Flüsterasphalt. Horst Pukallus

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Flüsterasphalt - Horst Pukallus

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sie der Wunschtraum, vergewaltigt zu werden (damals entjungferte sie sich mit einer O-Saft-Flasche), und im Ergebnis hatte sie aus Unbehagen per Mausklick vergewaltigungssichere Unterwäsche erworben.

      Nein. Der Satan stellte ihr eine andere Falle.

      Der Versucher, selbst ein Gefallener, verlockte sie mit einer anderen Art von Paradies, und sie schwebte in unmittelbarer Gefahr, seine Jüngerin zu werden. In ihrer vollkommenen Erniedrigung hätte sie alles getan, buchstäblich alles, um doch das Ziel ihres Verlangens noch zu erhaschen.

      Aber sie musste an ihr Seelenheil denken. Niemals durfte sie einem Dämon erliegen. Bevor sie ins Bett kroch, hatte sie ihrem Computer die bei Pater Damasus erhältliche Exorzismus-CD mit dem Programm Apage Satana! inklusive der Resistor-Schutzengel-Funktion eingelegt, das seitdem ihr Heim von den Ektoplasmen des Bösen entseuchte, zumindest den Befall durch jene Viren verhütete, die geradewegs der Hölle entstammten. Keinen Schutz jedoch bot das Rituale Romanum gegen die Schwäche und Heimtücke des eigenen Fleisches, das zu ihrem Gram, sobald das Gelüst sie packte, Wachs in den Verführerhänden des Teufels glich. Sie selbst, ihr eigentliches Wesen, musste sich nun als stark erweisen und den Einflüsterungen widerstehen. Es gab keinen anderen Weg.

      Gegen Morgen ereilte sie die Anfechtung lebhafter Halluzinationen. Phallisches in vielerlei Formen spukte durch ihr Dösen. Vielleicht waren es Wahnbilder ihres überreizten Gemüts. Oder Träume, die sie im Halbschlaf heimsuchten. Eventuell erhielt sie Hologramme in die Wohnung projiziert. Was wusste denn sie, mit welchen Schlichen der Antichrist sie umlauerte?

      Sie musste standhalten. Durch Entsagung. Es gab keinen anderen Weg. Mein Gott, dachte sie, wenn du es willst, nähe ich mich zu. Gib mir ein Zeichen. Wenn es dein Wille ist, nähe ich mir eigenhändig die Scharte zu.

      Ihre Vorsätze hatten so geringen Wert, dass sie ihr für keine fünf Minuten Halt gewährten.

      Komm, flehte sie, als ob sie glaubte, ihr Nachbar könnte Gedanken lesen. Komm zu mir. Nimm mich in die Arme.

      Nichts geschah.

      Allein und verzweifelt, geschüttelt von Unkeuschheit, umstrickt vom Lug und Trug des Irdischen, bedroht durch Sucht und Besessenheit, weinte sie sich schließlich im Morgengrauen, eine Faust ums Kruzifix geklammert, die andere Hand auf die Scham gebreitet, in einen dumpfen Schlaf der Hoffnungslosigkeit.

      »Ganz wie Sie meinen, Herr Dr. Schratz«, brummelt Broder ins Handy. Die alte, verwetzte Aktentasche unterm Arm, stapft er zügig durch die dekonstruktivistische Gebrochenheit des Korridors. »Es versteht sich von selbst, dass Sie im Recht sind. Bloß war’s eigentlich meine Überlegung ... Nein, nein, es liegt mir fern, mich in ihre Kompetenzen einzumischen ...«

      Seine Anregung, das elektromagnetische Matrizenprägeverfahren zu überprüfen, hat bei Dr. Schratz eine hysterische Abwehrreaktion ausgelöst. Nun gilt es abzuwiegeln. Versöhnlichkeit hervorzukehren. Voraussichtlich kann man erst danach das tatsächliche Problem erörtern. So geht Zeit verloren.

      Weil er dem Gefasel Dr. Schratz’ lauscht, übersieht er fast die Nachbarin. Sie wartet vor ihrer Tür auf ... auf ihn?

      Broder wird durch ihren Anblick gänzlich entgeistert. Beinahe latscht er an seiner Wohnung vorbei in die Richtung des Glaserkers am Ende des Korridors. Ihr Gesicht ist verquollen. Die Augen haben dunkle Ränder. Senkrecht presst sie die Arme dicht an die Seiten. Die geballten Fäuste bezeugen einen inneren Hochdruck, als sei sie ein Atomreaktor kurz vor dem GAU. Sie wirkt, als hätte sie die Nacht auf einer Folterbank verbringen müssen.

      Was ist denn jetzt los?

      Mit mir kann es nichts zu tun haben, schlussfolgert Broder. Aber er muss sich schleunigst um sie kümmern. Sie in solchem Befinden zu sehen, krampft ihm das Herz zusammen. Hätte er gar nicht von sich vermutet.

      Anscheinend haben sie dringende Fragen zu regeln, bevor sie zum Bumsen kommen. Der DVD-Brenner wird erst morgen da sein. Also will er ihr vorschlagen, heute gemeinsam etwas zu unternehmen. Er könnte sie zum Essen einladen. Ins Le Mouton um die Ecke. Allerdings muss er vorher diesen Quatschkopf abwimmeln.

      »Natürlich, Herr Dr. Schratz«, sagt er, obwohl er dessen letzte Äußerungen überhaupt nicht beachtet hat. Und legt die Hand aufs Handymikro. »Wir sprechen uns gleich«, tuschelt er der Nachbarin zu; forscht besorgt in ihrer Miene. Verstörtsein. Zerrüttung. Abweisung.

      Scheiße, was ist denn nur passiert?

      Nur mit stärkstem Widerstreben schließt er hinter sich die Wohnungstür. Wenn das Telefonat mit Dr. Schratz beendet ist, wird er sofort zu ihr gehen.

      Quäkquäk, dringt es aus dem Handy. Quäkquäkquäk.

      Broder schmeißt die Aktentasche auf die Couch. Streift das Jakko ab. Geht zur Balkontür. Schwingt sie weit auf, um Frischluft einzulassen.

      Und nun: auf die Knie.

      »Herr Dr. Schratz«, sagt er, »es tut mir leid, falls ich etwas Missverständliches von mir gegeben habe. Bitte entschuldigen Sie meine Ungeschicklichkeit.« (Knirsch.) »Zur Erklärung kann ich nur anführen, dass ich meine gesamte Arbeits- und Geisteskraft in den Dienst des Projekts stelle und darum vielleicht manchmal zu abgeschlafft bin, um die richtige Wortwahl zu treffen. Bitte glauben Sie mir, ich habe keinerlei Absicht, mir Ihre fachliche und berufliche Kompetenz anzumaßen oder Ihnen etwa gar Vorschriften machen zu wollen ...«

      Derartiges Gewinsel ist es wohl, was Dr. Schratz zu hören wünscht. Grummelig lenkt er ein. Verabschiedet sich bis zur Videokonferenz um 22 Uhr.

      Broder trennt die Verbindung. Laut stöhnt er und legt das Handy auf das Jakko.

      Neben der Workstation tönt plötzlich auf dem Parkettfußboden das Telefon. Broder stöhnt ein zweites Mal.

      Anrufer: Dr. Lubok. Will wissen, ob Broder sich inzwischen mit Dr. Schratz »in gütliches Einvernehmen gesetzt« hat.

      Jedes Ringen ums Seelenheil, das hatte Heliane Norina im Laufe des Tages eingesehen, folgte einer besonderen Logik. Genau deshalb musste es so sein, dass ihr nichts erspart bleiben sollte.

      Gott gab ausschließlich Hilfe zur Selbsthilfe. Der Dämon griff nach ihr mit unsichtbaren Klauen, und ihm galt es in den Arm zu fallen. Mit eigener Hand hatte sie die Befreiung zu erwirken. Und befreien musste sie sich: Nie hatte die Tyrannei der Affekte sie unerbittlicher als gegenwärtig in den Krallen gehabt. Ihre heutigen Qualen sprengten bei Weitem die Grenzen ihres Leidensvermögens. Sie konnte unmöglich irgendwelche Sünden verüben, die ihr fürchterlichere Strafen eintrugen als das Martyrium, das sie während der vergangenen Stunden hatte durchleiden müssen.

      Als sie zermartert und völlig erschöpft gegen Mittag erwachte, war ihre Situation schlimmer als zuvor gewesen; die sünd- und suchthafte Brunst zerwalkte ihr Fleisch noch ärger als in der Nacht. Stundenlang hatte sie keine Macht mehr über die Leidenschaftlichkeit ihres Begehrens gehabt. Halbstündig masturbierte und computerbeichtete sie, masturbierte und beichtete, masturbierte, beichtete, masturbierte, beichtete. Die Geilheit verwickelte sie in einen Teufelskreis katholischer Nothilfe. Sie schmachtete nach endloser Sinnlichkeit und lechzte zur gleichen Zeit nach einem Ende mit Schrecken.

      Sie hatte ihr Zeichen erhalten. Aber ein Zeichen für etwas Anderes.

      Als ob ihr jeder eigene Wille fehlte, hatte es sie am frühen Abend wieder hinaus in den Korridor getrieben.

      Und abermals war sie dem Dämon begegnet. Wie irgendein harmloser Mitmensch hatte er das Handy ans Ohr

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