100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 1. Erhard Heckmann
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Kanada, das sind riesige Entfernungen, unendliche Einsamkeit, menschenleere Gegenden, majestätische Bergketten, Fjorde, Eisberge und Gletscher von gigantischer Größe und Schönheit. Die kaum zugänglichen Northern Territories, Tausende von Seen und Wasserfälle, gewaltige Flüsse wie der Mackenzie, dessen riesiges Delta die 750 Kilometer lange, legendäre Schotterpiste „Dempster Highway“ tangiert zählen ebenso dazu wie schäumende Wildwasser, bunte alpine Wiesen oder der Indian Summer, der Mischwälder und Tundren in leuchtende Farben taucht. Wildnis ohne Pfade oder ausgetrocknete Gegenden im Regenschatten der Küstengebirge steht im krassen Gegensatz zu Regenwäldern, goldgelben Felder und Prärien, wo die Vögel am Boden brüten weil es keine Bäume gibt und der Schutz ihres Nestes in der Weite der Landschaft liegt. Kanada kann auch auf die Niagarafälle verweisen oder auf fruchtbare Täler wie das heiße Okanagan Valley, wo die nördlichen Ausläufer des Nordamerikanischen Wüstengürtels bis ins südliche British Columbia reichen und zusammen mit dem Okanagan River und vielen Seen für ausgezeichnete Obst- und Weinernten sorgen. Und dann wäre noch der einsame, wunderschöne Yukon zu nennen, hinter dessen westlicher Grenze zusätzlich auch noch das amerikanische Naturerlebnis Alaska lockt, wo der Kenner allein bei Begriffen wie Denali-, Katmai- und Glacier Bay Nationalpark oder der weltberühmten Inside Passage ins Schwärmen gerät.
Großstädten im Osten, wie dem pulsierenden Toronto, faszinierendem Montreal oder dem französisch-charmanten Quebec stehen raue und karge Provinzen gegenüber wie Neufundland und Labrador. Während hier, zu Red Bay, der erste Industriekomplex Nordamerikas entstand, als baskische Walfänger das Öl für europäische Lampen produzierten, werden auf Cape Spear der Nordamerikanische Kontinent und Neufundlands ältester Leuchtturm von der Sonne zuerst begrüßt.
Ständige Begleiter sind auch die Relikte und Geschichten der Goldgräber, Pioniere und Pelzhändler, auf deren Spuren sich noch heute wandern und fahren lässt. Während die Häuser aus Stroh und Erde zu L‘ Anse aux Meadows an der Nordwestspitze Neufundlands daran erinnern, dass die Vickinger schon 500 Jahre vor Columbus dort siedelten, ist auch der höchste Gezeitenunterschied der Welt in der kanadischen Bay of Fundy zu finden. Kanada ist aber auch Indianer- und Cowboyland. Auf den Top-Rodeos halten längst die Profis die Zügel in der Hand wenn es darum geht, die alltäglichen Cowboyarbeiten als Spitzensport zu betreiben, während die Ureinwohner im Gemisch der Völkerkulturen mehr oder weniger gut mitschwimmen.
Im zweitgrößten Land der Erde lässt sich auch tagelang wandern ohne eine Menschenseele zu treffen. Auf ausgebauten Wegen, naturbelassenen Trails oder in der Wildnis. Kanada ist aber vor allem auch ein Land der Wohnmobile, Allradantriebler, Kanus, Wasserflugzeuge, Buschflieger und der Pferde. Und vielerorts geht ohne die letzten beiden gar nichts. Auch das haben wir auf beeindruckende Weise kennen gelernt.
Schwarz- und Braunbären – seltener die weißen Kermodebären, die, wie die Grizzlies, zu den letzteren gehören und vornehmlich in der Nähe von Terrace, Kitimat und auf Princess Royal Island anzutreffen sind, Elche, Rentiere, Whapitihirsche, Pumas, Dickhornschafe und Bergziegen, Seelöwen, Buckelwale oder die schwarz-weißen Orkas sind faszinierende Vertreter einer Tierwelt, der auch die riesigen Kolonien der Meeresvögel nicht nachstehen. Zu Zehntausenden sind diese auf den Felsen zu Cape St. Mary in Neufundland oder zu Percé auf der Gaspé Halbinsel ganz besonders präsent, und die wunderschönen Tölpel dominieren die übrigen Arten. Auch Millionen Lachse vollenden auf dem Wege in ihre Geburtsgewässer einen ewigen Kreislauf körperlicher Höchstleistungen, um am Ende einer langen Reise für Nachwuchs zu sorgen und danach diese Welt zu verlassen.
Zum reisen auf eigene Faust und abseits ausgetretener Pfade gehört allerdings eine gründliche Vorbereitung und mehr Urlaubszeit als nur 14 Tage. Es mag auch nicht jedermanns Geschmack sein, auf einer selbst erarbeiteten, persönlichen Wunschroute, allein durch das weite Land zu rollen, wie wir es tun oder eine solche überhaupt auszuarbeiten. Mit seinen vielen National- und Provinzparks und guten Straßen wird Kanada aber jederart „Fernwehherz“ gerecht, auch vorsichtigen Neulingen oder Pauschalreisenden. Wer aber ohne vorgebuchte Route reisen und als Individualist durch das Land rollen will, muss vorher wissen, was ihn erwartet und abschätzen, ob es das Richtige sein könnte. Abseits ausgetretener Pfade und tief im Hinterland muss auch das Englisch besser sein als „ein paar Touristen-Worte“.
Die eigene Wunschroute – was für die eigenen Ohren gut klingt und das Herz hüpfen lässt – hängt lediglich von persönlichen Möglichkeiten und Prioritäten ab, als auch von der grundsätzliche Frage: „Wie will ich unterwegs sein?“ In der gegebenen Zeit so viel als möglich sehen ohne zu hetzen, oder kleinere Gebiete intensiver bereisen. Ich habe mich immer für ersteres entschieden, aber stets mit viel Zeit „für rechts und links“ und mehreren Reservetagen für Unerwartetes. Das Gefühl des „Abhakens“ hatte ich dabei nie, aber ich wäre oft gern noch geblieben. Mancherorts auch für immer.
Die eigene Tour liefert ein guter Reiseführer mit seinen Routenvorschlägen. Sind diese durchgearbeitet, die persönlichen Wünsche zur Rundfahrt verknüpft, Kilometer kalkuliert, Unternehmungen und Reservetage (machen flexibel und lockern die Zeitdisziplin) hinzugerechnet, sind auch Dauer und Kosten des Vorhabens erkennbar. Wer mit 40-50 kmh kalkuliert, muss auf Aussichtspunkte und kleine Wanderabstecher nicht verzichten. Fahrten auf „Interstates“ oder Überbrückungsstrecken erlauben eine höhere Gangart, so dass auch ein Tagesprogramm von fünfhundert oder mehr Kilometer locker zu absolvieren ist. Für Nordamerika sollten drei bis vier Wochen aber das Minimum sein, denn das Land ist nördlich und südlich des 49. Breitengrades riesig und seine Naturschönheiten laden zum Verweilen ein und locken immer weiter weg.
Letzte Frage: Sind Urlaubszeit und Reisebudget überhaupt mit der Wunschroute unter einen Hut zu bringen? Die Antwort ist oft eine Korrekture nach unten. Und nicht nur deswegen ist es eine gute Idee, neben einer „Kernroute“ kleine Zusatztouren zu etablieren. Das bietet außerdem die Möglichkeit unterwegs wegzulassen oder hinzuzufügen, wenn sich die Wirklichkeit anders darstellt als die Beschreibung erwarten ließ, oder das Wetter Geplantes verhindert.
Auto und Zelt, Wohnmobil oder Luxuscamper? Billiger als Auto / Motel sind sie auf alle Fälle. Der eine oder andere mag bei dem Gedanken „Wohnmobil“ noch immer zögern, aber Nordamerika kennt weder die Enge Europas noch dauert es kaum länger als bis zur ersten Kaffeepause das Gefährt zu mögen und damit zu beginnen, vom skeptischen Neuling zum Fan zu mutieren. Ich als strikter Gegner war jedenfalls schnell davon überzeugt, dass es keine schönere Form gibt, um die Natur zu genießen und das Land zu erleben. Finanziell rechnet es sich sowieso, denn Auto und Motel erreichen inzwischen zusammen ähnliche Tagessätze. Höherem Benzinverbrauch stehen Komfort und eine sehr günstige Art des Verpflegens gegenüber, denn Angebot und Preise in den Supermärkten sind mehr als ein handfestes Argument wenn man einen Blick auf die Speisekarten der Restaurants wirft.
Wer mit einem „RV“ – einem Recreational Vehicle, wie die Amerikaner das Wohnmobil nennen – reist, ist der Natur stets auch einen Schritt näher, flexibler und unterliegt nicht dem Zwang, am Abend die reservierte Unterkunft erreichen oder eine solche noch suchen zu müssen. Und dort, wo die Infrastruktur dünner wird, ist das Wohnmobil ohnehin der ungekrönte König. Mitentscheidend sind allerdings auch die Kilometer, denn jeder einzelne, der die meist zu niedrige Freigrenze überschreitet findet sich – im Gegensatz zum billigeren Auto – beim Wohnmobil auf der Rechnung wieder. Vor der Buchung heißt es somit „vergleichen“: Neben Mietpreisen gehören auch Freikilometer, Versicherung, Fahrbeschränkungen, Gebietsaufschläge, Erst- und Campingausrüstung, Einwegmieten, Langzeitdiscount, Preisnachlässe bei Anmietung an bestimmten Stationen, Übernahme- und Rückgabezeiten, Hotel- und Flughafentransfers und zweiter Fahrer auf den Prüfstand. Auch auf eine kluge Raumaufteilung, praktische und handliche Anordnungen und zusätzlichen Stauraum sollte man achten. Kompliziert ist das nicht, denn ein guter deutscher Reisekatalog – spezialisiert auf Nordamerika – listet seine Anbieter nicht nur auf, sondern stellt alle Details – auch Innenskizzen der Fahrzeuge mit Tag- und Nachtsituation – gegenüber