Fahr Far Away: Mit dem Fahrrad von Alaska bis Feuerland. Hans-Joachim Bittner

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Fahr Far Away: Mit dem Fahrrad von Alaska bis Feuerland - Hans-Joachim Bittner

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       Gerhard Polt

      „Hier stinkt’s.“ Mein Sohn übertreibt maßlos. Käse stinkt nicht. Nicht für all jene, die ihn mögen. Es ist 6.37 Uhr, seit zwei Minuten Vater-Sohn-Aufwachzeit. In einer verregneten Nacht hat sich „Geruch“ niedergelassen. Ich habe am Abend zuvor zwei Fehler gemacht: ein kleines Stück Schweizer Esskultur nicht vernünftig mit Frischhaltefolie umwickelt und obendrein auch noch außerhalb des Kühlschranks liegen gelassen. Der Duft – niemals Gestank – hing sich ein. Die wenigen Quadratzentimeter festgewordener, kleinlöchriger Milch: Für mich schlagartig Grund genug, davon zu schweben, Pläne zu schmieden, nach dem nächstliegenden Reiseführer aus dem Privat-Archiv geballter Länderkunde zu kramen. Rasend schnell kommen und gehen sie, die Träume. Weit ab der Heimat. Selbst wenn sie so nah ist, die Schweiz, meinem Zuhause so ähnlich, gewaltiger gewiss, und doch in vielem so gleich. Ein kleines Stück gelben Hartkäses, jetzt brav in Alufolie gefangengenommen, lässt meine nur latent verwelkte Reiseleidenschaft – der letzte Trip ist schon etwas her – aufblühen. Von jetzt auf gleich.

      Die Lust ruhte nicht durchgreifend: Das Unterwegssein, das Wegsein, Fernsein, das Reisen. Nicht „Urlaub machen“, am Strand liegen, in zwei Wochen Adriaküste links und rechts nur dicke Hotelmauern, vorn heißer gelb-brauner schattenloser Sandstrand, unmittelbar an flachem, windlosem Langweiler-Meer angrenzend, kaum Schiffsverkehr, im Rücken betonertränktes, ödes, vertrocknetes Hinterland. Gerhard Polt hat’s in seinem „Man spricht deutsh“ im Regen-Sommer 1988 auch Stubenhockern notorisch präsentiert. Maßvoll überzogen, zweifelsfrei realitätsbehaftet. Sonne satt, durchaus. Die Sehnsucht nach ERleben: ewig hungrig geblieben. Urlaub nein, Reisen ja: Länder kennenlernen, ihre Kulturen, Sitten, Bräuche, einzigartige Landschaften samt inhaltsreichem Leben, Menschen und Natur. Dabei sein, dazwischen sein, so viel sehen, Gutes schmecken, Weites spüren, grenzenlos fühlen. Dazwischen ist genügend Raum. Um faul zu sein. Ein zu Buch lesen, in Ruhe, einen Andreas Altmann empfinden, wie er von seinem Endlos-Getriebensein erzählt. So packend. Reisen als Leidenschaft, Wohlgefühl, Lebensfreude, Rast und Ruhepol, mehr als nur Hobby. Horizonterweiterung. Ein vergessenes Stück Schweizer Käse reichte: Schon entfachte neue Entdeckerlust.

       Auch für Bajuwaren gibt’s ein „unten“

      „Ihr da unten (habt ja immer viel Schnee im Winter)“, schrieb mir unlängst ein Freund aus Mettmann im Rheinland. Wir da unten? Also! Gegen „unten“ ist ja zunächst nichts zu sagen – wobei diesem „unten“ schon auch etwas Erniedrigendes anhaftet. Es ist Umgangssprache, das Landkartendenken, der flüchtige Atlantenblick, im Volksmund, der meist ja nur nachplappert, was er irgendwo aufgeschnappt hat. Wir wissen: Die Erde ist eine Kugel, nicht hundertprozentig rund, das nicht, ein wenig ellipsenförmig, das schon. Aber im Großen und Ganzen doch eine Kugel – nicht oben ohne, aber eben ohne oben oder unten, links oder rechts.

      Dennoch fahren wir Reichenhaller/​-innen nach Salzburg „umme“ oder „nüber“ (hochdeutsch „rüber“), nach München „auffe“ (rauf), in die Stadt (wer außerhalb wohnt) oder nach Berchtesgaden „nei“ beziehungsweise „eini“ (rein), nach Freilassing „naus“ (raus) und – ja tatsächlich – nach Italien „obe“ (runter). Also: Auch wir Bayern haben ein „unten“. Zum Glück.

      Ich fahre gern weg, mag das Startfeeling, egal ob umme, auffe, nei, eini, naus oder obe. Das spielt keine oder sagen wir eine relativ untergeordnete Rolle. In den letzten Jahren verlagerte sich das zuvor meist obe eher in ein auffe. Der Norden hat es mir mittlerweile weit mehr angetan, als der in Kindheitstagen gleichermaßen aufgezwungene wie abgegraste, oft doch identische Süden. Irland, Skandinavien, ja schon der deutsche Norden kommt meinen Fotografen-Vorstellungen vom „perfekten Licht“ oft sehr viel näher als das mitunter recht sommer-dunstige Italien. Griechenland nicht: Das faszinierende Kontrast-Farbenspiel kalkweißer Kykladen-Inselhäuschen vor tiefem Ägäisblau konnte bislang kein anderer Ort toppen.

      Ganz „hinten“, ziemlich weit „unten“, schlug ein Land dennoch alles: 23 Stunden „umme“ und „obe fliagn“, bis Neuseeland, war zwar hart, aber mein bislang erreichtes „Ende der Welt“ lohnte sich überproportional, jede Sekunde – von oben bis unten, von „herent“ (hier) bis „drent“ (drüben). Die südlichsten Südinsel-Einheimischen habe ich im Februar 2011 dennoch nicht gefragt, was für sie „unten“ noch kommt.

       Neuseeländischer Sonntag

      Wir parken ohne Suche, Stehenbleiben verbotsschildfrei. Abseits aller Tourismusströme. Keine zwei Meter von jener Stelle, an der das vom lauen Sommerwind leicht kräuselnde Wasser des Lake Rotoma die bunten Kieselsteine zart benetzt. Raus aus dem Miet-Mitsubishi Space-Runner 4WD mit Schaffänger (eigentlich Kuhfänger, aber das braucht in Neuseeland kein Mensch), runter mit T-Shirt und Short, rein ins schwarze Kristallbecken. Frische 18 Grad hier drinnen, über 30 knapp drüber. Aushalten. Durchatmen. Kühle spüren. Auf der Haut, jedem Quadratzentimeter. Genuss. Kein Mensch weit und breit beobachtend. Kein Strommast stört den reinen Luxus-Naturblick, sattes Waldhügelgrün und kräftiges Himmelszeltblau beherrscht. Nichts unterbricht. Paradies am Sonntagnachmittag. Auch mal Alleinsein. Kurze Gedanken, an Europa, das vermeintliche Zentrum, den Massenabfertigungsbetrieb. Dort mal Alleinsein. Unmöglich fast, mittlerweile.

       Luxus Zeit

      Reisen – der Luxus – bedeutet für mich viel, und doch ist es so einfach: „Zeit haben“. Zeit für Dinge, die im Alltag untergehen, zu kurz kommen, Zeit, die man sich nicht nimmt, warum auch immer. Zeit für Beobachtungen, ohne voyeuristisch daherzukommen. Sehen, wie andere leben. Was sie tun, um ihrem Leben Sinn, welchen auch immer, zu geben. Ohne nach dem eigenen Sinn des Lebens suchen zu müssen, ohne dem eigenen Leben gerade überhaupt Sinn geben zu müssen. Trotzdem entdeckungsbereit. Und: Einfach nur da sein und bleiben, das Menschsein fühlen, nicht weiter müssen, einatmen, ausatmen, gespannt entspannen, sehend schauen und Leben leben. An einem frühen Morgen auf den hohen Klippen Santorins: die weißen Kapellen, die strahlendglänzenden Kreuzfahrtschiffe, das Azur-Meer, Mediterran-Feeling, im Pistazien- und Oliven-Land. Einen Nachmittag lang in einem Café in der Londoner Irving-Street: dem Treiben zuschauen, den gestressten Bankern und anderen Krawattenträgern, den lauten Gauklern und konzentriert-lockeren Straßenmalern, den probenden Musical- und Theaterstars, den zerstreuten Obdachlosen und Allerländerherren. Ein Abend in der Bucht des „französischen“ Küsten-Städtchens Akaroa: im Schatten der grellrot leuchtenden Pohutukawas („Weihnachtsbäume“) den neuseeländischen Skippern beim Abtakeln beiwohnen, nicht ohne vorab bei Kapitän Romantik auf der Fox II selbst hinter Hector-Delfinen hergesegelt zu sein … – oder, gar nicht so „fahr far away“, die heimelige Sommerfrischler-Atmosphäre des stets rausgeputzten Salzkammergut-Dorfes Strobl am Wolfgangsee kennenlernen und aufsaugen: Alte Villen-Welt, schattige Alleen, urige Kaffeehäuser, alt-österreichische, jegliche Klischees erfüllend. ERleben ist überall möglich.

       Ungeplant

      „Wir planen Ihre perfekte Reise“, lese ich an einem grauen Dienstagabend in der Reichenhaller Fußgängerzone und könnte blindlings auf den versprochenen Sonnen-D-Zug aufspringen. Um im nächsten Augenblick eilig davonzurennen und laut rauszuschreien: „Bitte alles, nur das nicht“. In einem kleinen Pavillon sitzt einer dieser gemütlichen „Reiseplaner“ und verhökert Kaffeefahrten zum Wilden Kaiser. Er wirbt mit diesem „besonderen“ Spruch. Marke „besonders unerfüllbar“. Denn was ist erstens schon perfekt? Jeder Erdenbürger definiert das für sich differenziert, individuell. Und warum muss es zweitens überhaupt „perfekt“ sein, das Wegfahren, das Wegsein, das Urlaubmachen,

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