Zwei Freunde. Liselotte Welskopf-Henrich

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Zwei Freunde - Liselotte Welskopf-Henrich

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lief ein breitschultriger Heizergehilfe, der neu eingestellt war und zu Wichmanns Verdruß den alten Hauskater zu ärgern pflegte.

      Wichmann arbeitete nach langer Zeit zum erstenmal wieder mit sachlichem Interesse.

      Er war nicht erfreut, als um halb elf Uhr Fräulein Hüsch ungerufen bei ihm eintrat, doch mußte er sich gestehen, daß er in dem Leichtsinn glücklicher Erwartung diesem Mädchen mehr Liebenswürdiges gesagt und mehr für sie getan hatte, als daß ihr seine Gleichgültigkeit gegenüber ihrer Person noch wahr erscheinen konnte. Freundlich aus einem gewissen Schuldbewußtsein bot er den Stuhl an. Die Bibliothekarin trug heute das Kostüm, in dem er sie kennengelernt hatte.

      »Wie geht’s Ihnen denn, Herr Wichmann?«

      »Danke – gut!«

      »Sie sind jetzt immer so komisch. Die Kollegen beklagen sich über Sie, aber ich kann mich ja nicht beklagen, und ich möchte Sie heute warnen. Wissen Sie etwas über Ihre Ernennung?«

      »Ich habe mich darum nie gekümmert.«

      »Das scheint so. Aber vielleicht wär’s ganz gut, wenn Sie sich jetzt mal drum kümmerten.«

      »Warum? Was gibt’s denn für neue Gerüchte?«

      »Sehr ernsthafte. Die Sachen werden dieser Tage unterschrieben. Und … na, ich möchte Sie ja nicht unnütz aufregen …«

      »Das wird Ihnen auch nicht so leicht gelingen.« Trotz dieser Versicherung rückte Wichmann nervös an den Buntstiften, deren Farbe an Dienstgrade gebunden war.

      »Aber Sie müssen doch mal was tun, ehe es zu spät ist. Sie scheinen nämlich von der Liste verschwunden zu sein.«

      »Ach? Auf ebenso wunderbare und plötzliche Weise, wie ich damals auf die Liste gesetzt worden sein soll?«

      »Ja! Das kann vorkommen. Also überlegen Sie sich, was zu tun ist. Sie können doch mit Grevenhagen reden. Ich an Ihrer Stelle ginge sofort zum Chef.«

      »Es wird sich alles historisch abwickeln, gnädiges Fräulein. Darf ich Ihnen eine Zigarette anbieten?«

      »Nein, danke. Ich muß dem Korts noch einen Besuch machen. Ist es übrigens wahr, daß Schildhauf seine Freundin abgeschafft hat.?«

      »On dit.«

      »Hi … hä … Schildhauf ist kein übler Mensch. Mögen Sie ihn?«

      »Nicht ungern.«

      »Na, wir werden ja sehen. Also Hals- und Beinbruch! Bleiben Sie nicht so apathisch. Der Borowski soll sich nicht freuen können, daß Sie sitzenbleiben! Dieser Kerl als Regierungsrat und Sie immer noch Assessor, das wäre ja lächerlich! Also adio!«

      »Au revoir!«

      Als Wichmann wieder allein war, fing eine Saite in ihm an zu summen. Mit dem Regierungsratsgehalt hatte er gerechnet!

      Er ließ sich bei seinem Vorgesetzten melden. In der Viertelstunde, die er zu warten hatte, arbeitete er ohne rechte Konzentration weiter. Er sah häufig auf die Uhr. Um elf ging er hinüber in das Vorzimmer mit den hellen Möbeln und der schwarz gekleideten Sekretärin. Am Fenster standen zwei Hyazinthen, die in Rosa und Blau aufblühten. Die Tasten der Adlermaschine klapperten in rascher Folge.

      »Einen Augenblick bitte, Herr Assessor, Herr Ministerialrat Grevenhagen ist noch in Anspruch genommen.«

      Wichmann saß auf dem Stuhl neben dem runden Tisch und wartete. Am Ständer hingen ein Hut und ein Überzieher. Der Besucher des Ministerialrats schien nicht dem Ministerium anzugehören. Wer war es? Eine so interessante Persönlichkeit, daß es sich für Herrn Nischan gelohnt hatte, an der Tür zu lauschen? Aber es war nicht gesagt, es war sogar unwahrscheinlich, daß dieser Herr sich schon seit zehn Uhr, also nun eine Stunde lang, bei Grevenhagen aufhielt. Die Neugier Nischans mochte sich auf einen anderen Besucher gerichtet haben.

      Die Zwischentür ging zögernd auf. Man hörte durch den Spalt Stimmen.

      »In diesem Sinne! Es war mir sehr interessant, Ihre Meinung zu hören, Herr Ministerialrat.«

      Der sich Verabschiedende kam in das Vorzimmer heraus. Es war ein Herr in mittleren Jahren, vielleicht um die Vierzig. Ohne daß Wichmann hätte sagen können, warum, hielt er den Fremden eher für einen Geschäftsmann als für einen Beamten. Seine Bewegungen waren selbstbewußt, seine Stimme klang etwas laut. Er nahm jetzt Hut und Mantel, grüßte Fräulein du Prel mit Betonung, ohne mehr als das flüchtighöfliche Kopfnicken der Sekretärin zu erreichen, und verließ das Vorzimmer. Als seine Schritte draußen verklangen, erschien Grevenhagen an der Zwischentür, um den Assessor hereinzubitten.

      »Wollen Sie bitte Platz nehmen. Ich muß Sie noch einen Augenblick um Geduld bitten.«

      Der Ministerialrat las ein Schriftstück durch und machte sich darinmit Blaustift verschiedene Merkzeichen. Wichmann beobachtete ihn dabei. Er sah die Züge, die um die Mundwinkel abwärts führten, die scharfe und gerade Nase, die gewölbte Stirn mit den etwas eingefallenen Schläfen. Das war der Mann, der hart geblieben war, als Marion sich in Angst um den Bruder gewunden hatte. Aus dem blassen Nordhimmel seiner Augen hatte er dieses Geschöpf betrachtet, in dem das Blut geheimnisvoller kreiste und dessen Körper weich war. Er hatte nein gesagt. Vielleicht hatte Marion gezittert und vergeblich gesucht, sich an ihn zu lehnen. Er war ruhig geblieben; mit gleichmäßigen ritterlichen Manieren und beherrschter Stimme hatte er sie abgewiesen. Sie, die ihm mit ihrem Körper gehören mußte, lag die Nächte hindurch mit schmerzenden Augen wach, bis sie bei einem Fremden Hilfe suchte.

      »Was führt Sie zu mir, Herr Assessor?«

      Wichmann schrak unter der Stimme auf.

      »Eine persönliche Frage, Herr Ministerialrat. Einige Dispositionen, die ich jetzt treffen muß, machen es mir wichtig, etwas über die ungefähren Aussichten und Möglichkeiten meines beruflichen Vorwärtskommens zu erfahren.«

      Über die Seele des Vorgesetzten schien der zweite, der eiserne Vorhang herunterzugehen. »Darüber kann ich Ihnen leider keine bindende Auskunft geben, Herr Assessor!«

      »Das habe ich auch nicht erwartet, Herr Ministerialrat. Ich bin noch nicht lange hier, und ich weiß nicht, ob meine Arbeiten Ihre volle Zufriedenheit verdient haben. Meine Frage geht nur auf einen allgemeinen Rahmen, auf die üblichen Möglichkeiten.«

      »Auch da bin ich leider überfragt, Herr Assessor. Obwohl die Stufen des Avancements festliegen, ist über die Zeit, in der man die einzelnen erreicht, nur schwer etwas zu prophezeien. Das Tempo wechselt, von Person zu Person und von Mal zu Mal. Die Umstände, die mitsprechen, sind sehr vielfältig, und speziell in Ihrem Falle gibt es keinerlei Erfahrungsregeln, denn Herr Casparius und Sie sind für uns ernennungstechnisches Neuland. Sie beide sind die ersten Herren, die in unser Ministerium schon als Assessor und nicht erst als Regierungsrat einberufen wurden.«

      »Die Hoffnung, bei den jetzt bevorstehenden Ernennungen schon mit einer Planstelle berücksichtigt zu werden, würde wohl sehr vermessen sein?«

      Grevenhagens verdeckter Blick schien sich auf das Schriftstück zu richten, in dem er die blauen Merkzeichen gemacht hatte.

      »Ich müßte Sie bitten, sich hierüber mit der Personalabteilung unmittelbarin Verbindung zu setzen. Die Entscheidung über die Ernennungen hängt nur in geringem Maße von mir persönlich ab.«

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