnügen, das meine Mutter als Kind hatte, war der Besuch des Kinos im nächsten, einen zweistündigen Fußmarsch entfernten Ort. Das Kino war eigentlich nicht mehr als ein Zimmer mit Leinwand und dem Projektor in einem Gasthof.

      Dort saß man auf roten abgewetzten Gartenstühlen und konnte einmal in der Woche einen Stummfilm in Schwarz-Weiß ansehen.

      Eifrig hatten sich die Kinder die elegante Attitüde und die Gestik der damals populären Stummfilmstars abgeschaut. Hildchen verfügte seltsamerweise immer über Geld, das sie auch großzügig für meine Mutter ausgab.

      Das war eine wunderbare Sache.

      Sommer wie Winter saßen die beiden in diesem Kino. Mit nackten Füßen in Holzschuhen oder in kratzenden schwarzen Strümpfen und wenn möglich immer mit einer kleinen Flasche Apfelsaft bewaffnet.

      Da meine Mutter kein Taschengeld bekam, lud Hildchen sie oft ins Kino ein. Ein bisschen verwunderte es sie schon, dass Hildchen immer so viel mehr Geld zur Verfügung hatte als sie, und es sollte nicht lange dauern, bis sie begriff, warum das so war.

      Als die beiden wieder einmal ins Kino wollten, beobachtete meine Mutter, wie ihre Freundin die Küchenschranktür öffnete und eine Tasse herausnahm, aus der sie das Geld für die Kinokarten entnahm. Doch verwunderlicherweise wurde das Kleingeld in der Tasse nicht weniger, die Tasse blieb randvoll.

      Meine Mutter muss ihre Freundin wohl derart erstaunt angesehen haben, dass diese ihr ins Ohr flüsterte: „Wir haben doch das Hänschen, das darfst du aber niemals, schwöre es bei deinem Leben, irgendjemandem sagen.“

      Zu Hause konnte meine Mutter natürlich nicht den Mund halten und berichtete ihrem Vater sogleich von der seltsamen Begebenheit.

      Mein Großvater, der immer genau wusste, was sich im Dorf so tat, nickte nur und meinte, meine Mutter solle da mal lieber vorsichtig sein und kein Geld mehr von Hildchen nehmen. Nicht dass das „Hänschen“ auch noch im Haus der Großeltern Einzug halten würde.

      Das „Hänschen“ war ein liebevoller Ausdruck für einen ausgewachsenen Dämon, der durch schwarzmagische Rituale heraufbeschworen wurde.

      Die beiden besuchten dennoch weiter das Kino. Meine Mutter allerdings nicht mit den durch „Hänschen“ erworbenen finanziellen Zuwendungen – ihre Eltern zahlten fortan für sie.

      Der Marsch zum Kino blieb meiner Mutter vor allem aber auch noch aufgrund anderer aufregender Begegnungen im Gedächtnis.

      Einmal fuhr eine prächtige Karosse mit Fahne und Wappen an den zwei Freundinnen vorbei und bot ihnen eine Mitfahrgelegenheit an. Ein sehr gut angezogener Herr, der ihnen viele Fragen stellte, saß darin: Wie es ihnen denn so ginge und ob sie genug zum Essen hätten, wollte er wissen. Bereitwillig berichtete meine Mutter, dass sie vier Ziegen und ein paar Hühner hätten und auch ein Schwein namens Moritz. Als die Kutsche ihr Elternhaus erreichte, stand ihr erstaunt dreinblickender Vater am Fenster: „Was macht ihr denn beim König von Sachsen?“

      Meine Mutter und ihre Freundin hatten natürlich keine Ahnung gehabt, dass sie sich in so nobler Gesellschaft befunden hatten.

      Zu einem anderen Zeitpunkt war es ein Automobil, das für die Kinder stoppte. Damals war das eine absolute Seltenheit.

      Der Chauffeur fragte die zwei, ob man sie mitnehmen dürfe. Hocherfreut, in so einem exotischen Gefährt mitfahren zu dürfen, willigten sie ein. Ein imposanter Mann saß auf dem Rücksitz. Meine Mutter war ein äußerst redseliges Kind und beantwortete all seine Fragen bereitwillig: „Kannst du denn schon lesen?“

      Sie hatte ihm erzählt, dass sie eine echte Leseratte sei, sie lese alles, was ihr unter die Finger komme, am liebsten aber Indianergeschichten von Karl May.

      „Soso,

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