Der schwarze Witwer. Horst Bosetzky

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Der schwarze Witwer - Horst Bosetzky

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seinetwegen, denn es war ein Sonntagmorgen. Katzmann, Dresdner Korrespondent der Leipziger Volkszeitung. war unterwegs nach Pirna, weil ihn sein Redakteur gebeten hatte, über den mysteriösen Jagdunfall im Kirnitzschtal zu berichten, dem die Gattin des Sanitätsrates Dr. Florschütz zum Opfer gefallen war.

      Katzmann fluchte und schwitzte, denn er schob immerhin das größte von der NSU bis dato gebaute Motorrad, ein Schwergewicht mit 8 PS und 1000 Kubikzentimeter Hubraum. Es verfügte über einen Beiwagen mit Phaetonkarosse, und in dem saß und bellte Harry, ein Terrier, den er vor Jahren aus der Elbe gerettet hatte und der ihn seitdem begleitete.

      Katzmann hätte auch ohne diese Panne schlechte Laune gehabt, denn aus ideologischen Gründen hatte er etwas gegen Jäger. Bis ins Mittelalter war die Jagd immer mehr zum Privileg des Adels sowie staatlicher und kirchlicher Würdenträger geworden, und auch in der Weimarer Republik war sie nahezu ausschließlich den oberen Zehntausend vorbehalten – für das gemeine Volk blieb der Kammerjäger. Dazu fiel ihm Der Freischütz ein. Katzmann hatte die Oper zweimal gesehen und konnte sich noch an vieles erinnern: Der Landesfürst und sein Gefolge erschienen auf der Bühne, um dem Probeschuss des Kandidaten für die Erbförsterei beizuwohnen. Der Chor besang die Freuden der Jagd: Was gleicht wohl auf Erden dem Jägervergnügen? Der Landesfürst forderte den Jägerburschen Max auf, den Probeschuss abzulegen und eine Taube vom Baum zu schießen. Max legte an, zielte und drückte ab. Seine Agathe, die genau zu diesem Zeitpunkt mit ihren Brautjungfern das Gelände erreicht hatte, fiel – scheinbar getroffen – zu Boden. Schaut, o schaut, er traf die eigne Braut!

      Es gab durchaus eine gewisse Parallele zum vorliegenden Jagdunfall, aber Dr. Florschütz war im Gegensatz zu Max ein gemachter Mann, und so sang Katzmann im Opernstil: «Das mit dem Probeschuss ist absoluter Stuss!» Harry empfand den Gesang seines Herrchens als widerliches Gejaule und begann, heftig zu bellen.

      Nach ein paar hundert Metern erreichten sie eine Tankstelle, und einer der jungen Männer dort verstand einiges von Motorrädern.

      «Ich bin selbst Rennen gefahren, auf dem Marienberger Dreieck sogar, zuletzt am 9. September 1923. Der Start und das Ziel waren auf der Heinzebank. Die Strecke ging hinunter nach Geringswalde, dann über Wolkenstein hinauf nach Marienberg und von da wieder zurück zur Heinzebank. Durchschnittsgeschwindigkeit achtzig Kilometer pro Stunde. Hinter Gustav Muth bin ich Zweiter geworden, auf NSU.»

      «Gratuliere!» Katzmann streckte dem jungen Mann die Hand hin. «Dann können Sie mir ja vielleicht meine Kiste reparieren …»

      Das konnte dieser tatsächlich, und nach einer knappen Stunde knatterte Katzmann durch die ruhigen Straßen von Pirna. Seine Maschine schaffte sogar den Anstieg hinauf zum Schloss Sonnenstein, von dem aus er – so hatte man es ihm an der Tankstelle beschrieben – über die Berg-, die Schandauer und die Hohe Straße die Sanitätsrats-Villa an der Doktor-Friedrichs-Höhe erreichen konnte. Er ließ seine Maschine hundert Meter vor Erreichen des Zieles ausrollen, zog den Zündschlüssel ab und hob erst einmal seinen Hund aus dem Beiwagen.

      «So, Harry, such dir die schönste Toreinfahrt aus …» Wer hier wohnte, hatte ein Recht darauf, auch einmal mit den beschissenen Seiten des Lebens in Berührung zu kommen.

      «Guerre aux châteaux! Paix aux chaumières!»

      «Wie?», fragte Harry.

      Katzmann lachte. Manchmal hatte er das Gefühl, sein Hund würde mit ihm sprechen. Sicherheitshalber übersetzte er ihm den Spruch aus den Zeiten der Französischen Revolution: «Krieg den Palästen! Friede den Hütten!»

      Harry bellte zustimmend und legte postwendend eine wunderschöne Tretmine. Katzmann bedankte sich bei ihm und setzte ihn wieder in den Beiwagen. Was nun? Einen Plan hatte er nicht. Und als ihm nichts einfiel, murmelte er: «Da vertraue ich ganz meiner Intuition.» Ohne ein Hauch von Selbstironie war jeder Mensch unerträglich, und Katzmann wollte immer gut mit sich auskommen. Ein Glück, dass er Brillenträger war! So konnte er seine Sehhilfe erst einmal in die Hand nehmen und putzen. Das brachte Zeit. Er überlegte. Klingelte er jetzt bei Dr. Florschütz, machte garantiert keiner auf. Klar, der Schock. Wer seine Frau versehentlich erschossen hatte, befand sich am nächsten Tag ganz sicher in einem fürchterlichen Zustand und konnte leicht ein Fall für Schloss Sonnenstein werden, die Landesheil- und Pflegeanstalt gleich nebenan.

      Katzmann hatte Mitleid mit Dr. Florschütz und nahm sich vor, möglichst behutsam über den Jagdunfall zu berichten. Obwohl … Sanitätsräte, Unternehmer und DVNP-Politiker gehörten nicht gerade zu den Leuten, denen man in der Leipziger Volkszeitung allzu viel Sympathie entgegenbringen durfte. Nun, er musste sich erst einmal ein Bild von diesem Dr. Florschütz machen. Also trat er an den Gartenzaun – eine kunstvolle Schmiedearbeit – und spähte in den Garten. Nichts, kein Mensch, kein Liegestuhl. Es war so still, dass man die Bienen, die Wespen und die Mücken summen hörte. Bis zur Villa, die in toskanischen Farben getüncht war, mochten es dreißig Meter sein, und er hätte gern ein Fernglas bei sich gehabt. Doch das hätte auch nicht viel gebracht, denn vor allen Fenstern waren die dunkelgrünen Jalousien heruntergelassen worden. Er wartete noch ein paar Sekunden, dann drückte er auf den Klingelknopf, der zwar nur aus Messing war, aber glänzte wie echtes Gold. Nichts rührte sich. Auch sein zweiter Versuch war vergeblich. Gott, aus diesem Stillleben hätte nicht einmal ein Pulitzer-Preisträger einen Sensationsbericht machen können!

      Harry wurde die Sache zu langweilig, und er begann, heftig zu bellen. Er wollte seinem Herrn unbedingt etwas mitteilen.

      «Denk doch mal nach!», übersetzte Katzmann die Gedanken seines Hundes. «Es handelte sich um eine Jagdgesellschaft, es müssen demnach noch andere mit im Kirnitzschtal gewesen sein. Fahr doch mal zum Oberförster und frage den!»

      Katzmann bedankte sich bei Harry mit einem Hundekeks und startete durch. Ein Blick auf die Landkarte war nicht vonnöten, er kannte sich in dieser Gegend ganz gut aus. Aus Pirna raus nach Krietzschwitz, dann nach Königstein und immer an der Elbe entlang, bei Bad Schandau über den Fluss hinweg und auf der Kirnitzschtalstraße direkt zum Forsthaus. Es war eine landschaftlich wunderschöne Strecke, und er wunderte sich, dass er für ihre Benutzung keine Vergnügungssteuer zu zahlen hatte.

      Er erreichte sein Ziel ohne Zwischenfall und hatte das Glück, dass der Oberförster zu Hause und gerade dabei war, seinen Hunden das Futter in den Zwinger zu bringen. Die Meute gebärdete sich heftig. Das war ja noch schlimmer als auf dem Wochenmarkt, wenn der Händler die letzten Bananen verschenkte! Harry nutzte die Gelegenheit und bellte so laut und heftig mit, dass er sich verschluckte und ihm die Luft wegblieb.

      «Mensch, Harry», rief Katzmann, «bloß keine Mund-zu-Mund-Beatmung!» Als sich die Hunde auf ihre Fressnäpfe gestürzt hatten und Ruhe eingekehrt war, ging er auf den Oberförster zu.

      «Katzmann, Leipziger Volkszeitung. guten Tag! Entschuldigen Sie die Störung, Herr … Aber Sie werden ahnen, warum ich aus Dresden hergekommen bin …»

      «Sicher.» Der Oberförster gab ihm die Hand und stellte sich vor. «Anton Scharrach. Ja, ich war gestern dabei, als der schreckliche Unfall geschehen ist und Frau Doktor Florschütz … Gott, die arme Frau!» Scharrach schloss die Augen und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, als schäme er sich seiner Tränen.

      Katzmann schwieg einen Moment, um dem Mann Gelegenheit zu geben, sich wieder zu fassen. «Es muss für Sie alle schrecklich gewesen sein …»

      «Wenn einer lange auf dem Krankenbett liegt und man Zeit hat, Abschied zu nehmen, ist es schon schwer genug – wenn aber jemand so mitten aus dem Leben gerissen wird, dann …»

      Katzmann merkte, dass Scharrach die Worte fehlten, um seine Gedanken auf den Punkt zu bringen, und fragte ihn, ob es möglich sei, ihn zum Unfallort zu führen.

      «Aber

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