Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich
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Читать онлайн книгу Zwei Freunde - Liselotte Welskopf-Henrich страница 51
Wichmann kam näher. Sie sollte in seinen Armen zum Kusse mit ihm vergehen.
Da hob sie die Wimpern, und die Tränen liefen langsam über ihre Wangen.
Den Mann verließ die Kraft, er fühlte, daß seine Knie versagten und daß seine Hand eine Stütze faßte.
»Marion … Ich bitte dich …«
»Warum quälen Sie mich? Ich bin gekommen, Ihre Hilfe zu suchen.«
Wichmann schwindelte es. Er legte die Hand vor die Augen und tastete nach der Lehne des Stuhls. Dann stand er auf wie ein Mensch, dessen Fieber geschwunden ist und der noch vor Schwäche taumelt.
»Verfügen Sie über mich …«
Das waren Worte, die er schon einmal über die Lippen gebracht hatte. Jetzt klangen sie müder.
Sie löste sich von der Wand und ging mit ihren Schritten, deren natürliche Geschwindigkeit durch den Zwang des Schuhs behindert war, zurück zu der Mitte des Zimmers.
»Sie werden mir nicht zu helfen vermögen. Niemand vermag es … Herr Dr. Wichmann.«
Frau Grevenhagen saß wieder auf dem seidenüberzogenen Empiresesselchen mit den goldenen Emblemen an dem Mahagoniholz, steif und zart wie das Muster der Tapete. Batist und Spitzen hatten die Tränen aufgenommen, die Hände lagen auf dem dunklen Kleid wie Alabaster auf schwarzem Sockel.
»Gnädige Frau – vergessen Sie die Phantasien eines Kranken. Sie haben jetzt einen Diener, dem Sie befehlen können.«
»Sie sind selbst ein Zauberer, und Sie haben Wahres von mir geträumt – Herr Dr. Wichmann. Ich bin als Kind aus einem alten Schloß in den Wald und zu den Seerosen gegangen. Wir hatten ein weites Land, es war schmutzig, in den Katen wohnten Menschen wie Tiere; ich habe mich gefürchtet, wenn ich allein war. Aber wenn wir über Land ritten zu den anderen Schlössern, wenn die Fenster hell waren und die Männer sehr laut, wenn der Wein floß, dann war ich auch nur nach außen froh. Mein Bruder hat den Wein und die Pferde und die Feste gesucht – mein Bruder ist schön, sehr schön, und sein Degen ist sehr schnell. Ich habe ihn mehr geliebt als irgendeinen anderen Menschen. Hier … ist sein Brief …«
Mit abgewandtem Gesicht reichte Frau Grevenhagen Wichmann das Blatt.
Er sah hinein.
»Ich verstehe die Sprache nicht, gnädige Frau.«
»Niemand versteht meine Sprache.«
Frau Grevenhagen faltete das Blatt wieder zusammen. »Wir sind keine Deutschen.« Sie sah Wichmann an, und er begegnete ihrem Blick mit einem Gefühl, das er selbst noch nicht kannte und vor seinem eigenen Bewußtsein nicht auszudrücken vermochte.
»Ich bitte Sie darum, gnädige Frau, mir den Brief Ihres Herrn Bruders zu erklären.«
»Sie werden mich verachten.« Unruhe kam über die Hände, die Augen sahen zur Wand.
»Ich werde versuchen, Sie zu behüten wie etwas, was mir heilig ist.«
Es waren nicht nur Worte. Die Bitte hatte den Mann gewandelt. Er wußte, daß eine schöne und erfahrene Nixe mit ihm gespielt hatte, er wußte es bis zur Überdeutlichkeit. Dennoch zürnte er ihr nicht, er liebte sie immer noch, weil sie verschüttete Träume in ihm geweckt hatte und weil er glaubte, daß sie selbst litt.
Er spürte nichts mehr als den verzehrenden Wunsch, sie zu beschützen und zu beglücken. Die Erregung seines Körpers hatte sich in eine seelische Schwingung verwandelt. Was alle seine Vorsätze und Kämpfe, all sein Zerren und Entschließen nicht vermocht hatte, war durch das Bild der Phantasie in einem Augenblick geschehen. Eine Bittende stand vor ihm, und der Ritter wollte ihr Zuflucht geben. Ein Schwert lag zwischen ihr und ihm, und die Entfernung war ihm höhere Wollust.
»Die Schande, sich an einen Fremden zu wenden …«
»Warum quälen Sie sich selbst, Frau Marion? Ich bin Ihnen nicht fremd. Meine wenigen Fähigkeiten und Mittel gehören Ihnen.«
»Ich will meinen Bruder nicht verteidigen. Er ist leichtsinnig, ich weiß es. Er ist immer wieder leichtsinnig. Aber er ist schön und jung. Er ist ein Offizier … er … er … Sie müssen verstehen, daß mein Gatte sehr hart denkt …«
»Ihr Herr Bruder hat Ehrenschulden?« fragte Wichmann.
»Ja.« Marion sah an Wichmann vorbei. »Wir sind keine Bettler. Unser väterliches Gut wird es bezahlen, aber nicht heute, auch morgen. Erst nach der nächsten Ernte – der Absatz stockt jetzt – der Verwalter klagt, die Zeiten sind schlecht, die Preise fallen. Mein Bruder …«
Die Hände zerrissen das Tuch aus Batist und Spitzen.
»Wieviel brauchen Sie, gnädige Frau?«
Zum erstenmal sah Oskar Wichmann in den Wangen Marions das Blut rosarot aufsteigen.
»Es ist viel, was ich brauche, Herr Dr. Wichmann. Ich habe zwar … Ich kann einiges aufbringen … den größten Teil aufbringen … aber … es fehlen noch …«
»Sprechen Sie frei, gnädige Frau.«
»Zwanzig … zwanzigtausend Mark.«
Wichmann erschrak. Das war sein ganzes bares Erbteil.
Marions Hände flogen.
»Sie erhalten Wechsel, Herr Dr. Wichmann. In acht Tagen muß sich mein Bruder … erschießen …«
»Sie werden über die Summe verfügen, gnädige Frau. Ich muß allerdings die Papiere erst verkaufen. Ich bin leider mit Glücksgütern nicht so gesegnet.«
Ehe Wichmann es hindern konnte, hatte Marion seine Hände geküßt.
»Ich danke Ihnen. Wie soll ich Ihnen danken?«
»Nicht, gnädige Frau. – Ich … in welcher Form? Das ist das einzige, was wir in dieser Sache noch besprechen wollen.«
Marion zog ein Notizbuch hervor und schrieb einige Worte auf eines der Blätter. Als Wichmann den Zettel in die Hand nahm, erkannte er, daß er dem glich, den er bei sich trug.
»Das Konto unserer Gutsverwaltung. Im Ausland. Wenn Sie die Summe – oder die Papiere – dorthin überweisen können? Ich stelle Ihnen den Schuldschein persönlich aus – oder ziehen Sie Wechsel vor?«
Marions Lippen zitterten, und Wichmann schämte sich.
»Bitte, gnädige Frau, wählen Sie die allereinfachste Form.«
»Dann … wenn Sie mir Papier und Tinte … verschaffen … wollen.«
Wichmann brachte das Gewünschte. An dem kleinen Sekretär nahm Marion Platz. Mit