Die Geschichte der Zukunft. Erik Händeler

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Die Geschichte der Zukunft - Erik Händeler

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sie doch während des Krieges so erfolgreich die Märkte der anderen (vor allem der Deutschen) besetzt haben. 1921 verbieten sie kurzerhand, deutsche Farbstoffe zu importieren, um die eigene Farbindustrie zu schützen. Die gab es bis 1914 gar nicht, sie entstand erst im Krieg mit Hilfe von einkassierten deutschen Patenten. 1922 folgt ein Gesetz mit den höchsten Außenzöllen in der Geschichte der USA. Sich selbst autark zu versorgen, ohne auf andere Länder angewiesen zu sein – am meisten wird Nazi-Deutschland darum (erfolglos) kämpfen. Doch auch hier gilt, dass Hitler nur konsequenter fortsetzt, was schon vorher üblich gewesen ist.

      Auch die Landwirtschaft leidet in den 20er Jahren weltweit. Während die Preise für Lebensmittel und für Ackerland in den USA im Krieg hochschnellen und selbst bisher nicht genutzte Gebiete etwa in Lateinamerika bebaut werden, fallen die Preise danach wieder rapide. Amerikanische Landwirte, die sich Böden dazugekauft haben, gehen bankrott (das ist derselbe Mechanismus wie im ersten Kondratieffabschwung, als die Bauern ihre Kredite nicht mehr bezahlen konnten, die sie im Aufschwung ihren ehemaligen Grundherren abgekauft hatten). Einige Länder versuchen, das Überangebot einzuschränken, indem sie es gar nicht erst auf den Markt bringen. Brasilien – damals stellt es 60 bis 70 Prozent des Kaffees der Welt her – schüttet ihn tonnenweise ins Meer. Das hebt aber nicht wie erhofft den Preis, sondern ermutigt andere Anbieter, ebenfalls Kaffee auf den Markt zu bringen.

      Fazit: Reparationen, Handelskriege, sinkende Preise, Zinsen fast bei null und Überkapazitäten – die Weltwirtschaftskrise ist keine Folge des Ersten Weltkrieges, sondern die Folge eines erschöpften Kondratieffzyklus. Die hohe Arbeitslosigkeit entsteht also nicht, weil die Zinsen und Löhne zu hoch sind oder die Geldmenge zu niedrig, sondern weil das Produktivitätswachstum stagniert und es daher an Investitionsmöglichkeiten und Beschäftigung fehlt. Der technische Fortschritt in den altbekannten Branchen macht nur mittelfristig immer mehr Arbeiter überflüssig. Anders als später beim Computer begrüßen die Gewerkschaften der 1920er Jahre den technischen Fortschritt: Maschinen ersetzen die schweren, gesundheitsschädlichen und abstoßenden Arbeiten an Hochöfen, in der Fabrikhalle oder unter Tage. Für Arbeitervertreter ist der technische auch der Schlüssel zum gesellschaftlichen Fortschritt.

      Beispiel Bergbau: Hauten die Bergleute 1913 noch fast alle Kohle mit Hand und Hacke oder vorbereiteten Sprengungen aus dem Untergrund, arbeiten sie zunehmend mit elektrischen Presslufthämmern: 1925 werden schon über ein Drittel und 1929 über 90 Prozent der geförderten Kohle mit Presslufthämmern gehauen. Dementsprechend weniger Bergleute sind für die Nachfrage nötig: Ihre Zahl geht von 545.000 (1922) auf 353.000 (1929) und 190.000 (1932) zurück. Typisch für eine Erschöpfungszeit ist auch, dass die Arbeitszeit kürzer wird, weil es ein Überangebot an Arbeitssuchenden gibt: von 57 (1910/​14) und 50,5 (1925) auf 41,5 Stunden in der Woche (1932). (Im langen Aufschwung, wenn gar nicht genug produziert werden kann, steigt die Arbeitszeit – wie in den 1950er Jahren und in den New-Economy-Berufen der 1990er Jahre des fünften Kondratieffaufschwungs.)

      Die Menschen werden aber nicht deshalb arbeitslos, weil die Wirtschaft jetzt so produktiv geworden ist – die Produktivität pro Arbeitsstunde steigt zwar weiter, aber viel langsamer als im Kaiserreich und in den ersten 20 Jahren der Bundesrepublik, als die Volkswirtschaft boomte. Die Arbeitslosigkeit der 20er Jahre entsteht, weil das neue technologische System noch nicht produktiv genug ist, um Hunderttausende von Arbeitskräften ausreichend effizient einzusetzen. Deswegen investieren die Unternehmen selbst in den relativ gefestigten Jahren 1925 – 29 auch nur 10,5 Prozent des Nettosozialprodukts – im Kondratieffabschwung fehlen Investitionsmöglichkeiten. Das ist im langen Aufschwung vor 1914 und in den 1950ern ganz anders gewesen: Damals werden netto 15 Prozent des Sozialproduktes investiert.

      Was in den 1920er Jahren neu erfunden wird – Fernsehen, das Radio wird populär –, schafft noch keine wirklich große Beschäftigung. Auch das Fließband, von Henry Ford 1913 im Autobau eingeführt, läuft 1930/​31 erst in zwei bis drei Prozent der deutschen Betriebe. Wer bei Ford in Berlin eine Stelle am Band erhält, verdient zwar den Traumlohn von bis zu 20 Mark am Tag – so viel wie andere Berliner Metallarbeiter in einer Woche. Nach drei bis zehn Monaten ist er allerdings körperlich so kaputt, dass er aufgeben muss und vom nächsten ersetzt wird. Wer älter ist als 35 Jahre, wird gar nicht erst eingestellt.59 Eine breite Schicht von Arbeitern lässt sich bei diesen Verhältnissen noch nicht beschäftigen.

      Die geringen amerikanischen Arbeitslosenraten von um die fünf Prozent legen nahe, die 20er Jahre seien in den USA schon Teil des vierten Kondratieffaufschwungs. Zwar arbeitet noch immer jeder vierte Amerikaner in der US-Landwirtschaft, aber die USA und Kanada produzieren in den 20er Jahren zusammen 90 Prozent aller Autos der Welt (obwohl die wichtigsten Innovationen des vierten Kondratieffs aus Europa stammen). Doch während im langen Aufschwung der Arbeitsplatz sicher scheint, leiden jetzt die Beschäftigten gerade in dem neuen technologischen System rund um das Auto unter den ständigen Marktschwankungen, einem dreimal häufigeren Stellenwechsel als 1899/​1913 und noch öfter unter vorübergehender Arbeitslosigkeit.

      Die frühe Automobilindustrie entwickelt sich nicht wie heute ein paar Prozent rauf oder runter, sondern sprunghaft mit heftigen Ausschlägen. 1921, 1924 und 1927 fällt die Auto-Produktion in den USA dramatisch. Und als sie 1928 um 28 Prozent und 1929 um 23 Prozent steigt, erreicht sie dennoch erst wieder den Output von 1926 in Höhe von über vier Millionen Autos.60 Der Export von Autos fällt von über 600.000 vor dem Börsenkrach auf 65492 im Jahr 1932. Alle Zulieferer sind betroffen vom Einbruch der Autoverkäufe. Das heißt: Das neue technologische Netz entwickelt sich zwar rapide, ist aber noch nicht stark genug, die Wirtschaft zu tragen. Die Produktivitätsfortschritte der schon etablierten Branchen führen im Kondratieffabschwung aber nur mittelfristig zu Arbeitslosigkeit. Langfristig dagegen ist das die Voraussetzung dafür, dass dem nächsten Strukturzyklus ausreichend Ressourcen zur Verfügung stehen.

      Da ist die instabile Konjunktur in Deutschland kein Wunder: Nach der überschießenden Inflation führt die Reichsbank die »Rentenmark« ein und verknappt die Geldmenge – das löst zum Jahreswechsel 1923/​24 eine Stabilisierungskrise aus. Über 28 Prozent der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter (eine amtliche Statistik führt der Staat erst seit 1928) werden arbeitslos. Auch im Sommer 1924 und Ende 1925 bricht die Wirtschaft ein – in diesem Winter verliert jeder vierte Beschäftigte seine Arbeit, jeder weitere vierte muss kurzarbeiten. Aus dieser Rezession können sich die Deutschen schnell befreien, weil die Engländer Verteilungskämpfe ausfechten: Um in der internationalen Abwertungsspirale billiger im Ausland verkaufen zu können, werden die Löhne dort um etwa 10 Prozent gesenkt. 40 Prozent aller britischen Gewerkschaftsmitglieder sind bei Generalstreiks landesweit im Ausstand. Die deutsche Wirtschaft kann die fehlenden Güter kurzfristig liefern. 1928/​29 produziert die Industrie endlich wieder so viel wie eine halbe Generation zuvor 1913, da sackt sie in sich zusammen.

       Der »unerklärliche« Börsencrash 1929

      Nachdem das elektrische System weitgehend implementiert, aber das Auto noch nicht stark genug ist, wird nicht ausreichend in die Realwirtschaft investiert, die Zinsen erreichen Tiefststände. Wie schon im Spekulationsfieber Anfang der 1870er fließt das Anlagekapital an die Börse in virtuelle Werte. Die rasant steigenden Kurse reizen immer mehr Privatleute, Aktien zu erwerben – zunehmend auch auf Kredit. Schon im Sommer 1928 ziehen amerikanische Banken und Investoren Kapital aus Europa ab, um damit die Hausse an der New York Wall Street zu finanzieren. Ein Jahr später spürt Europa bereits an der stockenden Konjunktur, wie ihm das amerikanische Geld fehlt. Auch die US-Wirtschaft schrumpft schon vor dem Crash. Während Deutschland, England und Italien in die Depression rutschen, sinkt auch die amerikanische Autoproduktion von 622.000 Stück im März 1929 auf 416.000 im September (und wird nach dem Crash auf nur noch 92.000 Autos im Monat Dezember abstürzen).

      Obwohl die Wirtschaft schon schwächelt, haussiert die Börse weiter. Die amerikanische Notenbank ist in einer schwierigen Situation: Soll sie die Zinsen senken, um Investitionen rentabler zu machen und so die amerikanische Realwirtschaft wieder anzukurbeln (was aber auch wieder mehr Geld für Luftbuchungen an der Börse frei macht), oder soll sie die Zinsen

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