Auslaufgebiet. Lotte Bromberg
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»Na, was haben wir denn da«, sagte Oskar Blum aus dem Wohnzimmer. »Eine Halbautomatik. Dafür haben die Herren doch wohl nicht etwa einen Waffenschein?«
Der ältere Mann fluchte wieder in seiner fremden Sprache.
Rudi atmete tief ein und öffnete die Tür.
Auf ihn zu stürzte jaulend ein Bullterrier, wich Rudis Körpermasse aus und raste den Flur entlang. Rudi sah ihm verdutzt hinterher, da stürzte ein zweiter aus der Tür. In hohem Tempo erreichten sie das Wohnzimmer, sprangen auf den Couchtisch, schlitterten in die Euromünzen, knurrten und bellten mit sabbernden Mäulern.
Rudi sah in das Zimmer, als ihm ein dritter Bullterrier an den Hals sprang. Schreiend fiel er hintenüber auf die Dielen.
»Was zum Teufel …«, rief Oskar.
Der Bullterrier auf Rudi winselte, leckte sein Gesicht und pullerte ihm warm in die Uniform.
Oskar nahm die Hände von dem Jungen und versuchte, die zwei Bullterrier vom Couchtisch einzufangen. Einer sprang über einen Sessel und raste aus dem Zimmer. »Rudi, die Wohnungstür«, rief Oskar. Der geflüchtete Hund drehte eine irre Runde über die schimmernde Tagesdecke im Schlafzimmer, Speichel triefte aus seinem Maul. Der vollgepinkelte Rudi hielt seinen Hund im Nacken und robbte zur Wohnungstür. Der dritte Terrier sprang hechelnd im Wohnzimmer von einem Möbelstück zum anderen, verbiß sich schließlich in einem Vorhang, zerrte an ihm und knurrte. Zwei Kripobeamte warfen Kissen auf ihn und versuchten ihn einzufangen.
Der Junge, aus Oskars Klammergriff befreit, zog seine Hose hoch, sah sich um und schlich rückwärts zur Wohnzimmertür.
Der Bullterrier aus dem Schlafzimmer hatte genug von der Tagesdecke und raste zu Rudi in den Flur. Rudi hob die Arme und brüllte »Stop!«. Der Terrier bremste ab, fixierte ihn mit heraushängender Zunge und hervorgequollenen Augen und nahm Anlauf. Rudi warf erst die Mütze nach ihm und dann sich auf ihn. Er bekam ein Bein zu fassen, mußte aber den anderen Terrier loslassen. Der machte einen Satz und verschwand durch die weit geöffnete Wohnungstür. Rudi hörte seine Krallen auf den Treppenstufen abwärts schlittern. Schnaufend hielt er den anderen Bullterrier fest. Fünfzig Prozent, dachte er.
Da kam der Junge in den Flur. Sah Rudi bäuchlings mit dem Bullterrierbein in der Hand quer auf den Dielen liegen, hinter ihm die offene Wohnungstür. Er beschleunigte, um über Rudi und Hund zu springen. Rudi sah seine jungen Muskeln sich anspannen, sah die weißen Turnschuhe, das gegelte Haar, die engstehenden tiefschwarzen Augen, die dicke goldene Kette um den dunklen Hals und hob seinen fetten Hintern.
Der Junge, mitten ihm Sprung abgefangen, schlug krachend der Länge nach hin wie ein nasser Sack. Landete halb auf Rudis Allerwertestem, halb auf dem Dielenboden. Rudi drehte sich, immer noch den Hund fest an der Hand, auf den Rücken, schüttelte das Gewicht des Jungen ab wie ein lästiges Insekt, robbte zur Wand, wischte sich mit dem Oberarm den Schweiß von der Stirn und dachte, hundert Prozent.
II
Hauptkommissar Oskar Blum saß mit verschränkten Armen auf dem Beifahrersitz seines Citroën. Die ausgestreckten Beine hatte er auf dem Lenkrad untergebracht, die Schulter an die Tür gelehnt. Neben der geöffneten Fahrertür kniete ein uniformierter Kollege und redete vernünftig auf ihn ein.
Oskar hielt die Augen geschlossen. Nicht mit ihm. Er war die Kripo, verdammt noch mal, er ließ Absperrbändern ziehen und blieb nicht vor ihnen stehen.
Er hatte nach dem Einsatz die zwei verbliebenen Hunde in die Obhut eines Tierheimmitarbeiters gegeben und sich den Verdächtigen gewidmet. Der Älteste hatte sich nach dem Verbleib der Hunde erkundigt und fortan geschwiegen. Bis sechs Uhr früh hatte Oskar in der Keithstraße die immer gleichen Fragen in drei starr schweigende Gesichter versenkt. Nicht einmal Angaben zur Person entlockte er ihnen. Sie hatten keine Ausweispapiere gefunden, aber zwei Schnellfeuergewehre, vier Revolver, neun Handgranaten, vier Kilo Kokain, drei Kilo Crack und zwölfeinhalb Kilo synthetischer Partydrogen. Ein schöner Fang für Drogenfahndung und Organisierte Kriminalität, aber nichts für Oskars Doppelmord. Sah aus, als hätte der anonyme Anrufer die Kripo mißbraucht, um den Drogenmarkt von einem lästigen Konkurrenten zu bereinigen.
Der Mann an der Shisha hatte im Verlauf der Stunden das Glasige aus seinem Blick verloren und mit Blick Richtung Kommissar auf das Linoleum gerotzt. Oskar war auf Berliner Bordsteinen sozialisiert, solches Ziegenhirtengebaren entlockte ihm nur ein halbseitiges Grinsen. Um sechs Uhr vier beendete er die einseitige Kommunikation, ordnete zur Feststellung der Personalien die zwangsweise Abnahme von Fingerabdrücken an, was sofort Leben in die Bude brachte. Er hätte schon um drei darauf kommen können.
Um kurz nach sieben waren die ihn mit fremdsprachigen Flüchen überschüttenden Männer in drei Einzelzellen verstaut und Oskar wankte nach Hause. Er plumpste angezogen in sein Bett, eine halbe Stunde später klingelte ihn die Zentrale aus beginnendem Tiefschlaf, klagte, wer alles mit Grippe abgemeldet oder an unlöschbarem Burnout erkrankt war. Bevor Oskar erfuhr, wie gut es Kollegin Bettina auf einem dänischen Campingplatz und Kollege Ritter im Grill von Antalya ging, legte er auf. Er war eindeutig zu gesund und zu selten verreist.
Oskar versprach seinem Federbett, er käme bald zurück, begoß den bleiernen Kopf mit eiskaltem Wasser und fuhr quer durch die Stadt zum Leichenfundort im Grunewald. Und das alles, um sich jetzt von Zehlendorfer Befindlichkeiten gängeln zu lassen und auf den amtlichen Hausherrn der Bäume zu warten, bevor er mit seinem Auto dessen Revier befuhr, um eine Leiche in Augenschein zu nehmen.
»Det kann ewig dauern, bis der Förster kommt«, seufzte der Uniformierte.
»Eben«, sagte Oskar, »kurz vor ewig durchbreche ich das Hindernis.« Er zog die Beine vom Lenkrad. Wenn er sich erinnerte, wie er früher brünftig die Sitze abgescheuert hatte, kamen keine knarzenden Glieder vor. Nicht nur sein Auto alterte.
»Es ist wirklich nicht weit«, quengelte der Uniformierte. »Höchstens zwanzig Minuten zu Fuß.«
»Neunzehn zu viel. Ich zeig’ Dir, daß meine Kutsche viel besser zum Wandern geeignet ist als meine Großstadtfüße.«
Oskar Blum war gebürtiger Neuköllner. Sein Kinderbettchen hatte in der Tempelhofer Einflugschneise geschaukelt, seinen nuckelnden Schlaf die blinkenden Lichter westalliierter Flieger behütet. Mamas Streusel dazu, ab und zu Kloppe von Papa.
Schritt für Schritt hatte er sich eingelaufen in die puckernden Adern seiner Heimatstadt. Lauscher aufgestellt, Nase im verrußten Wind, große Klappe sowieso. Immer det letzte Wort. Nüscht vapassen, jetzt komm’ ikke.
Ging zur Oberschule, schrieb von schlauen Mädchen ab und machte im dritten Anlauf als erster im Block Abitur. Landete bei der Berliner Polizei, das Richtige tun, zu den Guten gehören. Papa war stolz, Mama bügelte die Uniform.
Er zog weg aus Neukölln, traute sich immer mehr, linste zu den Kollegen von der Kripo. Das wär was. Ganz andere Liga. Sperrte wieder alle Sinne auf, wurde verlacht, keiner war jemals von den Uniformierten gewechselt. Oskar Blum wollte der erste sein. Schob