Ein Leben in zwei Welten. Gottlinde Tiedtke

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Ein Leben in zwei Welten - Gottlinde Tiedtke

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waren ihm die Bauern sehr dankbar dafür. Mit seiner Hilfe konnten sie auf ihren Weiden Brunnen für ihr Vieh bauen. Jahre später waren die Brunnen immer noch in Betrieb.

      Auf diese Weise lernte er auch einen Schäfer kennen.

      Dieser hatte eine Tochter, die sich anbot, Erledigungen für meine Eltern zu übernehmen. Irgendwann kam diese nicht mehr. Stutzig geworden erkundigte sich meine Mutter nach ihr. Der Schäfer erklärte daraufhin traurig, dass seine Tochter an Tuberkulose erkrankt und sehr schwach sei.

      Meiner Mutter fiel gleich ein wundersames Kräuterpulver ein. Es stammte von einem ungarischen Magier, der im 18. Jahrhundert in einem sehr kalten Winter von Ungarn nach Deutschland reiste. Während eines Schneesturms brach die Achse seiner Kutsche und er blieb im Schnee stecken. Halb erfroren saß er am Straßenrand, als ihn ein vorbeifahrender Landwirt entdeckte, ihn mit nach Hause nahm und ihn gesund pflegte.

      Zum Dank schenkte der Ungar ihm ein Kräuterpulver, das wahre Wunder bewirken sollte. Eingenommen wurde es mit den abnehmenden Mondphasen, ohne Wasser, es war sehr bitter und das trockene Pulver war sehr schwer zu schlucken. Vor und auch nach der Einnahme musste man mehrere Stunden fasten.

      Meine Eltern hatten durch Freunde von diesem Pulver gehört und es selbst getestet. Es machte sich die Heilkraft des Wiesengamanders aus der Theiß in Ungarn zunutze. Meine Mutter hatte ein Geschwür im Kiefer, an dem sie bereits mehrfach operiert worden war. Das Mittel ersparte ihr eine erneute Operation, das Geschwür heilte ab und sie hatte zeitlebens nie wieder Probleme damit.

      Johanna war also von dessen Wirkung überzeugt und gab das Pulver an den Schäfer weiter. Seine Tochter nahm es genau den Anleitungen folgend ein und in kürzester Zeit verschwand der Husten und sie wurde wieder vollkommen gesund.

      Leider verschwand auch das wunderbare Pulver nach einiger Zeit wie so manch anderes Heilmittel aus dieser Zeit alsbald aus dem Handel. Irgendwann musste der Gastwirt eine Analyse machen lassen, die zu kostspielig für ihn war.

      Langsam wurden meine Eltern heimisch und wieder einmal erwies sich das Schulgelände als ein Ort mit übernatürlichen Präsenzen. Es war fast schon so, als ob meine Mutter all die ruhesuchenden Geister dieser Welt magisch anziehen würde.

      Es spukte wieder.

      Einer der Lehrer der Schule war depressiv gewesen und hatte sich im Klassenzimmer erschossen.

      Jeden Abend, Punkt 19:00 Uhr, knarrte die Küchentür und öffnete sich – wie von Zauberhand – von ganz alleine. Johanna hatte in unmittelbarer Umgebung einen geflochtenen Korbhocker mit rundem Kissen positioniert. Das Kissen senkte sich und eine unsichtbare Gestalt nahm Platz.

      Jeder wollte das Phänomen sehen.

      Auf diese Weise hatten meine Eltern viel Besuch, denn das Schauspiel wiederholte sich mit hoher Zuverlässigkeit jeden Abend.

      Die Mutter von Johannes, eine gebürtige Ostpreußin, kam oft zu Besuch und sagte dann immer: „Herrjott, jibt der Kerl denn jar keine Ruhe.“

      Natürlich sprachen meine Eltern auch mit dem Geist und baten ihn, ins Licht zu gehen.

      Einmal, als Johanna abends noch Stifte aus der Schulstube holen wollte, stand er plötzlich vor ihr. Im ersten Moment war sie sehr erschrocken. Ein anderes Mal passierte dies mit Gabriele, die laut aufschrie. Sie hustete dann sehr eigenartig, als wäre sie gewürgt worden. Ab da wurde es meinen Eltern zu viel. Sie baten um Versetzung – und die kam glücklicherweise auch sehr schnell.

      Der Zweite Weltkrieg begann und auf dem Lande klopften pro Tag bis zu 23 Bettler an die Tür. Man konnte nicht allen etwas geben, dennoch versuchten Johanna und Johannes das wenige, das sie hatten, zu teilen. Obwohl die Spannungen im Land zunahmen, verbrachten sie viele lustige Stunden in der Schule. Irgendwann – fast schon über Nacht – zog der Fortschritt ein. Das erste Versandhaus eröffnete in Dresden. Plötzlich konnte man alles bestellen. Kleider, extravagante Hüte, Spitzenunterwäsche.

      Johannesʼ Kollege Kurt war bereits sehr von den Nationalsozialisten angetan. Überall gärte es.

      Der Umschwung war spürbar, rasend nahm er die Gemüter in Beschlag. Jeder steckte jeden an. Es war wie eine große Welle, die alles und jeden erfasste.

      Johannes vor der Schule

      Mitgerissen von einem großen Versprechen nach diesem letzten Krieg, der so viel von allen gefordert hatte. Auch meine Mutter war anfangs von den neuen politischen Parolen begeistert. Liebte sie doch das Nordische: die Edda, die Runen, die ganze Mythologie, die der Nationalsozialismus geschickt eingebettet hatte.

      Ein Lügengespinst nach dem anderen wurde gewoben.

      Ein neues Zeitalter begann – und meine Eltern zogen um.

      Endlich wohnten sie nicht mehr weit von der Stadt entfernt. Man konnte die Konzerte in Dresden besuchen, ohne lange Wegstrecken zurücklegen zu müssen.

      Kulturell betrachtet war das eine Offenbarung. Meine Eltern waren sehr kontaktfreudig, knüpften schnell Freundschaften und meine Mutter war wieder schwanger. Doch plötzlich wendete sich das Blatt: Johannes wurde an die Front einberufen.

      Johanna und die Vorhersehung

      Endlich war es so weit. Nach langem Warten bekam mein Vater Johannes ein paar Tage Heimaturlaub. Meine Mutter ging zum Friseur. Dies war der Ort, an dem nichts geheim blieb. Alle Geschichten, die sich im Ort ereigneten. machten hier die Runde. Die Friseuse, eine hübsche Blondine, erzählte eifrig drauflos.

      „Ach, wie schön für Sie. Mein Mann hat keinen einzigen Tag frei, die haben Urlaubssperre im Moment.“

      Doch kaum hatte sie den Satz ausgesprochen, entgegnete meine Mutter spontan: „Nein, da irren Sie sich, Ihr Mann hat Sonderurlaub. Jetzt machen Sie mal ganz schnell. Der steht schon mit einem Blumenstrauß vor Ihrer Tür.“

      Solche Geschichten ereigneten sich ständig. Ungläubig starrten die Frauen dann meine Mutter an. In diesem Fall musste Johanna heftig insistierten, erst dann erwog die Friseuse, meiner Mutter Glauben zu schenken, und bat ihre Chefin darum, nach Hause gehen zu dürfen.

      Diese schaute zwar etwas zweifelnd, sagte dann aber: „Na ja, jetzt bin ich aber gespannt, ob das stimmt. Also lauf mal schnell nach Hause, und falls dein Mann wirklich zu Hause ist, dann kannst du dir heute freinehmen.“

      Als alles so passierte, wie Johanna es vorausgesagt hatte, sprach sich das wie ein Lauffeuer herum.

      Das nächste Mal, als Johanna zum Friseur ging, standen da viele wissbegierige Frauen, die sie befragten, wie es ihren Männern ginge. Ob sie verletzt seien, in Gefangenschaft geraten waren und wann sie nach Hause kämen. Zu ihrem eigenen Erstaunen konnte sie all diese Fragen beantworten und sogar deren Heimkunft exakt auf die Stunde vorausprophezeien.

      Mehr und mehr warfen aber auch die unangenehmen Dinge wie Krankheit und Tod ihren Schatten voraus.

      Meine Schwester Gabriele war zu dieser Zeit die ganze Stütze meiner Mutter. Als sie acht Jahre alt war, wurde sie sehr krank. Scharlach mit Rückfall. Das war damals oftmals tödlich.

      Danach

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