Der schwarze Witwer. Horst Bosetzky
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Читать онлайн книгу Der schwarze Witwer - Horst Bosetzky страница 7
Schorbus verlegte sich aufs Reimen. «Herrliche Birnen – für die Männer und die Dirnen! Und eckige Bananen – von deren Süße Sie nichts ahnen!»
Eine Dickmadam blieb vor seiner wunderbar aufgebauten Apfelpyramide stehen und fragte, ob die Äpfel sich auch für einen Kuchen eigneten.
«Damit können Sie Ihren Herrn Gemahl mal wieder so richtig verwöhnen.»
«Janz im Jegenteil, vergiften will ick den, weil der ’ne andere hat!»
Schorbus überlegte. «Na, dann nehmen Sie doch ein Pfund von meinen Pfifferlingen – da ist manchmal ’n Knollenblätterpilz mittenmang.»
Doch alles half nichts, die Dame ging weiter. Schorbus stöhnte hörbar auf und machte sich daran, die obersten Äpfel seiner Pyramide an seiner Schürze blank zu reiben.
«Da musste ruffspucken», riet ihm Eier-Meier, «sonst jlänzt det nich!»
«Pass mal uff, det ick dir nich uff deine Eier spucke!»
Sie pflaumten sich noch eine Weile an, und Schorbus hätte womöglich eine Keilerei angefangen, wenn sein Sohn mit am Stand gewesen wäre, aber Rudi war schon seit einiger Zeit verschwunden. Angeblich, um zu gucken, wie hoch die Preise bei den Konkurrenten waren. Wahrscheinlich aber hatte er im Gedränge eine seiner Miezen erkannt und wollte der mal schnell an die Wäsche.
Endlich kam Rudi angelaufen und gab sich wichtig wie immer. «Die Äpfel sind bei Krüger zwei Pfennige billiger, die Birnen sogar um drei.»
Schorbus winkte ab.«Dafür ham se ooch alle Würma oder sind innen drin madig.»
«Das sieht man ihnen von außen aber nicht an», stellte Rudi fest.
«Aba zu Hause merken die Leute det und koofen det nächste Mal nich bei Krügern, sondern wieder bei mir.» Und diese Botschaft schrie er sofort auf den Markt hinaus: «Ohne Frage gibt es hier die beste Ware! Nur zugreifen, meine hochverehrten Damen!»
Das taten die dann auch, und Schorbus sah mit Freude, dass sich seine Kasse langsam füllte. Die fetten Jahre, als seine Frau noch hier gestanden und die Kundinnen mit ihrer gewinnenden Art angelockt hatte, waren vorüber. Nun hatte sie Zucker und Schwierigkeiten mit ihren Füßen. Der Arzt hatte ihr das lange Stehen verboten.
«Verwöhnen Sie Ihren Gaumen mit meinen schönen Pflaumen!», rief Schorbus.
So ging es noch bis ein Uhr nachmittags, dann bauten sie ihren Stand ab und verluden alles auf den Kleinlaster, den Schorbus selbst gebaut hatte. Er bestand vorn aus einem Motorrad und hinten aus dem Rübenwagen eines Bauern aus Rudow. Platz für einen Beifahrer gab es nicht, Rudi musste sich auf die Ladefläche setzen. Langsam tuckerten sie zur Detmolder Straße, wo sie eine Garage gemietet hatten. Dort hatten sie auch ihre Fahrräder abgestellt, auf die sie sich nun setzten, um nach Hause zu fahren. Große Entfernungen waren das alles nicht.
In der Sächsischen Straße angekommen, durchquerten sie mit ihren Rädern den Hausflur, um sie hinten auf dem Hof anzuschließen. Dabei bemerkten sie, dass das Küchenfenster ihrer Parterrewohnung offen stand.
«Nu wird Mutta doch wieda gekocht ham», sagte Schorbus.
«Dabei sollte se sich doch schonen.»
Rudi steckte seinen Kopf durch das Fenster. «Mutta, freu dich, wir sind wieder da!» Doch er erhielt keine Antwort. «Na, wird sie sich wieder schlafen gelegt haben?»
Während sich sein Vater noch um die Räder kümmerte, schloss Rudi schon die Wohnung auf. Wenig später hallte sein Schrei durch den Hinterhof. «Komm schnell her, ich glaube, Mutter ist tot!»
In einer der großen Berliner Tageszeitungen war am Dienstag, dem 9. September 1924, im Lokalteil Folgendes zu lesen:
Neben Ernst Gennat finden wir im Polizeipräsidium am Alexanderplatz noch eine Reihe anderer Persönlichkeiten, die den Mördern in der deutschen Hauptstadt keine Chance lassen, unter ihnen auch Hermann Kappe, der im Dreikaiserjahr 1888 das Licht der Welt erblickt hat – wie alle echten Berliner nicht hier, sondern in Wendisch Rietz am Scharmützelsee. Im benachbarten Storkow hat er seine Polizeilaufbahn begonnen – und zwar als einfacher Gendarm. Als er 1910 dem dort ansässigen Major Ferdinand von Vielitz das Leben gerettet hat, war der ihm zu Dank verpflichtet und hat mit seinen Verbindungen dafür gesorgt, dass man Kappe zur Kriminalpolizei nach Berlin versetzt hat. Im September 1910, als man im Verlaufe der Moabiter Unruhen auf eine verkohlte Leiche gestoßen war, konnte er als junger Kriminaler seinen ersten Erfolg verbuchen. Seitdem hat er mehrere Mörder zur Strecke gebracht, aber auch Zeit gefunden, zu heiraten und eine Familie zu gründen.
«Nu biste ja unsterblich jeworn», sagte Gustav Galgenberg, Berliner Urgestein, Kappes Gegenüber am Schreibtisch und Helfer in allen Mordsachen. «Ick gratuliere, denn erst wenn eena inne Zeitung steht, dann issa ja erst richtich uff da Welt. Nu kannste ja imma die Neese hochhalten – ooch wenn et rinregnet.»
Kappe hatte Hunger bekommen. Aus seiner Aktentasche holte er eine Brotbüchse aus silbern schimmerndem Blech und entnahm ihr ein schönes, wenn auch etwas deformiertes Stück Buttercremetorte. «Meine Mutter hat den Nachtisch aus Wendisch Rietz mitgebracht.» Kappe förderte aus den Tiefen seiner Schreibtischschublade eine Kuchengabel zutage und sah Galgenberg an.
«Wollen wir wetten?»
Galgenberg lachte. «Um drei beschissene Betten?»
«Hör auf, mir den Appetit zu verderben! Nee, darum, ob Gennat die Torte wittert und innerhalb der nächsten fünf Minuten hier aufkreuzt, um etwas abzubekommen.»
Von Ernst Gennat, dem prominentesten der Berliner Kriminalkommissare, war bekannt, dass er das Mordauto schon mal auf dem Weg zum Tatort vor einer Konditorei halten ließ, um sich zu «verproviantieren», und oft genug lud er Tatverdächtige, die beim Verhör hartnäckig leugneten, zu Kaffee und Kuchen ein, um sie sozusagen aufzuweichen und zum Reden zu bringen.
Kappe legte sich als Erster fest. «Ich wette, dass er kommt.»
«Ich auch!», rief Galgenberg.
«So kommt doch keine Wette zustande», stellte Kappe fest.
«Du sagst es.» Da Galgenberg aber zu gern gewettet hätte, gab er schließlich klein bei und setzte fünfzig Pfennig darauf, dass Gennat nichts wittern würde.
Kaum hatte er seine Münze auf den Schreibtisch geworfen, stand Gennat im Zimmer. «Kinder, macht euch mal auf die Socken, es ist kein anderer frei! Eine Leiche weiblichen Geschlechts in Wilmersdorf.» Er warf den beiden einen Zettel auf den Tisch – und schon war er wieder draußen.
«Gewonnen!», rief Kappe.
«Denkste!» Galgenberg brachte seinen Einsatz schnell wieder an sich. «Er ist ja nicht wegen der Torte gekommen, sondern wegen des dienstlichen Auftrags.»
«Er hat aber einen sehnsuchtsvollen Blick auf die Torte geworfen», argumentierte Kappe.
«Hat er nicht!», beharrte Galgenberg.
«Nun gut …» Kappe lenkte ein. «Ich halte nichts vom Schießen, also lassen wir es bei einem Remis und widmen