Der schwarze Witwer. Horst Bosetzky
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Читать онлайн книгу Der schwarze Witwer - Horst Bosetzky страница 6
In diesem Augenblick kam die Gattin des Oberförsters aus dem Haus, um den Tisch abzuräumen. Sie begrüßte ihn wortlos mit bloßem Nicken des Kopfes und ließ deutlich erkennen, dass sie kein Gespräch mit ihm beginnen wollte. Sie stellte das schmutzige Geschirr auf ein Tablett und legte die Zeitungen dazu.
Gerade war Waltraud Scharrach im Haus verschwunden, da ließ sich Dr. Florschütz blicken und setzte sich etwas abseits an einen zweiten Tisch. Er sah müde aus, und sein Schritt war etwas schleppend, insgesamt aber machte er doch einen recht gefassten Eindruck. Katzmann hatte dennoch Hemmungen, ihn anzusprechen. Er war kein Pfarrer und keiner dieser neumodischen Psychologen. «Mein herzliches Beileid» konnte er schlecht sagen, seine Frau war nicht eines natürlichen Todes gestorben – er hatte sie ja selbst getötet.
Scharrach kam aus dem Haus und nahm Katzmann die Arbeit ab, indem er ihn vorstellte.
«Konrad Katzmann, Zeitungsschreiber aus Dresden.» Und Scharrach fragte Dr. Florschütz auch, ob er zu einem kurzen Gespräch bereit sei.
«Ja, wenn es unbedingt sein muss.»
Katzmann näherte sich mit einer angedeuteten Verbeugung, gab Dr. Florschütz die Hand und murmelte: «Sie haben mein volles Mitgefühl, Herr Sanitätsrat.»
«Danke.» Dr. Florschütz forderte ihn mit einer knappen Handbewegung auf, sich zu ihm zu setzen. «Es ist ja klar, dass sich die Presse auf mich stürzen wird.»
«Die Menschen wollen Anteil nehmen …»
«Schreiben Sie, junger Mann: Ich habe im Krieg viel Schreckliches erlebt, habe Hunderte von Menschen vor mir sterben sehen, auch unter meinen Händen, doch die eigene, innig geliebte Frau …» Er musste schlucken, seine Stimme versagte. «Und dann noch durch mein eigenes Gewehr, mein Gott!»
Katzmann schrieb in sein Notizbuch, dass der Mann nur noch ein einziges Häufchen Elend sei. Verständlich! Einen schwereren Schicksalsschlag kann man sich nicht vorstellen, als den Menschen, den man vor allen anderen liebt, mit eigener Hand getötet zu haben.
Scharrach zog Katzmann beiseite und flüsterte ihm zu, er möge das Gespräch doch lieber an dieser Stelle abbrechen, er habe Angst um Dr. Florschütz. «Nur nicht wieder alles aufrühren, er kann das nicht mehr ertragen. Ich habe schon alle Waffen fest verschlossen, damit er sich nicht selbst etwas antut.»
Katzmann seufzte. «Ach, ist das alles ein Elend! Am besten ziehe ich mich jetzt erst einmal zurück und komme vielleicht morgen wieder. Aber erst muss ich mit meinem Hund, der schon lange im Beiwagen wartet, noch eine kleine Runde drehen … »
Katzmann holte Harry, und sie machten sich auf den Weg in den Wald. Katzmann schauderte es noch immer. Wenn er sich vorstellte, sein Vater hätte seine Mutter bei einem Jagdausflug erschossen … Welch unendliches Leid hätte das über alle gebracht! In Gedanken versunken, erschrak er, als er plötzlich Schritte hinter sich hörte. Als er sich umdrehte, erkannte er die Frau des Oberförsters. War sie ihm mit Absicht gefolgt – oder hatte sie zufällig denselben Weg wie er genommen? Er blieb stehen und nahm Harry, der zu kläffen begann, fester an die Leine.
«Einen Augenblick, Herr Katzmann.»
«Ja, was ist?»
«Ich hätte Sie gern einmal unter vier Augen gesprochen», sagte Waltraud Scharrach und sah sich dabei achtsam nach allen Seiten um.
Katzmann war gespannt. «Geht es um den Jagdunfall gestern?»
«Ja …» Sie mochte wohl nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. «Wie fanden Sie denn Doktor Florschütz?»
«Ein sehr sympathischer Mensch … Ein Mann, der einem unendlich leidtun kann … Ein fürchterliches Schicksal! Und Angehörige hat er auch keine mehr, die ihm Trost spenden könnten.»
«Doch, er hat eine Tochter aus erster Ehe, die Gerda. Aber die lebt in Berlin, und er hat keinerlei Kontakt zu ihr.»
Katzmann horchte auf. «Er war schon mal verheiratet?»
«Nicht nur einmal!» Waltraud Scharrach unternahm einen zweiten Anlauf, um zum Eigentlichen zu kommen. «Ich glaube, ich sollte Ihnen die Augen öffnen …»
Katzmann konnte seiner Spannung nur Herr werden, indem er sich bückte, um sich eine Blaubeere abzupflücken und in den Mund zu stecken. «Ich höre …»
Waltraud Scharrach schlug einen Ton an, der eher leicht und ironisch und ohne jegliche Verbissenheit war, was ihre Worte umso wirkungsvoller werden ließ. «Ich weiß nicht, aber das ist nun schon die dritte Frau, die ihm wegstirbt. Alle nach Unfällen und nachdem sie ihm alles vererbt hatten, was zu vererben war. Und das war immer eine ganze Menge … Ich bin gespannt, wie ihm die vierte abhandenkommen wird. Vielleicht gibt er im Pirnaer Blättchen eine Anzeige auf: Suche für zwei bis drei Jahre vermögende Gattin – Unfalltod garantiert.»
Später sollte Konrad Katzmann sagen, dass bei ihm in diesem Augenblick die Alarmglocken geschrillt hätten. Das hatten sie nicht getan, er hatte sich nur plötzlich an das Märchen vom König Blaubart erinnert, das sich tief in sein Gedächtnis eingegraben hatte.
Der fremde Ritter nämlich hatte einen ganz blauen Bart, und vor dem hatte sie ein Grauen und es ward ihr unheimlich zu Muth, so oft sie ihn ansah … Allein am Morgen des vierten Tags konnte sie es nicht mehr über’s Herz bringen und schlich sich heimlich mit dem Schlüßel hin und steckte ihn in das Schloß und öffnete die Thüre. Aber wie entsetzte sie sich da, als das ganze Zimmer voller Leichen lag, und das waren lauter Weiber.
DREI
DIE SÄCHSISCHE STRASSE, gelegen im Berliner Bezirk Wilmersdorf, zog sich auf einer Länge von knapp einem Kilometer genau in Nord-Süd-Richtung von der Brandenburgischen zur Lietzenburger Straße. An sich hätte sie auch den Kurfürstendamm berührt, doch jenseits der Lietzenburger Straße trug sie den Namen des Malers Georg Bleibtreu. Zwischen Lietzenburger Straße und Hohenzollerndamm gab sie sich nobel und leicht großbürgerlich, ihr südliches Ende bis zur Brandenburgischen Straße fiel dagegen vom Niveau erheblich ab. Hier im Hause mit der Nummer 38, das die Ecke zur Wegenerstraße bildete, hatte der Obst- und Gemüsehändler Richard Schorbus eine Parterrewohnung gemietet. An dieses gemütliche Zuhause dachte er, als er auf dem Winterfeldtplatz in Schöneberg seine letzten Vorräte an die Leute bringen wollte.
«Äpfel – frisch von Eva für Adam gepflückt! Greifen Sie zu,