Radwanderung in Kanada. Elisabeth Naumann
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Zunächst stellte ich mir die Frage: Was ziehe ich an? Eine Frage, die für jede Frau vor einem Höhepunkt wichtig ist. Und dabei spielt es keine Rolle, ob dieser Höhepunkt das Kennenlernen eines potentiellen Partners ist oder schlicht und einfach ein Pass. Doch während ein potentieller Partner durch entsprechende Kleidung optisch bezirzt werden soll, spielt es für einen Pass keine Rolle, ob du ihn schweißgebadet oder zitternd erreichst. Witterungsmäßig gesehen müsste ich somit den dicken Pullover wählen, der Steigung nach, die vor uns lag und die es in sich hatte, das T-Shirt. Vorsichtshalber zog ich beides an, ausziehen konnte ich mich unterwegs immer noch.
Erst aber frühstückten wir, und als dann der Himmel immer noch keine Anstalten machte sich zu bessern, machten wir wenigstens alles startklar. So zogen wir, wenn auch nach kurzer Überwindungsphase, die von beiden Seiten durchnässten Goretex-Jacken und -Hosen über. Die noch immer klitschnassen Schuhe stellten zum Glück nicht das erwartete Problem dar, denn wir hatten Goretex-Söckchen mitgenommen, und so fühlten sie sich noch nicht einmal kalt an.
Hinter der Schneegalerie wurde es anstrengender, weil steiler, und dann kam auch ich ins Schwitzen, sodass wir schließlich beide die Pullover ausziehen mussten. Dennoch waren wir bald von innen genau so nass wie von außen. Es stieg und stieg.
Bei 1.244 Metern hatten wir den Pass erreicht. Erst jetzt registrierte ich, dass es nicht mehr nieselte. Dafür war es aber hier oben so kalt, dass wir schleunigst wieder die dicken Pullover hervorholten. Doch selbst diese konnten nicht verhindern, dass wir auf der langen Abfahrt, die jetzt vor uns lag, gottsjämmerlich froren.
Die Rettung nahte in Form eines Rastplatzschildes mit einer großen Tasse darauf. Es rüttelte sämtliche Lebensgeister in mir wieder wach, die durch die lange Abfahrt völlig erstarrt waren. Und es kam noch besser. Neben einem rollenden Backwarenstand gab es auf dem Rastplatz auch ein Toilettenhäuschen mit sauberem großem Vorraum. Das Privileg, eine Frau zu sein, nutzte ich gleich schamlos aus und suchte mir dort einen Platz auf dem Fenstersims, während Martin erst noch Gebäck und ein heißes Getränk herbeischaffte. Dann wärmten wir uns von innen und langsam auch von außen auf. Und als wir auf der Weiterfahrt, es ging immer noch abwärts, plötzlich ein kleines Stück blauen Himmel entdeckten, war die Welt wieder in Ordnung.
Besser gesagt, fast in Ordnung, denn wir fuhren noch immer auf der Straße, und dabei sollte es doch über die alte Eisenbahntrasse gehen. Aber ganz ehrlich, bei diesem bisherigen Hundewetter war es auf Asphalt gewiss angenehmer als auf holprigem oder schlammigem Untergrund, zumal wir bei dem Nebel von der Landschaft ohnehin nichts mitbekommen hätten. Trotzdem, rein theoretisch, und wenn ich das Buch nicht falsch interpretiert hatte, musste, nachdem noch ein Anstieg hinter uns lag, bei Exit 250 der Zugang zur alten Bahnstrecke nach Brookmere zu finden sein. Und tatsächlich fanden wir ihn.
Aber die Trasse war nicht so einfach zu befahren. Hier hatten wir die Wahl, unsere Blicke entweder über die naturbelassenen Wiesen und Wälder und über die Blumen am Wegesrand schweifen zu lassen und dabei hinzufallen oder mit gesenktem Blick den Boden nach der befahrbarsten Spur abzutasten, denn auch größere Steinbrocken waren vom Hang heruntergekommen und blockierten mitunter den Weg.
An der ehemaligen Station Brookmere war die Trasse zur großen, ebenen Fläche geworden und ein rotbrauner Wasserturm, ein Überrest aus der Zeit des Kettle Valley Railway, leuchtete uns wie frisch restauriert entgegen. Dort hatte man auch Schwellen und Schienen belassen, und in unmittelbarer Nähe stand ein gelber Eisenbahnwaggon mit der Aufschrift: CP RAIL.
„Hier bleiben wir ein Weilchen und essen was“, sagte Martin, „hier kann ich mich direkt in die Zeit des Silberbooms, besser des schwierigen Abtransportes des silberhaltigen Gesteins, versetzen.“ Offenbar hatte Martin da mehr Phantasie als ich. Ein alter Wasserturm und ein genauso alter Railwaywagen versetzten mich nicht in nostalgische Stimmung. Da holte ich lieber die aufblasbaren kleinen Kopfkissen zum Hinsetzen heraus, denn der Boden war doch ziemlich nass.
Die Trasse hatte sich danach verbreitert, zu einer Art Fahrweg. Doch dass sie besser geworden wäre, konnte man nicht sagen, nur anders, jetzt war es eine sogenannte Waschbrettpiste, die sich auch nicht gut fahren ließ.
Nahe dem ehemaligen Haltepunkt Spearing Station sollte ein aufgehängtes echtes Fahrrad und darüber ein gemaltes, unechtes Pferd, die Radler und Reiter in den dahinter liegenden Campingplatz locken. Und da wir meinten, eigentlich genug gefahren zu sein, ließen wir uns locken. Jetzt, in der Vorsaison, konnten wir auf dem naturbelassenen Platz zelten, wo und wie wir wollten, außer uns hatte scheinbar noch niemand Urlaub. In einem überdachten, offenen Schuppen hätten wir bei Regen die Möglichkeit gehabt, an Tisch und Bank unser Abendbrot zu verzehren, aber da sich das Wetter auffallend gebessert hatte, zogen wir es vor, im Grünen zu speisen. Hier war alles Natur, und wir hätten sogar im Freien duschen können, wenn wir gewollt hätten. Aber das Angebot des Chefs, Wasser zu holen, um seine Spezialanfertigung aufzufüllen, lehnten wir dankend mit der Begründung ab, dass unsere Haut bereits genügend Wasser abbekommen habe.
23.6.
Gerade als wir früh zusammenpacken wollten, fing es wieder an zu regnen, zwar nur kurz, trotzdem mussten wir erneut ein nasses Zelt einpacken. Auch war es hier in etwa 900 Metern Höhe am Morgen noch ziemlich frisch. Die Trasse führte dann sanft abwärts in Richtung Tulameen. An einer Wegkreuzung warnte das bekannte schräg gestellte Kreuz vor der Bahn, die längst Geschichte war. Auf den Flügeln stand je ein Wort: Kettle, Valley, Trail, Road.
Nach geraumer Zeit änderte sich das Terrain, vor uns tauchten ausgedehnte Weideflächen auf, wo es sich zwar auf dem begrasten Weg recht gut fahren ließ, lediglich das ständige Öffnen und Schließen der allgegenwärtigen Weidezäune war nur etwas für Nervenstarke. Denn man musste bei dieser Tätigkeit sehr gefühlvoll und auch umsichtig zu Werke gehen. Nicht nur, dass die Gattertüren mitunter wacklig, krumm und schief zusammengenagelt und mit einem phantasievollen Drahtverhau versehen waren, nein, es gab auch solche aus Stacheldraht, und die waren möglicherweise extra zur Abschreckung der Radwanderer gedacht. Denn in geringer Entfernung verlief unten am Hang die Fahrstraße, die ständig leicht auf- und abwärts führte. Wir jedenfalls hatten das Öffnen und Schließen nach einiger Zeit satt. „Bevor wir uns noch verletzen“, sagte ich zu Martin, „fahren wir lieber drüben auf der Straße.“ Es war dann leider auch nur eine Schotterstraße und wir machten nicht viel gut; doch dann erreichten wir sogar Asphalt.
Hinter Coalmout kreuzte die Railwaystrecke die Straße, und wir hätten ein schlechtes Gewissen gehabt, wären wir einfach auf Asphalt weiter gefahren. Allerdings, die Trasse war, und das sah man auf den ersten Blick, ganz frisch geschottert, hier konnte noch niemand gelaufen, geschweige denn gefahren sein. Doch sie hatte einen großen Vorteil, sie lief eben im Tal dahin. Die Straße hingegen stieg ganz gewaltig an. Schließlich gaben wir dem Tal den Vorzug in der Hoffnung, dass der Weg bald besser würde.
Der Versuch zu fahren scheiterte allerdings kläglich, wir kamen einfach nicht vorwärts. Also Absteigen und Schieben. Das Tal war irgendwie großartig, rechts und links, links unmittelbar neben dem Weg ragten steil die Berge in den blauen Himmel,