Flüsterasphalt. Horst Pukallus

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Flüsterasphalt - Horst Pukallus

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      Horst Pukallus

      Flüsterasphalt

      fantastic episodes X

      © 2014 Begedia Verlag für diese Ausgabe

      © der Geschichten: Horst Pukallus

      Lektorat: Begedia Verlag

      Umschlagbildgestaltung: Helmut Wenske

      ebook-Bearbeitung: Begedia Verlag

      ISBN: 978-95777-044-8

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      http://verlag.begedia.de

      Inhalt

      Schatten ohne Lächeln © 2001

      Letzte Trendansage © 2009

      Tango Is a Virus © 2006

      Placebo © 2009

      Die Ära der brennenden Berge © 1989 und 2013

      Flüsterasphalt © 2013

       Nachwort von Michael K. Iwoleit

      O Herz, gib ganz der Sehnsucht dich hin!

      Der letzte Zweifel ist jetzt auch gelöst.

      Was furchtsam du für leuchtend Feuer hieltst,

      ist ein Juwel, das man berühren kann.

      Kalidasa: Sakuntala

      Ganz nervös wichst Broder Erckelenz übers Balkongeländer in die Tiefe. Er befürchtet, dass der Stress ihn noch umbringt. Dermaßen steht er unter Zugzwang. Indem er hinaus in die Welt wichst, zeigt er ihr, dass er zu ihr Kontakt hält und sein Bestes gibt. Seit er daheim ist, hat er schon eine Flasche Wein geschlürft. Er braucht den Alk, um den Durchblick zu behalten. Zum Glück ist er bloß Alpha-Alkoholiker. Der Segen sprinkelt hinab als Beweis seines fruchtbaren Schaffens.

      Es ist Nacht und schwül. Broder zurrt die Hose zu. Müde kehrt er in die Wohnung zurück. Zerrt sich das schweißklamme T-Shirt vom Oberkörper. In den letzten Wochen hat er vom Weißwein wieder mal Bauchspeck angesetzt. Er will ausgiebig Sport treiben, sobald der Erfolg da ist: Wenn die pharmazeutische Sensation ihn oben plaziert, wo man die Gelder in Unschuld wäscht.

      Er zockelt durchs halbdunkle Zimmer zur Workstation. Nimmt das Glas in die Hand. Hockt sich gebückt an die Tastatur. Der Bügel des Infrarot-Kopfhörers hängt ihm im Nacken. Gregorianische Choräle dröhnen ihm ins Gehör. Sie ermöglichen es ihm, einen bestimmten Level innerer Spannung zu bewahren. Wenn er erlahmt, reißt ihn der Endreim aus der Ermattung. So wie es früher den Mönchen ging.

      Vor vierzehn Tagen hat er die Penthouse-Wohnung bezogen.

      Die meisten Räume stehen noch so gut wie leer. Immerhin hat er schon ein Elektronisches Aquarium. Diesen Aufstieg verdankt er dem NI-Projekt. Termindruck und Torschlusspanik bewogen das Van-Helmont-Institut zu großzügigen Abschlagszahlungen. Schwupp!, katapultierte es den kleinen Broder, 32 (bis dahin lediger Biochemiker mit Teilzeitstelle beim Lebensmitteluntersuchungsamt), aus der 42-m²-Bude an der Müllverbrennung in die zentral gelegene, nagelneue 152-m²-Dachgeschosswohnung. Mit Blick auf City oben und unten. Swimmingpool im Atrium.

      Und das kam so: Das Van-Helmont-Institut forscht schon jahrelang nach NI: nach Nutri-Intelligenz. Fressbarem Wissen. Soll das Lernen, weil die Kids solchen Zumutungen nicht mehr gewachsen sind, überflüssig machen. Selbstverständlich hängt das Institut am Finanztropf eines Pharmaziekonzerns. Ebenso selbstverständlich klebt an dem Pharmaziekonzern ein Medienkonzern, will das verzehrbare Informationsmedium vermarkten. Alle schwelgen im Überschwang der Börsenorientiertheit. Noch nie da gewesen, so was von Innovation. Durchbruch. Synergie. Umwälzung. Blahblahblah. Usw.

      Aber es klappt nicht. Vor allem fluppt es nicht. Zu dumm, dass ein Direktor viel zu früh etwas hinaus in die Öffentlichkeit gequakt hat. Muss nun das Gesicht wahren. Verwirrung an der Börse beilegen. Darum stänkern die Medienzaren bei den Pharmabonzen; und diese Herren erinnern das Van-Helmont-Institut täglich daran, dass man über moderne Daumenschrauben wie Etatkürzung, Entlassung und Leistungsbeschneidung verfügt.

      Da traute sich eines Morgens ein allzu übel gemobbtes Mitglied des Forschungsteams nicht mehr ins Labor. Aus Ratlosigkeit erhängte sich der Ärmste im Bahnhofsklo. Hoppla! Woher am nächsten Tag einen fähigen Nachfolger rekrutieren?

      Ein Kollege des undankbaren Realitätsflüchtigen erinnerte sich an Broder. Kannte ihn vom Studium. Ein Halbdutzend Telefonate, und unversehens hüpfte Broder aufs Quereinsteiger-Trittbrett. Wusste kaum, wie ihm geschah. Die ersten Tage verbrachte er im Taumel des Glücks. Aber jetzt... Belastung und Verantwortung haben ungeheure Ausmaße. Stückchenweise verschlingt ihn der Stress, nagt an seinen Nerven. Erhöht jeden Tag ein bisschen mehr den Blutdruck. Seit einer Woche plagt ihn vor dem Einschlafen Herzrasen. Die erzwungene Untätigkeit der Nachtruhe verursacht ihm ein schlechtes Gewissen.

      Eines jedoch ist klar: Wenn er diese Chance nicht nutzt, geht die Zeit über ihn hinweg. Über alles hinweg walzt die Zeit. Schwund ist immer. Das dekonstruktivistische Wohn- und Ladenpassagenzentrum, in dessen oberster Etage er seit Kurzem wohnt, hat man auf dem früheren Gelände des Nordfriedhofs gebaut.

      Broder merkt, dass seine Finger zittern, während sie über die Tasten flitzen. Er hat ernsthafte Sorge, ob er vielleicht eine Gesundheitsschädigung erleidet. Ganz davon zu schweigen, dass ihm der soziale Tod auf die Pelle rückt. Sein Privatleben ist praktisch auf Null geschrumpft.

      Gegenüber wohnt eine nette Nachbarin, ist ihm aufgefallen. Keine Deko-Schnepfe. Schwarze Pagenfrisur. Schleicht in anthrazitfarbenem Kostüm durch den Korridor. Kann also sein, sie hat Geschmack. Laut Namensschild heißt sie Klemmt. Wäre sie nicht, er kriegte wohl vor lauter Maloche keinen Ständer mehr. Broder nimmt sich vor, in den kommenden Tagen bei seinem Server zu recherchieren, ob sie eine E-Mail-Adresse hat.

      Heliane Norina Klemmt, 28, ehedem Logopädin in spe, war zwar wegen Elektrosensitivität berufsunfähig geschrieben, aber dank ihres Biochip-Computers stand sie trotzdem in Verbindung mit Gott und der Welt. Vor allem mit Gott. Sie hatte nur einen ganz kleinen Fernsehapparat, damit sie von der sündigen Welt nicht so viel sah.

      Während sie sich auf der Home-Page des Vatikans die Aktualitäten anschaute und dazu Kamillentee trank, downloadete ihr Computer die schönsten Sacro-Popsongs des Kirchenfunks und die sehr schönen Poetext-Verse diverser Online-Poeten.

      Trotz der Berufsunfähigkeit musste sie nicht darben. Ihr vor sechs Jahren verstorbener Vater, zu Lebzeiten zuletzt frühpensionierter Ministerialdirektor, hatte sein Hab und Gut versoffen und verhurt, aber ihr eine Briefmarkensammlung vererbt. Weil Heliane jeder tiefere Sinn für die bunten Bildchen fehlte, hatte sie die Alben einem Auktionator zur Versteigerung überlassen, der dafür eine Summe erzielte, über deren Höhe sich Heliane gern in Schweigen hüllte. Jedenfalls hatte sie fast den gesamten Betrag als Festgeld angelegt und konnte im Wesentlichen von den Zinsen leben.

      Sie leistete sich eine kleine, aber schöne Dachgeschosswohnung,

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