Marivan unter den Kastanienbäumen. H. Ezadi

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Marivan unter den Kastanienbäumen - H. Ezadi

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besonders Lehrer, die sich heimlich und leise in den Ecken des Kaffeehauses und im Basar unterhielten. Wenn man näher kam, lachten sie einfach. Das passte nicht zu dem, worüber sie vermutlich sprachen. Ich nahm mir vor herauszufinden, über was sie redeten, und ich wollte auch gern mit ihnen gegen die Ungerechtigkeit kämpfen.

      Dies alles geisterte seit einiger Zeit in meinem Kopf herum. Jewad meldete sich nicht mehr bei mir und ich hatte ihn schon lange nicht mehr gesehen. Ich überlegte, was ich tun sollte. Außer im Kaffeehaus hatte ich junge Lehrer und Studenten auch in der Stadtbücherei gesehen. Ich beschloss, zu Kak Jamschid, dem Leiter der Stadtbücherei, zu gehen. Er war zu Schülern besonders freundlich und gab Ratschläge, welche Bücher leicht zu lesen seien. Er sah anders aus als unsere Stadtbewohner. Seine Haare waren sehr lang und er trug einen Schnurrbart. Man sagte, er habe gar keine richtigen Haare auf dem Kopf, das seien Kunsthaare. Mit den meisten jungen Lehrern war er befreundet. Außer seines guten Rufes als Intellektueller war er auch für seine Kunstwerke berühmt, die er hin und wieder malte. Wenn er im Basar seine neuen Werke ausstellte, erntete er Zuspruch von den Studenten, aber auch von alten Menschen, die über mehr Lebenserfahrung verfügten. Von ihnen konnten wir lernen. Oft waren junge Menschen zwar schlau, was nicht schlecht war, aber ihnen fehlte die nötige Erfahrung. In jungen Jahren lebten sie in der Theorie und hatten Pläne für ihr zukünftiges Leben – meist waren es Träume –, doch das wahre Leben mussten sie erst noch kennenlernen.

      Die Motive, die Kak Jamschid malte, handelten meist von dem normalen Leben in unserer Stadt. Einmal betrachtete ich auf dem Basar ein Bild von ihm. Das Gemälde zeigte einen alten Mann mit einem Bart und Schweißperlen im Gesicht. Er trug eine schwere Last auf seinem Rücken. Nebenan hing ein Bild von Hussein, dem „Schiet“. „Schiet“ hieß „verrückt“. Vielleicht war er tatsächlich etwas verrückt gewesen, aber in unserer Stadt hatte er sich großer Beliebtheit erfreut, weil er keiner Menschenseele etwas zuleide tat. In unserer Stadt erzählte man sich, dass er einst im Winter auf den zugefrorenen Zarivar-See gegangen sei, um über das Wasser zu laufen. Das Eis brach ein und mit ihm Schiet. Er war ein kräftiger Mann, obwohl er arm war. In dem eiskalten Wasser unseres Sees erfroren ihm seine Hände und Füße, die dann später bei dem Arzt amputiert werden mussten. Der beliebte Verrückte konnte nur wenige Worte sprechen. Worte wie „Hunger“ und „Durst“ beispielsweise. Und die Menschen gaben ihm jeden Tag ein Almosen, weil er zwar ärmlich gekleidet war, aber niemanden belästigte. Manchmal schlief er einfach am Straßenrand und irgendjemand brachte ihn am Abend zu seinem verfallenen Häuschen, das weder mit Strom noch mit Wasser ausgestattet war. Es gab dort auch keine Toilette. Das Bild zeigte den armen Schiet schlafend auf dem Basar. Anstelle eines Kissens lag eine harte Blechdose unter seinem Kopf. Ein sehr trauriges Bild, dachte ich, als ein alter Mann neben mir zu mir sagte: „Ja, ja, jedes seiner Bilder erzählt uns eine traurige Geschichte über Menschen in unserer Stadt.“ Der alte Mann lobte den Maler und berichtete, dass dieser wegen seiner Bilder oft im Gefängnis landete. Die Motive seien gegen die Gesinnung des Regimes. Wie viele andere stand er unter ständiger Beobachtung der Savak-Leute.

      Ich war vor der Stadtbücherei eingetroffen und wollte irgendwie zu der Organisation Kontakt aufnehmen. Als ich die Bücherei betrat, sah ich Herrn Kak Jamschid. Er sprach gerade in einer Ecke der Bücherei mit Jewad. Ich ging zu ihnen und sprach Jewad an: „Wo warst du die ganze Zeit? Ich habe lange nichts von dir gehört.“

      Er wollte mir antworten, aber Kak Jamschid sagte: „Seid leise, die anderen wollen in Ruhe lesen.“

      Jewad flüsterte: „Hier können wir nicht reden, aber ich habe dir viel zu erzählen.“

      Wir verabschiedeten uns von Kak Jamschid und gingen in Richtung Zarivar-See.

      Jewad erklärte: „Ich hatte in den letzten Wochen sehr viel zu tun und war ständig unterwegs, mal in Bilow, mal in Sanandaj, mal in Kermanschah.“

      Ich war neugierig und fragte ihn: „Was hast du im dem Dorf Bilow gemacht?“

      „Ich erkläre es dir, wenn du Geduld hast.“

      „Ja, dann sag es mir doch. Im Übrigen bin ich nicht ungeduldig.“

      „Du weißt doch noch von der Weißen Revolution. Das Wichtigste war die Reform der Grundbesitzer in der Landwirtschaft.“ Endlich kam Jewad auf den Punkt. „Man entzog der Aghwat Land und gab es in kleinen Ländereien an die Bauern ab.“

      „Ja“, sagte ich, „davon habe ich gelesen.“

      „Das hat den Bauern Vorteile gebracht. Hier bei uns in Kurdistan wurde diese Reform nicht umgesetzt.“

      „Aber warum? Wer hat das entschieden?“

      Jawed sagte: „Das waren das Schahregime und seine Gendarmen.“

      „Warum machen die bei uns diesem Unterschied?“, wollte ich wissen.

      „Das ist eben die Ungerechtigkeit. Die Savak und die Aghwat nehmen den Bauern seit Jahrhunderten alle guten Felder ab. Sie lassen sie auf ihren Namen umschreiben und lassen die Bauern nicht weiter darauf arbeiten. Sie nehmen somit den Bauern die Ernte weg. Viele unserer Freunde sind Lehrer in den anliegenden Dörfern und haben mit den Bauern gesprochen. Um es kurz zu machen: Die Bauern von Bilow und Darsiran haben sich versammelt und wir haben gemeinsam mit ihnen einen Plan ausgearbeitet, um gegen diese Ungerechtigkeit zu kämpfen. Die Bauern haben dort ihre Ernten eingeholt und wir waren ihnen wochenlang dabei behilflich. Die Gendarmen jedoch sind auf der Seite der Aghwat und sie haben viele Bauern ins Gefängnis gebracht. Aus Solidarität sind dann andere Bauern immer wieder auf die Felder gegangen, bis auch sie festgenommen wurden. Dann kamen die Bäuerinnen und die Kinder auf die Felder. Das war eine Revolution unserer Bauern hier in der Gegend. Aber wir konnten nicht zulassen, dass sie alle im Gefängnis landeten. Wir entschieden, dass es so nicht weitergehen konnte, denn sonst hätten die Bauern ihren Kampf gegen diese Ungerechtigkeit aufgegeben. Deshalb war ich auch in Sanandaj und Kermanschah. Dort schalteten wir einen guten Anwalt ein, der eine Klage eingereicht hat. Der Anwalt ist ein guter Freund unserer dortigen Freunde. Und er denkt genauso wie wir. Also, lieber Hussein, deswegen war ich die ganze Zeit unterwegs. Ich kann dir aber auch die gute Nachricht verkünden, nämlich dass ich heute erfahren habe, dass wir gewonnen haben!“

      Ich staunte, ließ Jewad aber ausreden.

      „Woher ich das weiß, ist im Moment noch ein Geheimnis. Ich muss sagen, die Bauern haben sehr mutig für ihre Sache gekämpft und der Anwalt hat sie bestens vertreten. Einige Bauern und eine Bäuerin sind zum Ministerium in Teheran geschickt worden, haben dort mit den Sachbearbeitern vom Landwirtschaftsministerium gesprochen und kommen heute aus Teheran zurück. Ich bin auf ihre Ergebnisse sehr gespannt und will morgen wissen, was sie alles im Detail erreicht haben, damit auch in unserem Kurdistan endlich Gerechtigkeit einkehrt. Wenn du willst, komm doch morgen mit mir nach Darsiran zu Dade Tele. Sie ist eine mutige Bäuerin. Die ganze Zeit hat sie gesagt: ‚Auch wenn mein Mann nicht mitmacht, ziehe ich es allein durch. Ich lasse mich nicht mehr von den Gendarmen und der Aghwat einschüchtern.‘ Die Bäuerin war mutiger als ihr Mann, dem man das aber verzeihen muss, denn er war zuvor schon im Gefängnis und wurde gefoltert. Die Bäuerin sagte, dass es ihr Recht sei, so vorzugehen. Und morgen wird sie bestimmt erzählen, wie es im Ministerium in Teheran war.“

       Die mutige Bäuerin

      Am nächsten Tag holte mich Jewad an der Ecke unserer kleinen Straße zur Hauptstraße hin ab. Meinen Eltern hatte ich noch nicht erzählt, was ich vorhatte, denn ich war mir nicht sicher, ob sie mir das erlauben würden.

      Ah, da kam Jewad, allerdings auf einem Motorrad. Er stieg ab und ich konnte mir nicht verkneifen zu fragen: „Woher hast du das Motorrad? Seit wann hast du es?“

      „Ach

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