Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 4. Группа авторов

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Finanzierungsvolumen von mehr als 50 Millionen Euro, in die Mittel aus der europäischen Strukturförderung fließen. Um mit einer solchen Antragstellung Erfolg zu erzielen, ist jedoch der Nachweis einer positiven Wirkung auf die Wirtschaft der Region nötig, und das in mehrfacher Höhe der verwandten Fördersumme. Nachgewiesen werden muss jene Wirkung über Gutachten volkswirtschaftlicher Experten. Diese aber und das NRW-Wirtschaftsministerium meldeten Zweifel an. O.VISION wurde zum Verhängnis, dass es damals europaweit kein vergleichbares Projekt eines Marktplatzes für Gesundheit gab. Statt belastbarer Vergleichsdaten lagen nur regionalökonomische Lehrmeinungen vor. Doch die Projektentwicklung wurde hartnäckig und zielstrebig betrieben, so dass die Landesregierung in 2004 schließlich die Antragstellung in Brüssel zusagte. Nach mehrmonatiger intensiver Arbeit war der Großprojektantrag Ende 2004 gestellt. In 2005 prüfte die EU-Kommission. Im Mai 2005 allerdings wechselte die NRW-Landesregierung hin zu einer Koalition aus CDU und FDP unter Leitung von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers. Von nun an erreichten die vom Land vorgetragenen Bedenken gegenüber O.VISION eine neue Qualität: Insbesondere die schlechte Haushaltslage der Stadt Oberhausen lasse keinen zehn- oder zwanzigprozentigen Eigenanteil zu. Ferner wurden grundsätzliche Zweifel an der Zukunftsfähigkeit eines Marktplatzes für Gesundheit formuliert. Oberhausen reagierte konsequent: In nur dreimonatiger Arbeit erfolgte eine radikale Senkung des Fördervolumens von 108 auf nur noch 49 Millionen Euro. Auf ein multifunktionales Ausstellungs- und Tagungszentrum im Kerngebäude des ehemaligen Elektrostahlwerkes sollte vollständig verzichtet werden. Es blieb die Idee vom Gläsernen Menschen als dem Anziehungspunkt für Menschen und für Firmen aus den facettenreichen Branchen der Gesundheitswirtschaft. Was passierte dann?

      Die Sektion für Regionalpolitik der EU-Kommission zeigte sich beeindruckt von der durchgreifenden Verkleinerung und dem damit abgesenkten Fördermittelbedarf. Das NRW-Wirtschaftsministerium zeigte keine Reaktion, da Ministerin Christa Thoben sich noch nicht positioniert hatte. Das Innenministerium, wichtig für die Genehmigung der Kommunalaufsicht zum Eigenanteil, begrüßte auf Arbeitsebene dessen Halbierung und deutete Zustimmung an. In dieser Konstellation wurde im Dezember 2005 eine Entscheidungsvorlage für das Landeskabinett vorbereitet. Um den Jahreswechsel meldeten Gerüchte aus Düsseldorf die Ablehnung von Finanzminister Helmut Linsen. Noch am 9. Januar 2006, einen Tag vor der Kabinettssitzung, reisten Oberbürgermeister Wehling und Projektleiter Dellwig zum Sechs-Augen-Gespräch zu Herrn Linsen, um ihn zu überzeugen. Doch die Ablehnungsfront stand. Am 10. Januar lehnte die Landesregierung eine Förderung von O.VISION per Kabinettsbeschluss mit dem Argument ab, dem Projekt fehle die Überzeugungskraft für Brüssel. (Ironie der Geschichte: Am gleichen Tag sendet die EU ein Telefax, mit dem sie die Förderbarkeit des verkleinerten Projektes bejaht.) Nicht wenige in Oberhausen vermuteten, dass auch parteipolitische Interessen-Konstellationen die Haltung des Landes bei der Entscheidung geprägt hatten. Am 10. Januar 2006 herrschte in Oberhausen nicht nur der große Katzenjammer; es mussten zugleich recht schnell Entscheidungen über die Zukunft des Geländes getroffen werden, denn mit dem Wegfall der Förderperspektive drohte der PBO sehr schnell das wirtschaftliche Aus!

      Die PBO hatte von 1998 bis 2005, über acht Jahre nicht förderfähige Teile der Baureifmachung und Erschließung sowie die Projektentwicklung finanziert, zudem den Grundstückspreis von gut fünf Millionen Euro entrichtet. S. entstanden Verbindlichkeiten von über 25 Millionen Euro, denen sehr wohl ein Gegenwert in Gestalt des wertvollen Grundstücks gegenüberstand, solange das Ziel O.VISION verfolgt wurde. Mit dem Ende des Projektes drohte jedoch der Absturz des Grundstückswertes der 630.000 Quadratmeter großen Fläche von etwa 250 bis 300 Euro pro Quadratmeter auf noch 70 bis 80 Euro. Das bedeutete Insolvenzgefahr wegen bilanzieller Überschuldung. Den Verbindlichkeiten der PBO standen plötzlich keine vergleichbar hohen Sachwerte mehr gegenüber. Bei Insolvenz hätten die Gesellschafter für die Schulden, die vielfältig von ihnen verbürgt waren, gehaftet. Nur aus dieser Notlage heraus ist bis heute verständlich, sogar alternativlos, sehr schnell einen Käufer für das Gelände finden zu müssen. Schon im Februar bestanden erste Kontakte zu EAI, Euro Auctions Immobilen. Die PBO gab am 20. Februar 2006 ein notarielles Kaufangebot ab, für das sich auch der Rat der Stadt am gleichen Tag ausgesprochen hatte. Im Mai tätigte EAI, international erfolgreicher Händler und Auktionator von Baumaschinen aus Nordirland, den Kauf. Der Preis, in mehreren Raten zu entrichten, betrug 37,1 Millionen Euro und deckte sämtliche Verbindlichkeiten der PBO. Dennoch waren die Verhandlungen hart und intensiv. Stadt und PBO strebten eine enge Projektentwicklung mit EAI an, um auch unter veränderten Bedingungen eine hochwertige Nutzung auf einer Fläche zu erreichen, die zu Recht als verbliebenes Filetstück in der Neuen Mitte Oberhausen für den weiteren Strukturwandel galt. Es gelang, diese Gemeinsamkeit, die Beschränkung der Nutzungen auf zwei bis drei Themen, darunter die Fortführung der Projektentwicklungen in der Gesundheitswirtschaft, in der Präambel des Kaufvertrages zu verankern. Weitere Nutzungen konnten die Bereiche Mobilität oder Wohnungseinrichtungen bilden. Musste man voraussehen, dass EAI den Ansprüchen an eine hochwertige Projektentwicklung nicht nachkommen würde?

       Abb. 28: Erste Planung für O.Vision aus dem Jahr 2001 mit dem „Gläsernen Menschen“ neben dem Stahlwerk.

       Abb. 29: Die endgültige Planung von „O.Vision“ aus dem Jahr 2003, Grundlage des Antrags bei der EU-Kommission und beim Land NRW.

      Euro Auctions Immobilien hatte zugegeben keine Erfahrung im deutschen Immobiliengeschäft. Doch EAI zog von Beginn der Kontakte an hochkarätige Experten aus der Region und aus ganz Deutschland heran. Auch Londoner Finanzexperten begleiteten Kauf und Projektentwicklung. In 2006 wurde eine Arbeitsgruppe aus Stadt, PBO, EAI und deren Experten eingerichtet, um gemeinsam an der Zukunft des SWO-Geländes, so der neue Name für das Gelände des vormaligen Stahlwerks Oberhausen, zu arbeiten. Und bis ins Jahr 2007 hinein gaben Investorenkontakte ebenso wie die Planungen der EAI-Entwickler Grund zur Zuversicht, dass um die drei im Vertrag genannten Themen eine Vermarktung und Besiedlung der Fläche gelingen werde. Somit war weder im ersten Halbjahr 2006 noch viele Monate später Grund zu der Annahme vorhanden, EAI habe das Gelände nur erworben, um es als beliebiges Spekulationsobjekt schnell weiter zu verkaufen, oder aber um dort Auktionen für Baumaschinen abzuhalten. Erst Fehlschläge bei der Entwicklung von Gesundheitsthemen und Trends in der Automobilindustrie, die gegen eine große „Auto-Mall“ im Ruhrgebiet sprachen, mündeten 2007/​08 in eine Entwicklung, in welcher über Jahre EAI als Eigentümer nicht das nötige Maß an Professionalität und Engagement zeigte, um dieser wertvollen Fläche gerecht zu werden.

      Das Scheitern von O.VISION und die Schwierigkeiten zur strukturpolitisch hochwertigen Vermarktung der SWO-Fläche nahmen großen Einfluss auf die Wahrnehmung und Selbsteinschätzung der Oberhausener im Strukturwandel. Während die 1990er Jahre als Jahrzehnt der bahnbrechenden Erfolge erlebt und in der Rückschau bewertet wurden, erschien das erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts als Zeitspanne, die von Misserfolgen, Rückschlagen, auf jeden Fall von Verlangsamung des Wandlungsprozesses, von einem Verlust an Optimismus und einem Ausbleiben identitätsstiftender Großvorhaben bestimmt wurde. Die einen verurteilten dies als Mangel an Professionalität in der Wirtschaftsförderung. Die anderen wiesen darauf hin, dass die Zeit öffentlich geförderter Großprojekte ebenso wie privat finanzierter Mega-Shopping-Malls eben vorbei sei. Oberhausen habe nicht zu klagen, dass die Zeit nach 2000 wieder ruhiger, stetiger verlief, sondern Oberhausen solle die Schaffung der Neuen Mitte ab 1992 als Besonderheit, als nicht wiederholbaren Glücksfall schätzen lernen.

      Doch wie verlief die Stadt- und Wirtschaftsentwicklung tatsächlich, jenseits verständlicher Emotionen, Hoffnungen und Enttäuschungen? S. unbestreitbar ausgebliebene Chancen auf dem SWO-Gelände ein stadtentwicklungspolitisches Ärgernis bildeten, so positiv verliefen in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts seit 2000 andere Projekte in der Neuen Mitte Oberhausen. Sie trugen allesamt zur Arrondierung der Freizeit-Destination als erster Adresse für den Städtetourismus im Ruhrgebiet bei.

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