Auslaufgebiet. Lotte Bromberg

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Auslaufgebiet - Lotte Bromberg

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schmalen Lippen waren wirklich unvorteilhaft. Jetzt mahlte auch noch Juniors Kiefer.

      »Und wissen Sie etwas über Feinde, Neider?«, fragte Oskar.

      »Sie war nicht gerade eine Schmusekatze.«

      Die Mutter schluchzte, der Traum von Zukunft war zuende.

      »Ihr Auftreten hat vielen nicht gepasst. Sie ließ gern mal den Kontostand raushängen.«

      »Als ob die Brüder es nicht auch zu etwas gebracht hätten«, sagte der Vater. »Mein Ältester hier ist Banker, der Kleine leitet ein Lebensmittelunternehmen.«

      Alles Kapitalisten, dachte Oskar, armes Schwein. Aber so bezahlt wenigstens jemand Deine stalinistischen Flausen. »Und wissen Sie, an welchem Projekt sie gerade arbeitete?«

      »Umweltschutz«, sagte die Mutter und schneuzte sich. »Das kommt noch hinzu, ihr Arbeitgeber war eine soziale Stiftung.«

      Der Vater schnaubte wieder. »Ist ja wohl das mindeste, daß die ihre erbeuteten Gewinne in das Gemeinwohl zurückführen.«

      Aber sicher, dachte Oskar, wie Dein Staatsrat.

      »An der FU unten in Dahlem war sie. Dadurch hatte sie jetzt viel in Berlin zu tun, wir konnten uns öfter sehen.«

      »Wieso weiß ich davon nichts?«, fragte der Vater.

      Jetzt heulte die Mutter richtig. »Du wärst doch nie damit einverstanden gewesen, daß sie in Westberlin arbeitet. Du wolltest ja nicht mal in ihre Wohnung, dabei war die im Osten.«

      Oskar wurde das alles zu eng. Da lobte er sich seine Neuköllner Kindheit. Kohleofen, Kohlrouladen, klare Ansagen und Dankbarkeit gegenüber den amerikanischen Beschützern. Jakob hätte das alles hier viel besser gekonnt, der weckte in jedem gescheiterten Arschloch den flauschig-weichen Kern. Wenn Oskar an Staatsratspapas Kern dachte, sah er nur ausgekotzten Karamellpudding vor sich. Die letzte Frage und dann nüscht wie an die Luft. »Haben Sie eine Idee, wer Ihrer Tochter das angetan haben könnte?«

      »Irgendsoein Perverser aus dem Grunewald«, rief der Vater. »Joggen in knatschengen Klamotten. Da muß sie sich nicht wundern. Wußte nicht, wo sie hingehört.«

      Warum gerade hier? Eine abseitige Lichtung im Wald. Jakob überstieg das Polizeiabsperrband, blieb in der Mitte des Areals stehen und drehte sich langsam im Kreis. Er übertrug, was er auf den Tatortphotos gesehen hatte.

      Das Bild einer Schlacht. Verwirbelte Laubhaufen, zerwühlte Erde. In der Mitte die tote Frau, auf dem Rücken liegend. Die Arme waren ausgebreitet, ein Unterarm abgetrennt. Keine Hände. Der Kopf seitwärts, blutiges Haar in der Stirn, Teile der Nase fehlten. Blutverschmiert der offene Hals, behängt mit einer breiten goldenen Kette.

      Reste eines Pullovers. Ein hochgeschobener schwarzer Minirock, Löcher in Ober- und Unterschenkeln. Eine Schleifspur führte zu dem Unterarm abseits. Die Hand war mit teuer blinkenden Ringen geschmückt, sechs an drei verbliebenen Fingern. Grell lackierte Fingernägel. Neben ihrem Bauch Pumps, leuchtend rot, mit gelber Sohle, keine Waldspritzer auf der Farbe, keine Erde am Absatz.

      Wie auf einer Bühne. Wäre die Leiche aufgebahrt gewesen, er hätte an ein Bestattungsritual gedacht, eine Toteninszenierung. Gab es nicht bei Indianern die Vorstellung, Greifvögel holten die Seele ab, indem sie sie verspeisten? Vielleicht war sie auch eine Opfergabe gewesen. Ein Kniefall vor Berliner Wildschweinen und Ratten? Jakob, Du staubst zu viele Bücher ab.

      Er war auf Oskars Fall gesprungen wie ein sabbernder Jagdhund. Hatte auf die Tatortphotos gestiert und war in die Leine gestiegen, wann es endlich losginge. Oskar hatte ihn besorgt angesehen. Fall mir nicht wieder hin. Keine Sorge, wenn sein Gehirn jetzt schlapp machte, reichte er unverzüglich die Scheidung ein. Sicher, das Ganze war nur ein Freundschaftsdienst, inoffiziell, versteckt, illegal. Na und? Endlich wieder Arbeit, Frischluft in jeder Windung. Durchgepustete graue Zellen, flirrende Nervenbahnen, er fühlte sich hervorragend. Etwas nervös vielleicht, geschlafen hatte er nach seiner Recherche wenig, aber so ging das wohl von der Couch hopsenden Frührentnern.

      Den gestrigen Abend hatten sein aufgekratzes Hirn und er recherchierend in der Unibibliothek verbracht. Vor über 200 Jahren war der Berliner auf den Hund gekommen, 1850 gab es schon zehntausend beste Freunde des Menschen in der Stadt. Wenig später versuchte die Obrigkeit, durch Steuern, Verordnungen und Verbote vor allem die Armen von ihrer Liebe zum flohtragenden Mitgeschöpf abzubringen. Man erließ einen Maulkorbzwang, an den sich selbstverständlich niemand hielt. Alle Maßnahmen waren vergebens, selbst im hungerreichen, verfrorenen Blockadewinter 1948 spannte sich die Luftbrücke über einer ungebremst wachsenden Hundezahl im Westteil der Stadt.

      Vor knapp hundert Jahren richtete man aus Verzweiflung oder Verantwortungsgefühl Hundeauslaufgebiete ein. Zwölf an der Zahl auf 1250 Hektar bewaldetem Stadtgebiet. Einzigartig in Europa, so las er. Jakob vermutete, Brasilien, Neuseeland oder Saudi-Arabien hätten wohl kaum größere. Mal wieder ein Berliner Weltrekord.

      Das größte Auslaufgebiet der Stadt war zugleich das beliebteste. Gelegen im Grunewald, geschmückt mit Krummer Lanke, Schlachten- und Grunewaldsee. Am Ufer des letzteren lag in prachtvoller Breite der Hundekudamm. Es gab eine Würstchenbude direkt am sandigen Badestrand für Wüstlinge und Elegante, Halbstarke und Olle. Dort trafen sich Hunderte Exemplare aller Rassen. Terrier protzten vor Doggen, Dackel liebäugelten mit Schäferhundedamen – und alles ohne Leine, Straßenverkehrsordnung und Beleuchtung.

      Die entstellte Frauenleiche lag weiter draußen. Oberhalb von Krummer Lanke und Schlachtensee verteilten sich Herr und Hund weiträumig unter Eichen, Buchen und Kiefern. Hin und wieder schaute eine Rotte Wildschweine vorbei.

      MM, alte Freundin und Friseurmeisterin aus seinem Kiez hatte Jakob ihren Mops in den Arm gedrückt, damit er im Auslaufgebiet nicht auffiel und Anschluß fand. Nach wüsten Drohungen, was ihm alles blühe, nähme Hektor im finsteren Wald Schaden, war Jakob mit neun Kilo Faltenwurf am Ende einer straßbesetzten violetten Leine zur U-Bahn gestiefelt, jetzt sicherte der schnaufende Knirps breitbeinig Jakob und die Lichtung.

      Iris Gerber, das ehemalige Kind aus der Plattenbauwohnung im Osten der Stadt, hatte ein teures Penthouse am Potsdamer Platz bewohnt. Sie fuhr einen schneeweißen BMW-Roadster mit roten Ledersitzen, in ihrem Navigationsgerät war zwei Mal pro Woche als Ziel der Parkplatz Hüttenweg im Grunewald eingegeben. Sie war regelmäßig im Auslaufgebiet gewesen. Im Kofferraum des Wagens lag eine Sporttasche mit zwei Garnituren frisch duftender Joggingkleidung, daneben zwei Paar identische Laufschuhe, am einen hing noch das atemberaubende Preisschild.

      Heute war einer der Joggingtage, die Zeit stimmte, Jakob wollte ihre Laufstrecke rekonstruieren und Zeugen finden. Falls Jakob das Finden nicht verlernt hatte. Immerhin mußte er, wenn er sich täppisch anstellte, kein hämisches Kollegenpublikum befürchten, keine Buche wußte, wie sich ein professioneller Kriminaler und wie ein auf den Kopf gefallener Exbulle benahm. Oskar hatte, als er das ungewohnte Fremdeln seines Freundes bemerkte, gefeixt, er könne ihn ja vom Wald aus anrufen, falls gar niemand vorbeikäme.

      Hektor stromerte durchs Gebüsch, als sich Jakob auf dem Weg ein Rudel Wölfe näherte. Jakob rief nach dem Knirps, aber Hektor reagierte nicht. Das hier war weder sein Friseursalon noch ein Schöneberger Bürgersteig, und er eindeutig im Urlaub.

      Also ging Jakob allein auf ein Dutzend freilaufende Hunde zu. Immerhin ragte ein Erziehungsberechtigter aus ihrer Mitte. Jakob erkannte Rottweiler, Terrier, Boxer, Schäferhundmischlinge und einen Labrador. Nichtsahnend brach der gut gelaunte Hektor aus dem Unterholz.

      Jakob sah sich schon auf der Suche nach einer neuen Friseurin, aber der Schöneberger hielt

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