Die Weisheit der Götter. Rupert Schöttle
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Doch gerade als man ihn als erstklassigen Operndirigenten anzusehen begann, übernahm de Billy im Jahre 2002 mit der Leitung des Radio-Symphonieorchesters Wien (RSO) wieder die Chefposition bei einem ausgesprochenen Konzertorchester. Dieser Klangkörper, ein bislang vor allem für seine Pflege der zeitgenössischen Musik bekanntes Ensemble, war zu jener Zeit ernsthaft in seiner Existenz bedroht. Doch de Billy ist nicht der Mann, der sich von solchen Problemen abschrecken lässt. Nach zwei Jahren intensiver Arbeit, in denen er die Qualität des Orchesters erheblich gesteigert hatte, und einem daraus resultierenden Erfolg bei Publikum und Kritik war die Krise so weit abgewendet, dass der Personalstand gehalten werden konnte. Sogar zu einem umjubelten Opernorchester hat er sein Orchester umgeformt, das seitdem regelmäßig im Theater an der Wien gastiert.
Ungeachtet der mächtigen Konkurrenz vor Ort hat sich das RSO unterdessen auch erfolgreich mit der Musik der Klassik und Romantik auseinandergesetzt und sich damit neue Hörerschichten erschlossen. Schließlich lautet einer von de Billys Leitsätzen, dass „ein Orchester, das nicht“ dazu fähig ist, „eine ordentliche Mozart-Symphonie“ zu spielen, auch „für eine Uraufführung nicht gut genug ist“, wie er in einem Interview mit „OehmsClassics“ betonte.
Denn er nimmt auch die Vorbehalte des Publikums gegen zeitgenössische Musik sehr ernst und überlegt sich Wege, wie man dem am besten begegnen kann. „Zunächst einmal muss es Spaß machen, auch den Musikern, denn dann ist das Neue nämlich kein Ghetto mehr … Dieses: ‚Man muss sich auskennen!‘, dieses Gefühl, dass man nicht dazugehört, weil man etwas nicht versteht, … das führt zu einem falschen Spezialistentum“, meinte er 2004 in einem Interview mit dem Magazin „Musikfreunde“.
Nachdem er 2010 die Leitung des Radio-Symphonieorchesters Wien aufgegeben hatte, die ihn nach eigener Aussage „viele Nerven“ gekostet hatte, strebte de Billy vorerst keine Chefposition mehr an und arbeitet unterdessen als erster Gastdirigent des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters, des Orchestre de Chambre de Lausanne und seit 2014/2015 auch der Dresdner Philharmonie, neben seinen regelmäßigen Auftritten an den größten Opernhäusern der Welt.
Natürlich hat Bertrand de Billy sein Können auch schon mehrfach auf Tonträgern dokumentiert. Mit einigen seiner Projekte ist er sogar in das ureigenste Gebiet der Konkurrenz von der Staatsoper eingedrungen, indem er neben Eugen d’Alberts Tiefland mit einem jungen Sängerensemble auch sämtliche Da-Ponte-Opern von Mozart auf CD eingespielt hat.
Trotz aller Erfolge hält de Billy immer wieder an seinem Grundsatz fest, keine künstlerischen Kompromisse einzugehen, selbst wenn es seiner Karriere nicht förderlich ist. Diese Erfahrung musste schon Daniel Barenboim machen, als der Franzose im Jahre 2007 die Premiere von Jules Massenets Manon an der Berliner Staatsoper absagte, weil mit ihm nicht abgesprochene Kürzungen in der Partitur gemacht werden sollten. Aus demselben Grund legte er im Jahre 2014 die geplante Premiere von Lohengrin an der Wiener Staatsoper zurück, was sogar so weit führte, dass er unter der derzeitigen Direktion nicht mehr an diesem Haus auftreten will.
Eine solche Kompromisslosigkeit ist eben auch ein Charakteristikum eines großen Dirigenten.
FRAGEN AN BERTRAND DE BILLY
Wenn Sie die Möglichkeit hätten, mit irgendeinem Komponisten, ob tot oder lebendig, einen Abend zu verbringen, mit wem wollten Sie sich treffen und was würden Sie ihn fragen?
Sicher nicht Monteverdi, Bach oder Mozart, obwohl ich diese drei am meisten verehre. Aber die waren nicht von dieser Welt. Ohnehin glaube ich nicht, dass es einen großen Sinn hat, mit einem Komponisten über sein Werk zu sprechen, da er üblicherweise nicht viel darüber zu sagen hat. Als ich Henri Dutilleux getroffen habe, haben wir fast überhaupt nicht von seiner Musik gesprochen, sondern über so viele andere interessante Themen – das war wunderbar.
Am liebsten würde ich mit Berlioz zusammentreffen, weil er so eine umfassende Bildung besaß, und einfach mit ihm plaudern.
In welcher Zeit hätten Sie als Komponist am liebsten gelebt?
Sicherlich nicht heute, in der Zeit der verkrampften Suche nach neuen Klangeffekten. Wahrscheinlich in der Zeit von Brahms, Bruckner und Mahler, als die Formen sich völlig aufgelöst haben und so viele neue Richtungen entstanden sind.
Auf der Bühne entfernt man sich immer mehr vom Urtext, während man sich im Orchestergraben diesem immer mehr nähert. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Vor einiger Zeit ist die sogenannte „Wiener Fassung“ von Mozarts Don Giovanni herausgekommen. Die Kürzungen, die bei der damaligen Aufführung gemacht wurden, habe ich zwar sofort umgesetzt, doch teilweise wieder rückgängig gemacht, weil Mozart sie offensichtlich nur aus pragmatischen Gründen, etwa wegen einer schlechten Besetzung oder auch wegen der Zensur, gemacht hat. Meine Antwort lautet also: Ja zum Urtext, aber im Endeffekt muss der Dirigent entscheiden dürfen, was er umsetzt. Bei der Regie ist es ganz ähnlich. Solange die Regie die Musik nicht stört, ist alles möglich. Ich habe in Barcelona Don Giovanni mit Calixto Bieito gemacht. Obwohl es fürchterlich brutal war, hat es mich überzeugt. Ein Grundproblem von vielen heutigen Regisseuren liegt allerdings darin, dass sie überhaupt keine Kenntnis mehr von der Musik und dem Libretto haben, und mit denen lehne ich eine Zusammenarbeit ab.
Seit dem 20. Jahrhundert besteht das Konzertprogramm zu 90 Prozent aus Musik schon längst verstorbener Komponisten. Worin liegt Ihrer Meinung nach die Begründung dafür?
In erster Linie tragen wir daran die Schuld. Die wenigsten Dirigenten sind dazu bereit, ein neues Stück zu lernen. Und wie sollen wir das Publikum von der Qualität eines Stückes überzeugen, wenn wir es selbst nicht wollen. Es ist unsere Aufgabe UND PFLICHT als Dirigent, den Veranstaltern, den Musikern und dem Publikum zu zeigen, dass es auch gute zeitgenössische Musik gibt. Und das erfordert viel Mühe. Dabei ist die Angst vor der neuen Musik nicht angeboren. Als meine Frau „Donna Elvira“, Schönbergs Erwartung und Bergs Wozzeck gesungen hat, sang meine siebenjährige Tochter in der Badewanne alle drei Stücke mit der gleichen Begeisterung.
Es gibt immer mehr sehr gute Orchester und immer weniger herausragende Dirigenten. Woran liegt das?
Man braucht als Dirigent nicht gut zu sein, man muss nur besser sein als die anderen, was allerdings nicht unbedingt bedeutet, dass man gut ist. Einmal saß ich beim Dirigentenabschlusskonzert an der Wiener Musikuniversität – da war niemand, der einmal ein guter Dirigent werden wird! Niemand scheint mehr neugierig zu sein. Ich habe mit den jungen Leuten über die „Erste“ von Mahler geredet und nicht einer kannte die Aufnahme von Bruno Walter, der schließlich noch mit Mahler zusammengearbeitet hatte. Die Studenten hätten in Wien die Möglichkeit, alle großen Dirigenten bei der Probe zu erleben und mit ihnen zu sprechen, doch niemand geht hin. Das ist jedoch nicht nur in Wien so. Als ich vor 20 Jahren Georges Prêtre zum ersten Mal wegen einer Neueinstudierung der Perlenfischer traf, sagte er mir, dass ich der erste Student sei, der sich jemals bei ihm gemeldet hat.
Allerdings muss man auch sagen, dass mit Ausnahme von Daniel Barenboim die wenigsten Dirigenten ihre Verpflichtung erkennen, ihre Erfahrungen an die jungen Kollegen weiterzugeben.
Welche gesellschaftliche Aufgabe hat die Musik in der heutigen Zeit?
Das Ziel eines Konzerts sollte darin bestehen,