Kalte Zukunft. Benjamin Blizz
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»Dann bedanke ich mich an dieser Stelle für Ihre Aufmerksamkeit und überlasse Sie wieder der Gesellschaft der anderen.« Mit diesen Worten wollte sich Estella Meinhard verabschieden, doch bevor sie den Raum verlassen konnte, erhob sich Shane von seinem Platz.
»Ich hätte vorher noch eine Frage, Miss Meinhard!«
»Ja?«, sagte sie höflich.
»Wir wissen jetzt, wer hier wo das Sagen hat, aber über Sie haben wir noch nichts erfahren. Weshalb übernehmen Sie diese Präsentation, wo Sie doch offensichtlich nicht die Leiterin dieses Projekts sind?«
An ihrer Reaktion konnte Shane erkennen, dass er ins Schwarze getroffen hatte. Die Frage war natürlich überflüssig, er wusste, wer sie war und was sie hier tat, aber ihn reizte der Versuch, sie dazu zu bringen, noch mehr Details über sich selbst preiszugeben. Im Grunde genommen hatte sie es sich auch selber zuzuschreiben, dass er sie bloßstellte, denn schließlich gebot es die Höflichkeit, ein paar persönliche Eckdaten mit einfließen zu lassen, wenn man sich vorstellte.
»Entschuldigen Sie, das muss mir wohl entgangen sein. Wir Wissenschaftler denken oft außerhalb normaler Maßstäbe«, versuchte sie ihre Nervosität zu überspielen. Gelingen wollte es nicht so recht, aber niemand schien sich daran zu stören. »Ich bin die Forschungsleiterin unseres Mutterkonzerns Hawkes Enterprises. Normalerweise arbeite ich in Deutschland, aber da unser Tochterunternehmen hier in der Sahara das weltweit erste und größte PECS-Kraftwerk eröffnet, habe ich es mir nicht nehmen lassen, die Präsentation persönlich zu übernehmen. Wenn Sie noch mehr über mich erfahren möchten, Mr. O’Brien, schlage ich vor, dass Sie das Dossier lesen, das Sie in den Händen halten!«
Das versetzte Shane einen fühlbaren kleinen Stich in die Magengegend. »Autsch!«, flüsterte er in sich hinein. Aber ihr konsternierter Gesichtsausdruck war es wert gewesen! Derartige Sticheleien waren es, die ihm zu seinem geteilten Ruf verholfen hatten.
Die Gäste erhoben sich und fanden sich zu Grüppchen zusammen, um die vorangegangenen Gespräche wieder aufzunehmen. Estella warf Shane von der anderen Seite des Raums einen beleidigten Blick zu. War das eine Aufforderung? Gemächlich schlenderte er in ihre Richtung, schüttelte Meier, Morgan und Lennard die Hand und begrüßte deren Frauen mit einer leichten Umarmung.
Ein junger Mann, schätzungsweise um die Fünfundzwanzig, musterte ihn verstohlen von der Seite. Shane wusste nicht, wer er war, verspürte jedoch von Anfang an eine natürliche Abneigung gegen ihn. Trotzdem wagte er den Sprung in die Offensive und ging auf ihn zu.
»Sind wir uns schon einmal begegnet? Ich habe ein furchtbar schlechtes Gedächtnis. Shane O’Brien …« Er streckte ihm die Hand entgegen. Der Mann zögerte, griff dann jedoch zu.
»Dirk Wagner. Ich bin der persönliche Assistent von Herrn Meier«, sagte er in gebrochenem Englisch. »Und nein, wir sind uns noch nicht begegnet.«
Shane verabschiedete sich höflich und zog, sobald er außer Reichweite war, eine hässliche Grimasse.
»Ja, er ist wirklich etwas unangenehm«, sagte Meinhard, die sich unbemerkt an ihn herangepirscht hatte. »Er ist ein bisschen wie Sie, finden Sie nicht?«
»Oh, ich bitte Sie! Ich habe wenigstens Stil, was man von diesem … Individuum da nicht behaupten kann.«
Sein Kommentar brachte sie zum Lachen. »Da wir uns noch nicht lange kennen, würde ich nicht so weit gehen, Sie als überheblichen Kotzbrocken zu bezeichnen …«
»Nein, natürlich nicht«, sagte Shane mit schiefem Grinsen.
»Was ich eigentlich nur sagen wollte, ist, dass Sie eine ganz spezielle Art haben«, beendete Estella den unterbrochenen Satz.
»Ich nehme das mal als Kompliment. Sagen Sie, kommt es oft vor, dass Sie vor Publikum sprechen, oder war das Ihr erstes Mal?«
»Sind Sie von Geburt an so taktvoll oder üben Sie noch?«, entgegnete sie schlagfertig. Sie lernte offenbar schnell, denn das war die einzige Möglichkeit, mit Männern wie Shane umzugehen. Sie bewies Selbstbewusstsein und das gefiel ihm, zwang ihn aber, seine Taktik zu ändern.
»Die Frage war durchaus ernst gemeint«, behauptete er. »Als ich das erste Mal vor mehr als 50 Personen sprechen musste, habe ich mich jedenfalls nicht besonders wohl gefühlt. Ich glaube, seit der Grundschule hatte ich nicht mehr so gestottert.«
»Und warum sind Sie jetzt so ein viel gebuchter Redner? Ich dachte, Sie seien Wirtschaftsjournalist.«
»Bin ich auch, aber im Laufe der Zeit hat sich mein Aufgabenbereich, sagen wir mal, erweitert. Manche Unternehmen bilden sich regelrecht etwas darauf ein, wenn ich für ihre jeweiligen Projekte referiere. Ich nehme an, aus dem gleichen Grund wurde ich auch hierher bestellt. Ich soll einen Artikel verfassen, der Ihr Projekt als einzigartig und aussichtsreich verkauft, richtig? Aber eines kann ich Ihnen jetzt schon sagen: Ich verfasse nichts, was ich nicht vertreten kann. Jeder glaubt, mich manipulieren zu können, aber sobald ich dahinterkomme, schreibe ich gar nichts mehr.«
Er legte größten Wert darauf, seinen Standpunkt von Anfang an klarzustellen.
»Die Aussicht auf einen werbeträchtigen Artikel war sicherlich einer der Gründe, weshalb man Sie eingeladen hat«, sagte Estella, »aber das alleine war nicht ausschlaggebend. Sie wurden uns … empfohlen; Mr. Barthel hält große Stücke auf sie. Er spricht nur in den höchsten Tönen von Ihnen. Er sagt, Sie hätten ein gutes Gespür für interessante Stoffe und nahm an, dass das Projekt auf Ihr Interesse stoßen würde – genau wie der Rest unseres Unternehmens.«
»Der Patrick Barthel?« Shane war überrumpelt.
»Ich weiß nicht, welchen Patrick Sie meinen, aber er ist es vermutlich«, erwiderte Estella Meinhard.
»Mir war nicht bewusst, dass Mr. Barthel für Hawkes Enterprises tätig ist. Wir haben schon länger nicht mehr miteinander gesprochen. Kennen Sie ihn?«, fragte Shane nun brennend interessiert.
»Kennen? Er ist mein Onkel.«
So ein Zufall!, ging es Shane durch den Kopf.
Patrick Barthel war einer der besten Freunde seines Vaters gewesen und das, was einem Mentor am nächsten kam. Im selben Moment, in dem Shane an seinen Vater denken musste, übermannte ihn wieder die alte Trauer. Auch noch nach so vielen Jahren wurde ihm bei dem Gedanken an das, was seinem Vater zugestoßen war, ganz anders – was sich vermutlich niemals ändern würde. So hätte sein Vater nicht sterben dürfen. Nicht auf diese Weise!
Shane zwang sich, wieder an Patrick zu denken, um nicht in grauenhaften Erinnerungen zu versinken. Patrick hatte sich damals seiner angenommen, ihn in seiner Karriere gefördert und sein Interesse für Politik und zukünftige Energien bestärkt. Eine Nichte hatte er jedoch nie erwähnt. Außerdem hatten sie sich mit der Zeit auseinandergelebt, nachdem Patrick sich entschlossen hatte, ein ›geheimes Projekt‹ zu betreuen.
»Ihr Onkel … er hat mich Ihnen nie vorgestellt«, sagte Shane indigniert.
»Naja, sagen wir … unser Verhältnis war in den letzten Jahren recht angespannt«, erklärte ihm Estella. »Ich war lange Zeit indisponiert, während ich am Prototyp gearbeitet habe. Er verübelt mir immer noch, dass ich …« Sie verstummte.
Shane hatte den Eindruck, dass sie