100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 1. Erhard Heckmann

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100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 1 - Erhard Heckmann

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Rumstehen, Koffer rein und Koffer raus! Aber eben ohne Risiko, im Stau die Nerven zu lassen und den Flieger von unten sehen zu müssen. Also, Düsseldorf – München, dann München -Toronto. Bange Frage: Hoffentlich nehmen die Koffer den gleichen Weg und landen nicht auf einem Flug nach Afrika. Dann zehn Stunden lesen, schlafen, essen. Dazu die Hoffnung im Herzen, der Pilot möge ausgeschlafen, und der Wettergott gnädig sein. Unsere Plätze waren bestens, der Fernseher direkt vor mir, so dass ich ganz relaxt die Flughöhe überwachen konnte. Nur ein einziges Mal schreckte ich aus dem Schlaf auf, als die energische Stimme des Kapitäns zu vernehmen war. Aber das betraf die angesprungenen Rauchmelder, die ein Unbelehrbarer mit seiner Zigarette auf dem WC – trotz generellem Rauchverbot – ausgelöst hatte. In Toronto durfte er dann auch als erster aussteigen. Die Polizei wartete schon. Für uns sah das Umsteigen nach Vancouver etwas anders aus. Wir hetzten wie die Dackel quer durch den Flughafen, weil unsere Koffer die letzten auf dem Band gewesen waren, und wir erst aus-, dann wieder einchecken, und damit die Schlangen an der Passkontrolle überwinden mussten. Als wir endlich Gate 73 „gerade noch“ erreichten, hatte die Maschine 30 Minuten Verspätung. Nach weiteren viereinhalb Stunden Flug von Ost nach West notierte ich dann im Hotel: 24 Stunden Nonstop durchgehalten, davon 13,5 Stunden reine Flugzeit; und um 17 Uhr noch immer 23 Grad bei schönstem Sonnenschein. Müde aber happy!

      Erhard hatte etwa ein halbes Jahr lang immer wieder an einer Route gefeilt, die in den Norden Alaskas, durch Kanada zurück in die USA bis zum Yellowstone National Park, dann wieder nach Westen zum Pacific führte. Nichts wurde rechts und links der Route vergessen. Es gab viele Geschichten von Pionieren und Indianern zu bestaunen. Und an manchen Orten waren sie so lebendig, dass man sich wie auf einer Zeitreise fühlte. Leider haben die Indianer von heute mit Nostalgie nicht viel am Hut. Arbeitslosigkeit, Armut und Alkohol haben etliche von ihnen zu Außenseitern werden lassen in einem Land, das einmal ihnen gehörte. Aber es gibt auch ganz andere Beispiele. Die schönen Krieger allerdings, und ihr Schmuck sind nur noch auf Fotos, in Museen oder bei bestimmten Festen zu sehen. Eigentlich wusste ich das, dachte aber eben doch, irgendwo ein Häuptlingsgesicht zu treffen. Unverkennbare indianische Gesichtszüge ja, aber geprägt von der neuen Welt, die jedem Naturvolk feindlich gesonnen ist.

      Unsere ersten Eindrücke sammelten wir in Vancouver. Eine schöne grüne Stadt mit Parks, einer Waterfront und einer alten Gasuhr, deren Zischen und Dampfen viele Touristen einhalten lässt. Für mich ein besonderes Geschenk: Im Hafen lag zufällig die „Veendam“ der Holland-Amerika-Linie. Mein Vater, den ich nie sah weil er im Krieg blieb, war vor 70 Jahren mit ihr als Koch um die Welt gefahren. Sentimentale Gefühle, und eine Träne an die Vergangenheit, auch das bin ich.“

      Vancouver

      Im 19. Jahrhundert schrieb ein englischer Journalist über das heutige British Columbia, dass es nichts weiter sei, als ein kaltes, unfruchtbares Bergland, das selbst fünfzig Eisenbahnenlinien nicht zum erblühen bringen könnten. Diese „kalten Berge“ waren jedoch voller Bodenschätze und um sie in die Welt exportieren zu können entwickelte sich am Burrard Inlet, dem Zugang zum Pazifischen Ozean, eine Stadt. Zuerst hieß sie Granville, dann Gastown. Erst 1886 erhielt sie ihren heutigen Namen. Neun Jahre früher landete dort auch ein ehemaliger Raddampfer-Kapitän aus der Goldgräberzeit, mit seiner indianischen Frau, einem gelbfarbenen Hund, einigen Hühnern und einem Fass Whisky. Es war der Grundstock zur Eröffnung von Jack Deighton’s Kneipe und der Grundstein für „Vancouver“.

      Damals waren aber schon fast einhundert Jahre vergangen seit Käpt’n James Cook am 29.3.1778 in den Nootka Sound gesegelt und mit den Nuu-chah-nulth Indianern und ihrem Häuptling Maquinna Seeotterfelle eingetauscht hatte. In China machte seine Besatzung damit riesige Profite, sodass der Pelzhandel sehr schnell mit London, Canton, Macao und Bosten verknüpft war. Auch Mackenzie war früh dran. Als erster Europäer hatte er 1793 die Rockies überquert und den Pazifik zu Fuß erreicht. Indianer hatten sich aber schon zehntausend Jahre früher hier niedergelassen, an der heutigen Küste von British Columbia, auf deren vorgelagerten Inseln und entlang der Flüsse im Inneren des Landes. Im Laufe der Zeit entwickelten sich über dreißig Gruppen, jede mit sprachlicher und kultureller Eigenart, eigenem Namen und territorialem Anspruch. Im nördlichen Interior lebten diese Ureinwohner in nomadenartigen kleinen Gruppen und verbrachten den Winter in rasenbedeckten Erdhäusern entlang des Thompson- und Fraser Rivers. Fisch und Wild galten als Hauptnahrung. Die Küstenbewohner praktizierten strukturierte Hausgemeinschaften in denen Dutzende Großfamilien unter einem Dach wohnten. Jede Gemeinschaft mit eigenen Jagd- und Fischgründen, Tänzen und Liedern. Aus den Roten Zedern machten sie Kleidung, Körbe, Matten, Totem Pools und bauten daraus auch Behausungen und Kanus. Letztere wurden für Jagd, Handel und Kommunikation genutzt.

      In dieser Stadt am Pazifik waren wir nun angekommen und mit dem „Porter Bus“ auch schnell in unserem Hotel am Stanley Park. „The Coast Plaza Suite“ war gut, die Aussicht aus unserem Zimmer im 19. Stock ebenfalls. Vom Restaurant machen wir keinen Gebrauch, sondern konsumieren bei einem kleinen Rundgang ein paar Spaghetti „um die Ecke“ und fallen bald müde in unsere Betten. Drei Tage wollen wir bleiben und alles abmarschieren was sehenswert ist. Und dafür muss man ausgeschlafen sein.

      Die Millionenstadt ist eine der schönsten Metropolen der Welt und ganz gewiss ein echter Konkurrent zu Sydney oder Kapstadt. Sie erinnert mich auch an Neuseelands Auckland, denn hier wie dort mischen Gemütlichkeit, Moderne, Flair, Freude am Dasein und die Küstenlinie einen wunderschönen Cocktail. Allein die grandiose Lage begeistert. Umgeben von eindrucksvoller Naturkulisse mit glitzernden Fjorden, langen Stränden entlang der Buchten, grünen Wälder voller Leben und weißgepuderten Bergspitzen heißt die Schönet am Pacific ihre Gäste willkommen. Dazu ist die Stadt mit mildem Klima gesegnet, das ihr das Meer garantiert. Die Strait of Georgia begrenzt die Halbinsel der Downtown im Westen; Burrard Inlet und False Creek umschlingen sie im Norden und Süden. Trotz aller Dynamik einer quirligen Innenstadt mit Szenenkneipen, restaurierten historischen Bezirken, zahlreichen Parks, schicken und modernen Läden, bunten Märkten, Yachthafen, noblen Vororten, Galerien und Strandcafés scheint diese Perle am Pazifik dennoch keinerlei Hektik zu kennen. Neben Oper, Casinos, Theater, Synphonieorchester, einer umfangreichen Clubszene, zahlreichen Festen oder Sportveranstaltungen sind die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung schier unendlich. Wassersport in jeder Version, Campen, Reiten, Wandern, Biken oder Klettern, alles ist hochaktuell. Man kann also getrost unterschreiben, was einst „Queen Mum“ über Kanadas drittgrößte Stadt sagte. „Das scheint mir ein Ort zu sein, an dem ich leben könnte.“ Und dazu gehören auch die Blicke hinüber nach Vancouver Island und auf die nördlichen Küstengebiete, die bei klarem Wetter ebenso unvergesslich sind wie der Charme der Gastown oder die Exotik des Chinesenviertels. In den hochmodernen Glastürmen der Skyline spiegeln sich grüne Kupferdächer alter Bauten. Die „Shopping-Meile“ Robson Street ist ebenso turbulent und interessant wie die Geschäfte in Chinatown mit ihren exotischen Gewürzen oder die Superyachten mit eigenem Hubschrauber an Bord, die im Hafen schaukeln. Nord- und West Vancouver, die sich auf der Nordseite des Burrard Inlet an die Hänge anschmiegen, sind begehrte Wohnorte und Westminster und Richmond gehören zu den großen Vorstädten.

      Vancouver lebt jedoch vor allem vom Handel. Seine Hafenanlagen sind die größten an der nordamerikanischen Pazifikküste. Autos und Kleidung sind die Hauptposten bei der Löschung der Frachten; Erze, Holz, Zellulose oder Weizen, wenn die Ozeanriesen wieder auslaufen.

      Als die ersten Europäer hier ankamen – 1791 Kapitän Jose Maria Narvaez, Captain George Vancouver ein Jahr später – lebten an diesem Küstenstreifen die Cowichan Indianer von reichen Fischgründen. Die großen Wälder lockten aber auch Sägewerke an, die sich am Burrard Inlet und Fraser River niederließen. Aus ihrem Holz entstand Vancouver, und auch die Masten für die Segelschiffe brachten gutes Geld. Und als „Gassy Jack“ hier seine Whisky-Taverne eröffnete, hatten die Holzarbeiter auch endlich ihren ersten „Saloon“. Der wirkliche Aufstieg begann, als 1885 die Gleise der transkontinentalen „Canadian Pacific Railroad“ auch diesen 2.500-Seelen-Ort erreichten. Zwei wichtige Einwanderungswellen formten die Hafenstadt auf ihre Art. Die zahlreichen Neuankömmlinge, die nach

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