Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich
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»Gefällt Ihnen das Diadem, Wichmann?«
»In einem schönen Frauenhaar … ja, Robby.«
»Ich bin zu klein, Wichmann, zu klein, deshalb lieben mich die Frauen nicht. Wo haben Sie die zwanzig Zentimeter hergenommen, die mir fehlen?«
»Im Nähtisch an der Elle abgeschnitten, Robby.«
»Liebling?«
Wichmann sah wieder in das grob geschminkte Gesicht und wandte sich brüsk ab.
»Lassen wir das Diadem, Korts, bis Sie Generaldirektor sind.«
Die Herren schlenderten weiter. Es ergab sich ohne Verabredung, daß sie in den dunklen Park kamen. Der Herbstgeruch und die Kühle gaben dem Abschied ihre Stimmung. Die Köpfe wurden müder und klarer. Die beiden Kollegen geleiteten Wichmann, das »Wundertier des Abendlandes«, ein Stück des Heimwegs.
An der Ecke der Kreuderstraße blieb man stehen, um sich zu trennen.
»Jetzt schlafe Sie nur gut und träume Sie net zuviel vom Josef Boschhofer und vom Justus Grevenhagen und von der Lotte und von den Frauenhaaren mit dem Diadem und dem eifersüchtigen Robert, des stört nur die Verdauung. Und für morge stelle Sie Ihren Wecker eine halbe Stund früher, denn morge sind wir keine Minut sicher vor dem arbeitseifrigen Chef!«
Martha öffnete heute nicht mehr die Tür vor dem Klingeln; sie war schon zu Bett gegangen. Die ganze geheimrätliche Wohnung schlief in anklagender Ruhe, und nur der geduldige Heilige hielt noch immer die Zigarette, die ihm der Regierungsassessor des zwanzigsten Jahrhunderts zwischen die heilgebliebenen Finger gesteckt hatte.
Oskar Wichmann stand noch einmal am Fenster, ehe er den Schlaf unter den Daunen suchte. Drüben, weit hinter dem Schatten des Ahornbaums, leuchteten die Fenster noch hell, und vor dem schmiedeeisernen Tor standen drei rassige Wagen.
An einem der kommenden Sonntage wollte Regierungsassessor Dr. Wichmann in der Kreuderstraße 3 seine Karte abgeben.
Es war schön zu träumen, ehe man schlief, wenn die leise Schaukel der Weinlaune und die Aussicht auf die Ernennung in den Schlummer wiegten.
3
Die Tage, die auf den Weinabend des Kleeblatts folgten, waren von Arbeit geschwängert. In der Feuerprobe der kollegialen, sachlich rücksichtslosen Besprechungen schmiedete Wichmann seine Argumente, und er sah das Häufchen Blätter anwachsen, auf dem die endgültigen Formulierungen zu dem von ihm übernommenen Teilgebiet der Arbeit verzeichnet waren. Ein Wonnegefühl des erfolgreich Schaffenden gab seiner Stimmung Flügel. Die Zusammenarbeit mit Korts und Casparius verlief äußerlich reibungslos. Den »Regierungsrat« schien »Robert der Teufel« ausgezogen zu haben, wie man eine Jacke ablegt. Dieser etwas untersetzt geratene Stier war immer höflich und immer geduldig, auch wenn er die Meinung mit Assessor Wichmann kreuzte und seine gestellten Ohren die innere Erregung verrieten.
»Sie nehmen das zu gründlich, Herr Wichmann …«
»Die Sache erfordert es …«
»Das können Sie vorläufig dahingestellt sein lassen …«
»Ich finde mich mit keiner Unklarheit ab …«
»Wir müssen bald abschließen …«
»… nicht auf Kosten der Zuverlässigkeit …«
In allen Tonarten von Moll und Dur wiederholte sich dieser Grundkonflikt zwischen den beiden jungen Männern. Wichmann dachte mit Leidenschaft an die Sache, Korts aber überwiegend an die Situation persönlicher Interessen, in die sie hineingestellt war.
Nach vierzehn Tagen war bei Ministerialrat Grevenhagen eine Besprechung in größerem Kreise, auch unter Beiziehung einiger Herren aus dem Staatsministerium, vorgesehen. Korts, Wichmann und Casparius hatten ihre vorläufigen Ausarbeitungen abgegeben, und Anneli Schmock sowie Silvia Sauberzweig hatten aufgeatmet und Zeit gefunden, die Schublade mit dem Kriminalroman wieder um einen Spalt zu öffnen.
Wichmann war entschlossen gewesen, sich am Vortag der Besprechung ein paar Mußestunden zu genehmigen. Da stürzte ihn der durchschneidende Gedanke, der ihm auf seinem Dienstweg beim Anblick eines glatten Teichspiegels kam, in Verzweiflung.
Seine ganze Arbeit war Stümperei, nichts als eine Sammlung von Allerweltsweisheiten und nicht durchsichtigem Material. Selbstverständlich, selbstverständlich, es war selbstverständlich zweckmäßig, nicht die Bezirke eines jeden Ressorts räumlich anders abzugrenzen und ein Gewirr der Grenzen von Finanzamtsbezirken, Arbeitsamtsbezirken, Gerichtsbezirken, politischen Kreisen, Reichsbahndirektionen ineinander und durcheinander bestehen zu lassen.
Wem waren diese Erkenntnisse etwa neu? Was kam damit voran? Gar nichts.
Wesentlich wäre gewesen, das Allgemeine und Durchschnittliche herauszufinden, irgendeinen Maßstab, nach dem man bestmögliche Einteilungen, zunächst einmal sozialer und wirtschaftlicher Art, einfach und vergleichbar bemessen konnte.
Maßstab … woher nehmen? Die Statistiker hatten ihn im Stich gelassen.
Dennoch mußte ein Maßstab her … heute? Morgen war die Sitzung. Und er hatte Grevenhagen eine unzulängliche Arbeit abgegeben.
Die Nacht nach diesem Tage fand Wichmann an dem großen Renaissanceschreibtisch des verstorbenen Geheimrats. Der Tee-Extrakt, war gebraut, der Samowar summte. Eine Nacht war lang.
Morgens um sechs Uhr sank der Arbeitende angekleidet auf das nicht benutzte Bett. Er hatte den Maßstab nicht, aber den Weg, auf dem man ihn suchen mußte. Eine Darstellung von zwei Seiten, handschriftlich festgehalten, war das Ergebnis der durchwachten Nacht.
Um acht verließ der Assessor das Haus und begab sich zum Dienst. Seine leichten Kopfschmerzen störten ihn nicht. Er nahm nur den Hut ab und ließ sich die Morgenkälte um die gespannten Nerven wehen. Der Wind pfiff aus Westen und trieb faule Wolken zur Eile; die ihm nicht schnell genug folgten, wurden in Fetzen gerissen. Ein mattes, gebrochenes Sonnenlicht leuchtete zu diesem Spiel. Gefallene Blätter versuchten sich noch einmal zu erheben und sanken raschelnd wieder zu Boden. In der Residenzstraße lief Anneli Schmock ihrem Hut nach, der auf der Kante davonrollte; ihre künstlich gewellten Haare flatterten wirr im anwachsenden Sturm. Die Luft kam von rollenden Wogen der Meere und roch nach Schaumkronen und Tang, aber der Assessor dachte an die Bezirkseinteilung. Ohne selbst gewußt zu haben, wie er seine Schritte lenkte, stand er in dem Augenblick, in dem er aus seinen Arbeitsträumen erwachte, vor dem Haupteingang des Ministeriums am Königsplatz.
Hinter ihm hielt leise ein Wagen; eine Autotür klappte, und ehe Wichmann die Schritte des Aussteigenden recht vernommen hatte, hörte er eine Stimme.
»Herr Dr. Wichmann … guten Morgen … Kommen Sie gleich mit mir hinauf?«
»Jawohl, Herr Ministerialrat.«
Der Pförtner mit den weißen Schläfen im blauen Rock grüßte mit betonter Achtung.
Grevenhagen dankte. Der Ministerialrat hatte eine besondere Art, den Gruß Untergebener zu erwidern, in der sich Höflichkeit mit einem Abstand-Halten