Marivan unter den Kastanienbäumen. H. Ezadi

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Marivan unter den Kastanienbäumen - H. Ezadi

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meine Hausaufgaben. Meine Nachgedanken waren aber bei dem Gespräch mit Jewad.

      Als ich am nächsten Tag zur Schule ging, hörten wir im Schulhof, dass die erste Stunde des Unterrichts ausfiel und dass stattdessen unser Schuldirektor zu uns sprechen würde. Oh, da waren wir aber neugierig! Wir mussten uns alle wie kleine Soldaten im Schulhof aufstellen, Reihe für Reihe. Der Schuldirektor betrat die oberste Stufe der Treppe vor unserer großen hölzernen Schuleingangstür. Wie man es uns anerzogen hatte, hoben wir alle aufrichtig unseren Blick zu ihm und hörten zu, was unser Schuldirektor zu verkünden hatte.

      „Liebe Schüler, in wenigen Monaten, vom 12. bis zum 16. Oktober dieses Jahres 1971, findet anlässlich des Todes des altpersischen Königs Kyros II eine große Feier statt. Dabei wird im ganzen Land der iranischen Monarchie gedacht. Diese Feierlichkeiten erinnern unsere Bevölkerung an die iranische Kultur, die menschliche Entwicklung und die Zivilisation in unserem Land in den letzten zweitausendfünfhundert Jahren. Gerade ihr Schüler werdet in dieses Projekt eingebunden sein. Unsere Schulen bekommen einen neuen Glanz. Auch sollen in unserem Land viele neue Schulen gebaut werden. Dabei hat man unsere Schule in Marivan mit bedacht. Unsere Gebäude bekommen einen neuen Anstrich, die sanitären Anlagen werden verbessert und eure Klassenräume werden renoviert. Soweit ich erfahren habe, werden während der Feierlichkeiten viele ausländische Gäste erwartet. Unser ganzes Land wird im Glanz zahlreicher Lichter erstrahlen und jeder ist aufgefordert, sein Bestes dafür zu tun. So ist der Plan unseres Schahs. Eure Lehrer erhalten Anweisungen, um dieses große Ereignis mit euch gemeinsam zu gestalten. Ihr werdet es voller Stolz unterstützen. Unser Land wird mit euch das Beste geben.“ Der Direktor schloss seine Rede mit den folgenden Worten: „So, liebe Kinder, jetzt könnt ihr alle in eure Klassenräume zum Unterricht gehen. Ich wünsche euch einen schönen Tag!“

      Nach der Schule ging ich gewohnter Weise nach Hause und berichtete meinen Eltern von den Neuigkeiten. Mein Vater schüttelte seinen Kopf, jedoch eher zu meiner Mutter hin, damit ich nichts merkte. Er sagte: „Ja, Junge, mach da mit wie all deine Schulkameraden. Tut, was die Lehrer euch sagen.“ Mein Vater tuschelte mit meiner Mutter, aber er war nicht leise genug, sodass ich jedes Wort verstand. „Mele“, flüsterte er, „ich hoffe, sie verlangen nicht öffentlich, dass wir unser Geschäft auf unsere Kosten schmücken.“

      Ich verzog mich in meine Lernecke, um Hausaufgaben zu machen und trotzdem meinen Eltern weiter zu lauschen. Aber es gab offenbar in dieser Sache nichts mehr zu sagen. Sie sprachen über alltägliche Dinge, beispielsweise was meine Mutter für heute gekocht hatte und wie es ihr ging.

      Mir war klar, dass mein Vater nun eine Sorge mehr hatte, nämlich Geld für diese Feierlichkeiten ausgeben zu müssen, ohne dass es ihm etwas einbrachte. Meine Mutter sagte immer: „Euer Vater ist in Sachen Geld ein geisteskranker Mensch!“ Er war der Meinung, dass sie das Geld nur für unnötige Dinge ausgab und nicht damit umgehen konnte. Meine Tante, die Schwester meines Vaters, verteidigte ihn in dieser Sache, da er der Alleinverdiener war und unsere ständig wachsende Familie ernährte. Jeden Tag gab es auf dem Basar neue Produkte, die man nicht brauchte. Meine arme Mutter tat mir immer sehr leid, wenn ich die Kommentare meiner Tante hörte, denn ich wusste es besser. Oft zauberte sie aus nichts etwas besonders Leckeres, wenn am Monatsende das Geld nicht reichte. Und so wurden wir satt, obwohl meine Mutter kaum noch etwas einkaufen konnte.

      Mir kam wieder unser Schuldirektor mit seiner Rede in den Sinn. Ich meinte mich zu erinnern, dass er von zweitausendfünfhundert Jahren gesprochen hatte, die wir feierten. Wie konnte ein König so lange leben? Ich lachte über mich selbst bei diesem Gedanken. Er hatte ja alle Könige vom Anbeginn des Königreiches gemeint. Diese Könige – wie Dariosch, Korsch, Mozafer und wie sie alle hießen – hatten stets Kriege mit anderen Ländern geführt und die Menschen hatten viel Leid erfahren. Ich wusste nicht, wofür man Könige brauchte, schließlich hatten sie nie arbeiten müssen. Eher beutelten sie das Volk und zogen den Menschen die Steuern aus der Nase. Ich nahm mir vor, Jewad danach zu fragen. Vielleicht würde er mir ein Buch über das Königreich ausleihen, damit ich lesen konnte, was in der Geschichte unseres Landes passiert war. Ich wollte am nächsten Tag nach der Schule in unser Kaffeehaus gehen, um meine Freunde zu fragen, was sie darüber dachten.

      Am nächsten Tag ging ich nach der Schule mit den Gedanken an die Zweitausendfünfhundert-Jahr-Feier des Königshauses zu unserem Kaffeehaus. Unterwegs ging ich in Gedanken durch, was ich sagen und fragen würde. Sorgfältig legte ich mir die Worte zurecht, damit mich alle anhörten und akzeptierten. In meiner Mimik wollte ich mich so geben wie Kak Shwane: den Kopf hoch und ein Lächeln im Gesicht. Wer würde mir auf meine Fragen antworten?

      Auf dem Weg ins Kaffeehaus prüfte ich meine Kleidung. Alles musste sauber und korrekt sein. Ich fühlte mich, als müsste ich eine große Rede halten. Ich war stolz darauf, mit den besten jungen Männern befreundet zu sein und so zu sein wie Kak Kawe. Ich hatte diese Menschen auf der Straße beobachtet, wie sie ihren Kopf hoch trugen und den anderen ins Gesicht lächelten. So musste man durch die Welt gehen!

      Als ich an dem Lebensmittelladen vorbeikam, sprach mich eine ältere Dame an: „Junge, was ist mit dir passiert? Hast du einen Stock in deinen Rücken gesteckt?“

      Oh, mein Gott! Ich wurde so rot wie eine Tomate aus unserem Garten.

      Die Frau sprach weiter: „Schaut nur, wie er läuft. Und er trägt auch noch ein rosafarbenes Hemd. Wie ein Mädchen! Sie drehte sich um und setzte sich vor dem Schaufenster eines Ladens auf einen Stuhl. Ich hatte Angst, dass der Besitzer herauskam. Möglicherweise machte der noch viel schlimmere Bemerkungen! Es war Said Mohamed, der ständig alle Leute, die an seinem Laden vorbeigingen, ohne etwas zu kaufen, kritisierte und sich über sie lustig machte. Ja, was sollten die auch anderes reden als über die Macken der Menschen in unserer Stadt. Das war wohl so in einer kleinen Stadt, dass jeder alles besser wusste und die neuesten Nachrichten sich in Windeseile verbreiteten und am Ende fast gar nichts stimmte.

      Mit schnellen Schritten ließ ich diese dummen Leute hinter mir und erreichte endlich das Kaffeehaus.

      Jewad sah mich an und fragte: „Was ist passiert? Warum bist du so verschwitzt?“

      Ich hatte Schweißperlen auf der Stirn. „Ach, ich bin nur schnell gelaufen, um pünktlich hier zu sein, das ist alles.“

      Jewad brachte mich zum Tisch, an dem schon alle versammelt waren und Tee tranken. Kurz darauf wurde mir auch eine Tasse gebracht. Jewad machte mich Kak Kawe bekannt. Dieser fragte mich nach meinem Vater und bat mich, Grüße auszurichten. Dann fragte er mich nach meiner Schule und ob ich mit meinen Lehrern zufrieden sei. Auch Kak Shwane stellte belanglose Fragen und es gelang mir nicht, meine eigenen, wichtigen Fragen loszuwerden. Es fehlte die richtige Stimmung. Intuitiv hatte ich das Gefühl, ich würde stören.

      Plötzlich gab mir Jewad ein Zeichen. „Ich muss jetzt gehen!“

      Aus lauter Verlegenheit stimmte ich ein: „Ja, ich bin auch schon spät dran.“

      Wir verließen das Kaffeehaus und vor der Tür sagte ich zu Jewad: „Bin ich heute nur auf einen Tee hierhergekommen?“

      „Nein, Hussein, so ist es nicht. Du hast offenbar nicht bemerkt, dass am Nebentisch zwei Beamte der Savak saßen, um uns zu belauschen.“

      „Ja, aber Jewad, da waren doch nur Kurden im Kaffeehaus, keine Perser.“

      Jewad schüttelte den Kopf. „Auch unter uns Kurden gibt es Savak-Beamte, die sich unter das Volk mischen und für kleines Geld ihre eigenen Leute bespitzeln. Deswegen müssen wir immer sehr wachsam sein. Im Grunde kann man niemandem trauen. Diese Menschen sind Denunzianten. Und sie sind dumm. Sie sehen keine andere Chance, als anders Denkende für wenig Geld zu verraten. Das ist alles vom Staat gelenkt, glaube mir.“

      Oh, ich war empört! Wir lebten in einem Überwachungsstaat,

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