Marivan unter den Kastanienbäumen. H. Ezadi
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Читать онлайн книгу Marivan unter den Kastanienbäumen - H. Ezadi страница 8
Die Fahrt nach Hause war für mich sehr lang und voller Gedanken über das, was passiert war und was noch kommen würde. Ich begann die Ungerechtigkeit zu begreifen, schaute aus dem Fenster des Autos und fühlte mich allein gelassen – wie unser Volk in der Unterdrückung durch andere. Was würde mein Vater sagen? Und meine Mutter? Sie würden überrascht sein, wenn ich bereits nach drei Tagen wieder zu Hause ankam. Die Ferien waren für drei Wochen geplant. Ich dachte an meinen Vater, an das, was er Mele, meiner Mutter, von der Savak und von Hajeje erzählte hatte und wie traurig er über dessen Folterung gewesen war. Ich würde einfach sagen, dass der Hauptgrund dafür, aus dem Camp geflogen zu sein, unsere kurdische Kleidung gewesen sei. Den kleinen Schluck Schnaps würde ich so erklären, dass ich kein Spielverderber sein wollte und dass es mir dabei schlecht gegangen war. Ach, meine Eltern würden mich schon verstehen! Und doch hatte ich das schlechte Gefühl im Bauch, versagt zu haben. Aber ich war auch sehr stolz, stolz, ein junger Mensch zu sein, der über die Ereignisse nachdachte und unsere Kultur schätzte. Mehr wusste ich nicht, aber ich konnte mir selbst ein Bild machen. Ja, ich war stolz, ein Mensch zu sein, der es nicht akzeptierte, was andere befahlen, schrieben oder sagten, ohne selbst darüber nachzudenken. Ich begriff nicht, warum man im Camp so hart gegen uns vorgegangen war, warum sie uns rausgeschmissen hatten. War es wegen des bisschen Alkohols? War es wegen unserer Kleidung? Unsere Kleidung war doch so schön! Besonders die Kleidung unserer Mädchen. Die anderen Gruppen hatten unsere Kleidung bewundert. Und die Schüler anderer Nationen, zum Beispiel die Pakistaner, hatten doch auch ihre traditionelle Kleidung getragen. Warum war es nur uns verboten gewesen? Was war schlimm daran? Vielleicht hatte Huschiar recht gehabt und die harte Reaktion beruhte tatsächlich auf unserer Kleidung. Die Machthaber des Iran wollen die Ungerechtigkeit gegen unser Land versteckt halten, damit die Außenwelt nichts davon erfuhr. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass das nichts Gutes bedeutete. Warum herrschte in diesem Schüler-Camp eine so starke Überwachung? Wir waren doch noch Kinder, Jugendliche! Warum waren dort Savak-Beamte, die uns ausspionierten und überwachten? Welche Gefahr barg ein Schülertreffen? Mit all diesen Gedanken schaute ich aus dem Fenster und bemerkte, dass ich wieder in Marivan angekommen war.
Der Fahrer des Wagens setzte mich vor unserer Haustür ab. Ich nahm meinen Koffer und bedanke mich. Allerdings aus reiner Höflichkeit. Innerlich kochte ich, weil der Fahrer bestimmt auch ein Savak war.
Meine Mutter schaute aus dem Küchenfenster und sagte: „Junge, was machst du denn schon hier? Es sind erst drei Tage, die du weg warst.“ Sie machte eine einladende Handbewegung. „Komm rein, ich mache dir ein Glas Milch.“
Kleinlaut erzählte ich meinen Eltern, die in der Küche saßen, alles, was passiert war und warum ich wieder zu Hause war. Ich war schuldbewusst, aber meine Befürchtungen traten nicht ein.
Mein Vater sagte: „Junge, du brauchst dich nicht weiter zu erklären. Was passiert ist, kann man nicht rückgängig machen.“ Und doch schaute er mich traurig an. Nach einer Weile fuhr er fort: „Hussein, mein Junge, pass immer auf dich auf da draußen, kümmere dich um die Schule und lerne! Die unwichtigen Dinge vergisst du am besten. Versuche, nicht mehr an dieses Erlebnis zu denken.“
Ich war erleichtert, dass meine Eltern nicht böse auf mich waren.
Am nächsten Tag traf ich Jewad auf der Straße. „Oh, Hussein, ich freue mich, dich wiederzusehen. Wie geht es dir? Was machst du hier? Ich dachte, du bist für mehrere Wochen in diesem Ferien-Camp, und jetzt bist du hier?“
Ich schüttelte den Kopf und antwortete zerknirscht: „Ja, ja du hast recht, ich bin vorzeitig wieder zurück. Die haben mich und meine Freunde rausgeschmissen.“
Dich und deine Freunde? Wer sind deine Freunde?“ Mit erstauntem Gesicht wartete Jewad auf meine Antwort.
Ich sagte: „Jewad, wenn du Zeit hast, erzähle ich dir, was passiert ist.“
„Ja, natürlich habe ich Zeit, erzähle schon!“
Dann begann ich von der Reise zu erzählen. Ich sprach von Huschiar, Hossein, Mohamed und den anderen neuen Freunden, die ich kennengelernt hatte. „Jewad, weißt du, trotz dieser kurzen Reise und obwohl man uns rausgeschmissen hat, war es schön und beeindruckend. Ich habe gute neue Freunde gefunden, und noch wichtiger: Ich habe große Städte gesehen und sehr große Straßen, die man dort Autobahnen nennt. Es ist jammerschade, dass du nicht dabei warst. Wärst du mitgekommen, wäre es noch schöner gewesen. Es hätte dir auch gefallen.“
Jewad lächelte mir zu. „Ja Hussein, ich glaube dir. Eine Reise ist immer gut und man kann viel Neues sehen und neue Erfahrungen sammeln. Aber du weißt doch, dass wir eine arme Familie sind und meine Eltern mir diese Reise nicht erlauben konnten. Ich freue mich, wenn ich während der Sommerferien arbeiten und etwas Geld für Schulsachen sparen kann. Einen Teil gebe ich meinen Eltern für den Haushalt. Du weißt doch, mein Vater verdient sehr wenig, und mein Bruder und ich müssen mithelfen, damit unsere Familie nicht um Hilfe bitten oder gar wie Bettler die Hand aufhalten muss. Es ist ein Geschenk, wenn meine Mutter einmal lächelt, weil ihr Gesicht sonst nur von Sorgenfalten gezeichnet ist. Ich liebe meine Mutter, weil sie für uns Kinder immer das Beste versucht, sodass wir alle zwei Tage eine warme Mahlzeit haben. Auch verstehe ich, dass mein Vater manchmal auf dem Basar trinkt, es sind seine Sorgen, und ich schäme mich dafür. Aber was kann ich schon tun?!
„Jewad, ich würde auch gern etwas Geld verdienen, aber ich weiß gar nicht, wie und wo ich in den Ferien arbeiten könnte.“ Der Gedanke erschien mir gar nicht so schlecht. Ich sagte: „Auch ich möchte meinen Eltern eine Freude machen und vielleicht heimlich etwas sparen.“
Jewad kam etwas in den Sinn: „Ich kenne zwei Jungs aus unserer Schule, die arbeiten in einer Autowerkstatt. Die haben von dem Meister viel gelernt und wissen, wie man Autos repariert. Sie lernen, schauen zu und später wollen sie eine eigene Autowerkstatt aufmachen – also später, wenn die Schule beendet ist.“
Ich hatte Bedenken. „Jewad, ohne Studium können die doch nicht selbständig werden!“
Jewad war anderer Meinung und erwiderte: „Die können, weil ihnen nichts anderes übrig bleibt, als praktisch zu denken. Meine Freunde können nicht lange auf Kosten ihrer Eltern leben, weil die nämlich arm sind.“
„Aber auch ich möchte mein eigenes Geld eher verdienen.“ Der Gedanke nahm immer mehr Formen an. „Und weißt du, Jewad, wenn ich einmal eine Freundin habe, möchte ich ihr imponieren und ihr jeden Freitag ein Geschenk kaufen, damit sie mich mag. Danach würde ich sie zum Zarivar-See auf einen Spaziergang einladen und sie küssen. Dann würde ich ihr eine Seerose aus dem See holen und wir würden verliebt, Hand in Hand, um den See wandern. Es wäre mein Traum, einem Mädchen aus Marivan zu gefallen.“
Jewad hatte mir die ganze Zeit zugehört, ohne mich zu unterbrechen. Nach einer Weile sagte er: „Hussein, ich finde, dein Vater hat recht. Du hast einen sehr guten Vater.“
„Wie meinst du das?“, fragte ich.
„Das weißt du ganz genau, mein lieber Freund. Wir Kurden haben keine Möglichkeit, wichtige Beamte dieses Landes zu werden oder gar in ein Ministerium zu gehen. Wir werden doch offensichtlich gehasst, wenn schon unsere Kleidung wie im Camp nicht erlaubt ist. Wir haben in unserem Land niemals eine Chance weiterzukommen.“
„Aber wir sind stolze Menschen.“
„Ja, Hussein, das weiß ich auch, aber trotzdem hat dein Vater recht. Du musst lernen zuzuhören und solltest erst dann sprechen. Du hast noch gar nicht begriffen, warum dein Vater recht hat. Er ist ein kluger Mensch und weiß, dass Lernen nicht nur für dich gut ist, sondern auch für unsere Stadt