Die Weisheit der Götter. Rupert Schöttle

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Die Weisheit der Götter - Rupert Schöttle

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Künstler – auch dem interessierten Publikum einen Einblick in die Vielfalt der Auseinandersetzung mit Musik ermöglicht. Gewiss werden die Leserinnen und Leser nach der Lektüre jene Dirigenten, welche hier zu Wort kommen, mit anderen Augen sehen; und vielleicht erschließt sich ihnen sogar auch ein ganz neuer, ganz persönlicher Weg zu den Werken unserer großen Meister.

       Clemens Hellsberg

      Vorstand der Wiener Philharmoniker von 1997 bis 2014

      VORWORT

      Der Grundgedanke des vorliegenden Buches lag darin, die berühmtesten Dirigenten mit denselben 16 Fragen zu konfrontieren, also keine Interviews im herkömmlichen Sinne zu führen, sondern auf diese Weise Meinungen und Standpunkte direkt vergleichbar zu machen, was letztlich einem Interpretationsvergleich nicht unähnlich ist. Auf diese Weise ergeben sich für die Leser höchst aufschlussreiche Erkenntnisse, die ohne ein Eingreifen des Autors zustande kamen. Was durchaus in seinem Sinne ist, steht beziehungsweise stand er doch mit allen porträtierten Dirigenten in persönlichem oder gar freundschaftlichem Kontakt.

      Natürlich ist es möglich, dass die von mir getroffene Auswahl Widerspruch herausfordert.

      Dazu einige klärende Worte: Ich habe ausschließlich die Maestri interviewt, mit denen ich musiziert habe … Leider haben nicht alle, die ich wegen der Beantwortung der Fragen angesprochen habe, dieser Bitte entsprochen. So lehnten beispielsweise Claudio Abbado, Riccardo Chailly, Sir Simon Rattle, Lorin Maazel oder Kirill Petrenko ihre Mitwirkung an diesem Projekt ab.

      Falls Sie, verehrte Leserin, verehrter Leser, Ihren Liebling hier nicht finden, sollten Sie bedenken, dass eine solche Auswahl begrenzt und natürlich auch von subjektiven Kriterien abhängig ist. Auch habe ich den Zeitpunkt abgewartet, bis meine aktive Zeit bei den Wiener Philharmonikern beendet war. Das erklärt auch, warum dieses Buch erst jetzt herauskommt, obwohl die Gespräche in den Jahren zwischen 2005 und 2016 geführt wurden.

       Rupert Schöttle

      DAS PHÄNOMEN

      DANIEL BARENBOIM

      *15. November 1942, Buenos Aires

      „Daniel Barenboim ist ein Phänomen.“

      Dieses oft zitierte Urteil des großen Wilhelm Furtwängler über den damals Elfjährigen hat bis heute nichts von seiner Gültigkeit eingebüßt. Denn Barenboim hat eigentlich zwei Weltkarrieren gemacht. Seinen ersten Klavierabend, ausschließlich mit Werken Beethovens, gab er 1950 mit sieben Jahren in seiner Heimatstadt Buenos Aires, bei seinem Dirigierdebüt war er gerade einmal 18 Jahre alt. Mit 27 leitete er erstmals die Berliner Philharmoniker, ein Jahr später das Chicago Symphony Orchestra.

      Seit über 50 Jahren ist Barenboim also eine der dominierenden Persönlichkeiten des Klassikbetriebs. Dabei ist er gerade einmal Mitte 70 – mithin also im besten Dirigentenalter – und noch immer voller Tatendrang, was immer schon einer seiner wesentlichen Charakterzüge war. 2002 etwa veranstaltete er an der Berliner Staatsoper einen Marathon, wobei er innerhalb von vier Wochen zweimal alle zehn bedeutenden Wagner-Opern dirigierte. Wer damals glaubte, er hätte deshalb sein Klavierspiel hintangestellt, der irrte. Nachdem er 2004 Johann Sebastian Bachs gesamtes Wohltemperiertes Klavier eingespielt hatte, bot er kurz darauf sämtliche Beethoven-Sonaten im Wiener Musikverein und in Berlin dar.

      Doch man würde Barenboim nicht gerecht, grenzte man ihn alleine auf seine künstlerischen Aktivitäten ein. Denn auch politisch hat der Tatmensch einiges zu sagen. War er schon beim „Mauerfall“ in Berlin ein unermüdlicher Brückenbauer zwischen Ost und West gewesen, versuchte er dies auch in seiner Wahlheimat, als er 1999 zusammen mit dem palästinensischen Literaturwissenschaftler Edward Said das West-Eastern Divan Orchestra gründete, in dem er junge Musiker aus Israel und den arabischen Ländern alljährlich zusammenführt, das unterdessen beachtliche Erfolge aufzuweisen hat und das er als das „wichtigste musikalische Projekt“ seines Lebens ansieht.

      Um bei beiden Seiten Verständnis füreinander zu wecken, greift er zuweilen auch zu außergewöhnlichen Maßnahmen. Im Jahre 2005 trat er unter größtem internationalen Aufsehen erstmals im neuen Kulturzentrum von Ramallah mit dem West-Eastern Divan Orchestra auf, wohin der „palästinensische Ehrenstaatsbürger“ immer wieder zurückkehrt, weil seiner Meinung nach die Schicksale des israelischen und palästinensischen Volkes untrennbar miteinander verbunden sind.

      Ob er die unnachgiebige Haltung Israels im Konflikt mit den Palästinensern geißelt oder die deutsche Kulturpolitik als „primitiv“ bezeichnet: Barenboim nimmt sich niemals ein Blatt vor den Mund. Dass seine zuweilen provokanten Aussagen allgemein Gehör finden, zeigt sich auch darin, dass er stets in der engsten Wahl ist, wenn es um die Verleihung des Friedensnobelpreises geht.

      Doch auch musikalisch geht er immer wieder eigene Wege. So löste er in Jerusalem einen handfesten Skandal aus, als er im Jahr 2001, ausgerechnet mit seiner Staatskapelle Berlin, als Zugabe Richard Wagners Vorspiel zu Tristan dirigierte, was dort wegen Wagners Antisemitismus einen veritablen Tabubruch darstellte. Dem folgte eine 30-minütige Debatte, in deren Verlauf der Dirigent mehrmals als „Faschist“ verunglimpft wurde. Dennoch setzte sich die Mehrheit durch und bereitete den Musikern stürmische Ovationen. Nicht so die Politiker. Jerusalems Bürgermeister, der Barenboim „arrogantes und unzivilisiertes“ Verhalten vorwarf, drohte dem bedeutendsten israelischen Künstler gar mit einem Auftrittsverbot. Trotz dieser Vorkommnisse hält Barenboim an seinem israelischen Pass fest, zumal er sich in seinem Wohnort Jerusalem so zu Hause fühlt wie nirgendwo sonst.

      Dabei war er erst als Elfjähriger ins Gelobte Land gekommen. Seine Kindheit verbrachte der Sohn russischstämmiger Juden in Argentinien. Beide Eltern waren Klavierpädagogen und blieben seine einzigen Lehrer. Trotz seines außerordentlichen Talents strebten sie keine Wunderkind-Karriere für ihren Sohn an, bewusst konzentrierten sie seine Auftritte auf zwei bis drei Monate pro Jahr.

      1954 traf er in Salzburg Wilhelm Furtwängler, der ihn spontan dazu einlud, ein Konzert mit den Berliner Philharmonikern zu spielen. Doch Barenboims Vater lehnte dies ab, seit dem Holocaust waren schließlich erst wenige Jahre vergangen. Wenigstens durfte der Knabe neben dem Dirigenten sitzend allen Orchesterproben zu Don Giovanni beiwohnen. Als 13-Jähriger ging er mit einem Stipendium für zwei Jahre nach Paris, um bei Nadia Boulanger Harmonielehre und Komposition zu studieren. Im selben Jahr gab er dort sein Klavierdebüt. London und New York folgten in den nächsten Jahren. Nachdem er 15-jährig mit Leopold Stokowski in der Carnegie Hall aufgetreten war, war seine internationale Pianistenkarriere nicht mehr aufzuhalten, Barenboim reiste um die Welt.

      1960 spielte er in Tel Aviv erstmals sämtliche Beethoven-Klaviersonaten, die er bereits als 16-Jähriger auf Platte aufgenommen hatte. Im folgenden Jahr gab er sein Dirigierdebüt mit dem Israel Philharmonic Orchestra. Prägend verlief seine Begegnung mit Sir John Barbirolli. Dieser wurde zu einem seiner wichtigsten Lehrmeister, der auch die Beziehung zum English Chamber Orchestra herstellte, was in der Aufnahme aller Mozart-Konzerte mit Barenboim als Dirigent und Solist in Personalunion gipfelte.

      Schon bald gastierte er auch als Dirigent bei nahezu allen großen Orchestern. Seine erste Stelle als Musikdirektor trat er im

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