Auslaufgebiet. Lotte Bromberg

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Auslaufgebiet - Lotte Bromberg страница 5

Автор:
Жанр:
Серия:
Издательство:
Auslaufgebiet - Lotte Bromberg

Скачать книгу

habe ich schon befürchtet.« Er tippte die Kurzwahl Null in sein Handy. Das war eindeutig etwas für kopfkranke Geisterseher.

      Seine Schwester biß ihn in den Rücken. Knurrend machte er eine Rolle rückwärts auf sie zu. Hell bellend hopste sie zur Seite. Gemeinsam jagten sie über die Wiese, schnell hatte er sie eingeholt, mit weit geöffnetem Maul stürzte er sich auf ihren Nacken, zog an ihrem Fell und rüttelte. Er hatte Haare im Hals, hustete und würgte. Seine Schwester fiepte unterwürfig, drehte sich auf den Rücken und streckte ihm die Beine entgegen.

      Er verlor das Interesse, sah über die Wiese und trollte sich zu den Erwachsenen. Seine Mutter schlief, die anderen dösten. Sie hatten ein Reh erlegt, erst gestern, und waren alle satt und blutbesudelt. Nur der alte Rüde putzte sich, leckte sorgsam mit geschlossenen Augen seine Vorderläufe.

      Er zupfte Gras, setzte sich hin, hob den Hinterlauf unentschlossen zum Ohr und kratzte sich. Ging über zur Lefze, dem Hals. Eine Fliege kam ihn zu ärgern. Er schnappte nach ihr, sprang auf, schlug Haken, hielt plötzlich inne und legte sich ins Gras.

      In ihm zog es wieder. Er fiepte und legte den Kopf auf die Pfoten. Sein Herz schlug um das Ziehen herum, kreiste es ein. Er fraß etwas Gras, ein paar Gänseblümchen, kaute ausgiebig, die Blütenblättchen kitzelten ihn, das Ziehen blieb. Er stand auf und pinkelte an die nächstbeste Kiefer, neuerdings hob er das Bein. Er blickte auf seinen dampfenden Urin, kontrollierte den Geruch, bellte auffordernd, aber seine Geschwister beachteten ihn nicht.

      Die sich senkende Sonne wärmte seine Nase, er nieste. Von dort rief ihn etwas. Er witterte und ließ den Kopf kreisen. Scharf, kühl und fremd schien ihm die Witterung. Er folgte ihr bis an den Rand der Wiese, bis zur Anhöhe vor dem Wald. Blieb stehen, witterte erneut, sah zurück. Seine Mutter gähnte. Sein Bruder schlug Purzelbäume, bellend verfolgt von seiner Schwester. Ein Schlag ging durch seinen Körper, er tollte den Abhang hinunter und stürzte sich auf seinen Bruder. Gemeinsam rollten sie durch das Gras.

      Jakob Hagedorn sah in den Motorraum eines antiquarischen Bullis und fragte sich, wohin mit dem Schraubenzieher.

      »Find’ste wenigstens den Keilriemen, Schatzi?« Grete gackerte.

      Jakob grunzte und überlegte, ob er sich von einer 80jährigen in Faltenrock, Strumpfhose und Wanderstiefeln auf einem Brandenburger Waldparkplatz beleidigen ließe. »Hat der überhaupt TÜV?«

      »Noch vier Wochen, kein Grund, nervös zu werden.«

      Jakob tauchte aus dem Motorraum auf. »Wir brauchen eine Werkstatt.«

      »Blödsinn. Seit zwanzig Jahren repariere ich dieses Auto selbst.« Sie nahm ihm den Schraubenzieher aus der Hand.

      Diese verschrumpelte Schachtel mit ihren himmlisch blauen Augen machte Jakob völlig wehrlos. Erstmals begegnet waren sie sich im vergangenen Jahr, als er nachts um drei aus der Wohnung seiner frisch aufblühenden Liebe Hanna in den Hausflur gestürmt war und die heimkehrende Grete beinahe umgerannt hatte.

      Am folgenden Tag war er dann während einer Geiselnahme auf den Fußboden eines Weddinger Lehrerzimmers gekracht, hatte gezappelt und gesabbelt und sein Bewußtsein erst in einem Krankenhausbett wiedergefunden. Ungute Voraussetzungen für das Werben um eine so lange wie bildschöne Ärztin. Gewisse Meinungsverschiedenheiten Hannas mit ihrem Arbeitgeber und eine Mordanklage hatten die Verhältnisse allerdings wieder gerade gerückt.

      Bei einer Flasche Single Malt, die Grete, mit dem fürsorglichen Hinweis auf die von Alkohol ausgehende Gesundheitsgefahr für verpurzelte Hirne, nahezu allein geleert hatte, erfuhr Jakob später den Grund für Gretes nächtliche Heimkehr. Sie hatte in der Wohnung eines ehemaligen Schülers und Hobbycannabisgärtners der mit Durchsuchungsbeschluß anrückenden Polizei die demente Oma vorgespielt: kreischend stand sie in der Wohnungstür und forderte, man solle den Weg in den Luftschutzkeller freigeben, sie riefe sonst den Blockwart. Die peinlich berührten Polizisten ergriffen die Flucht.

      Da sie, vermutlich mit Zwangsjacke und Krankenwagen für Oma, wiederkommen würden, mußte die Cannabis-Plantage weichen. Grete klingelte die nachbarschaftliche Kundschaft zusammen und verteilte Zubehör und Technik über das ganze Mietshaus. Die meisten Pflanzen landeten in der Komposttonne eines neuerbauten Townhouses zwei Straßen weiter.

      Der dankbare Gärtner versprach Grete für ihre Hilfe lebenslangen Nachschub auf Kosten des Hauses, was die Alte bis zum letzten Atemzug auskosten wollte. Jakob gab etwas acht, daß sie es nicht übertrieb. Während ihre Pflegetochter Hanna bis zur Gerichtsverhandlung durch die Welt reiste, hatte er sich angeboten, für Grete zu sorgen. Hanna erzählte es der Alten, die senkte ihre blauen Augen in Jakobs, kniff ihn in die Wange und sagte, ich hab Dich auch lieb.

      Mit Schraubenzieher und Stablampe bewaffnet sah sie Jakob an. »Du mußt mich hochheben und leuchten.«

      Jakob seufzte, hob das Fliegengewicht auf die Stoßstange und hielt sie in der Taille fest. Er sah auf den grauen Lockenkopf und hörte es professionell klappern, als sein Handy klingelte.

      »Wenn Du jetzt rangehst, bin ich verloren.« Gretes Stimme klang hohl.

      Jakob löste vorsichtig die Hand von der alten Hüfte und fingerte nach seinem Handy.

      »Mann, hat das lange gedauert. Liegst Du im Koma?«

      »Grüß Dich, Oskar. Ich bin in Brandenburg im Wald.«

      »Wie romantisch.«

      »Mit Grete.«

      »Sucht Ihr einen neuen Standort für ihre Kifferplantage?«

      »Ich soll Dich auch lieb grüßen. Warum rufst Du an?«

      »Ich habe hier eine Leiche.«

      »Was geht mich das an?«

      »Sei nicht gleich beleidigt, nur, weil Du suspendiert bist.«

      Jakob hatte außer der Gesundheit auch seinen Beruf eingebüßt, Beamtenrecht und Corpsgeist sich, bisher erfolgreich, gegen ihn verbündet. Er war suspendiert und stand vor Gericht. Eine Serienmörderin und seine große Liebe hatte er allerdings in diesem Seuchenjahr auch gefunden, als mit den Gliedern rappelnder, kopfkranker Geisterseher nicht schlecht.

      Und es war ja nicht so, daß er nichts zu tun hatte. Montag bis Freitag entstaubte er seine Bücherregale, schlich sich zwischen Schulklassen durch Museen, besuchte die neuesten Berliner Baustellen, fuhr auf dem S-Bahn-Ring im Kreis und ging jeden zweiten Tag einkaufen. Am Wochenende, wenn auch Nicht-Suspendierte Zeit hatten, pflegte er rostige Freundschaften. Und abends, wenn ihn zielloser Tatendrang ansprang, verhinderte die Geisterrunde von Martinas Opfern naturtrübe Gedanken.

      Die schienen sich bestens zu verstehen, er kam sich zwischenzeitlich in seiner eigenen Wohnung wie ein Zimmerwirt vor. Hübsche junge Frauen, die Platten auflegten und sich auf Sesseln und Sofa räkelten, als sei das ein Geisterzuhause. Jakob fand das unhöflich. Er hatte ihre Geschichte aufgeklärt und verstreute Körperteile aus einer Berliner Tiefkühltruhe in ländlich idyllische Gräber verfrachtet. Na gut, nicht alle in die passenden, was konnte er für hartherzige Eltern.

      Vermutlich mußte er nur endlich wieder arbeiten, dann fände er zurück in die Realität oder neue Mordopfer vertrieben die alten. Letzte Woche hatte er mit seinen Geistern ernsthaft geredet, sie sollten zu ihren Angehörigen zurückkehren, mal bei Penta und Sohn in der Mark vorbeischauen, oder ihre vermutlich schlecht gelaunte Mörderin in der Zelle

Скачать книгу