Kalte Zukunft. Benjamin Blizz
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Er musste sich auf jeden Fall Gewissheit verschaffen, ob die Anschuldigungen gegen die Nomaden gerechtfertigt waren – seine Aufgabe bestand schließlich darin, das Konzept und die Umsetzung dieser Anlage auf Herz und Nieren zu prüfen. War die Technik des PECS-Kraftwerks unausgereift und Hawkes Enterprises versuchte nun, die Schuld abzuwälzen, würde er das in seinem Artikel erwähnen. Er fühlte sich nämlich in erster Linie seinen Lesern verpflichtet, die aus seinen Artikeln Rückschlüsse auf das Investitionspotential bestimmter Unternehmen zogen.
Als Wirtschaftsjournalist besaß er gewisse Ähnlichkeit mit einem privaten Ermittler. Statt ein Thema nur oberflächlich anzukratzen und wohlwollend darüber zu berichten, drang er oft tief in die Materie ein und förderte dabei nicht selten pikante Details zu Tage, die ein vollkommen anderes Licht auf bestimmte Sachverhalte warfen. Dabei kam man unweigerlich mit Wirtschaftskriminalität in Berührung – die Recherche ging dann nahtlos in das Sammeln von Beweisen über.
Shane hatte gehofft, dass es in diesem Fall nicht so weit kommen würde – das Projekt war wirklich vielversprechend –, doch hatte er einmal Witterung aufgenommen, gab es kein Zurück mehr. Er beschloss, den Sicherheitschef ein wenig auszuquetschen.
»Es ist wirklich ein glücklicher Zufall, dass ich Sie noch vor Beginn der Präsentation treffe. Ich würde nämlich gern mehr über Ihren Arbeitsbereich erfahren. Sie müssen wissen, ich bin Journalist und es gehört zu meinen Aufgaben, eine gründlich ausrecherchierte Reportage über die Anlage zu verfassen. Dabei möchte ich selbstverständlich auf alle Aspekte eingehen. Ein Blick hinter die Kulissen der Sicherheit wäre bestimmt überaus aufschlussreich, schon deshalb, weil geplant ist, künftig Angebote für Touristen einzurichten.«
»Dagegen gibt es im Prinzip nichts einzuwenden«, entgegnete Fritzsch nachdenklich, »aber ich muss zuerst mit Miss Meinhard Rücksprache halten.« Er wirkte nervös, obwohl es dafür keinen erkennbaren Grund gab.
»Wie praktisch, dass ich mich gerade ausführlich mit ihr unterhalten habe«, behauptete Shane dreist. »Sie hatte keine Einwände und auch Miss Ling verwies mich an Sie.« Mit dieser Halbwahrheit bewegte er sich auf sehr, sehr dünnem Eis, und er konnte nur inständig hoffen, dass es nicht auf der Stelle unter ihm nachgab.
Fritzschs Gesichtszüge entspannten sich. »Naja, man wird Sie schon nicht ohne Grund eingeladen haben«, meinte er und deutete mit einer knappen Geste auf eine graue Stahltür. »Kommen Sie, ich zeige Ihnen die Sicherheitszentrale. Die neue Schicht hat gerade begonnen, es sollte also nicht viel los sein.«
Er öffnete die Tür und führte Shane in ein geschmackvoll eingerichtetes Büro, das durch eine Glaswand vom Rest der Zentrale abgetrennt wurde. Shane stellte sich vor, wie der Sicherheitschef hier saß, die Arme verschränkt, die Beine auf den Schreibtisch gelegt, und seine Mitarbeiter überwachte.
Shane ging ganz nah an die Glasscheibe heran und ließ seinen Blick schweifen. Was er sah, hätte einem Science Fiction-Film entsprungen sein können: Vor einer überdimensionierten Monitorwand, in der bestimmt mehr als vierzig Bildschirme verankert waren und von der ein einschläferndes, dunkelgrünes Leuchten ausging, saßen junge Männer und Frauen in einheitlichen schwarzgrauen T-Shirts und prüften die Anzeigen. Es sah aus wie auf der Brücke eines Raumschiffs.
»Sie haben hier keine Kosten gescheut, was?«
Der Sicherheitschef lächelte. »Sehen Sie den großen Tisch in der Mitte des Raums?«
»Sie meinen dieses futuristische Gebilde?«
»Ja. Das ist eine taktische Konsole, das Neueste, was die Sicherheitstechnik zu bieten hat.«
Shane ließ sich seine Überraschung nicht zu sehr anmerken, aber damit hatte er in der Tat nicht gerechnet. »Darf ich?«, fragte er und deutete auf die Tür zur Zentrale.
»Bitte, nur zu«, erwiderte Fritzsch. »Dafür sind wir ja jetzt hier.«
Als Shane die Zentrale betrat, wurde er von einem unangenehmen monotonen Summen empfangen, das von den elektronischen Geräten herrührte und einem durch Mark und Bein ging. Wie konnten sich die Mitarbeiter bei dieser Geräuschkulisse nur konzentrieren? Er hätte es keine zehn Minuten hier drinnen ausgehalten.
Fritzsch übernahm die Führung. Stolz schritt er an der Konsole entlang und fuhr mit den Fingern über den Rand. Der Bildschirm, ein Touchscreen mit selbstreinigender Oberfläche, maß ein Meter mal anderthalb Meter, hatte eine gestochen scharfe Auflösung und war horizontal auf einem Betonsockel montiert. Im Moment zeigte er eine topografische Darstellung des Geländes.
»Das Besondere an dieser Station ist, dass wir über einen Uplink auf einen Satelliten des Bundesnachrichtendienstes zugreifen können«, erklärte Fritzsch. »Das erleichtert uns zum einen die Lokalisierung defekter Kollektoren, zum anderen das Aufspüren potentieller Gefahrenquellen. In Kombination mit den Infrarot- und Bewegungsmeldern im Außenbereich ist somit eine lückenlose Überwachung der Anlage möglich.«
Shane war da skeptisch. »Korrigieren Sie mich, wenn ich mich irre, aber wenn der Satellit vom Bundesnachrichtendienst genutzt wird, ist er doch nicht die ganze Zeit auf die Anlage ausgerichtet.«
Fritzschs Miene verfinsterte sich. Er hatte offenbar nicht erwartet, dass Shane diesen misslichen Umstand erwähnen würde.
»Nein, Sie irren sich nicht. Es ist in der Tat so, dass wir die Nutzung des Satelliten anmelden müssen. Jeder neue Verbindungsaufbau dauert dreißig Minuten.«
Shane beließ es dabei und nickte freundlich. Er wollte es sich mit Fritzsch nicht verscherzen. Zumindest nicht, solange er Informationen aus ihm herausholen konnte.
»Nehmen wir einmal an, es käme zu Handgreiflichkeiten: ein Ehepaar im Streit, eine eifersüchtige Freundin …«, deutete Shane schmunzelnd an. »Wie lange würde es dauern, bis Ihre Sicherheitskräfte eingreifen könnten?«
»Das hängt davon ab, wo sie gebraucht werden. Spätestens aber nach 120 Sekunden. So lange brauchen meine Männer, um den entferntesten Sektor zu erreichen.«
»Wie viele Sektoren gibt es insgesamt?«
»Zwölf«, sagte Fritzsch. »Wollen Sie einen Blick auf die Überwachungskameras werfen?«
Shane überging den diskreten Hinweis, er möge aufhören, sein Gegenüber mit Fragen zu löchern, und fuhr ungeniert fort.
»Wie sieht es mit dem Wissenschaftskomplex aus? Dort herrschen doch sicherlich strengere Sicherheitsvorkehrungen.«
»Tut mir leid«, wiegelte Fritzsch ab, »aber ich darf Ihnen diesbezüglich keine weiteren Auskünfte geben.«
Shane, der bereits mehr erfahren hatte, als er sich jemals zu erträumen gewagt hätte, lenkte besänftigend ein. »Das verstehe ich natürlich. Fühlen Sie sich bitte nicht unter Druck gesetzt. Aus mir spricht nur meine journalistische Neugier.«
Insgeheim überlegte er, wie er am besten auf sein eigentliches Interesse zu sprechen kommen könnte. Es war eine Gratwanderung, denn wenn er zu offenkundig vorging, würde Fritzsch misstrauisch werden und die Chance wäre vertan.